lagen inzwischen noch immer einige seiner Materialien und persönlichen Besitztümer, die niemanden zu interessieren schienen. Erst einige Jahre nach dem Verschwinden Sehfelds kam ein Mann nach Rodaun, der alles ganz genau wissen wollte: Der preußische Berghauptmann und Nationalökonom Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720 - 1771), Professor der Kameralwissenschaften an der Theresianischen Ritterakademie, ein durchaus nüchtern denkender Aufklärer, führte mit der Witwe des inzwischen verstorbenen Bademeisters Friedrich lange Gespräche über die Ereignisse von 1745 und sammelte auch in Wien alles, was über Sehfeld noch zu erfahren war. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er in der kleinen Schrift Geschichte des Sehfelds, eines vermutlich noch lebenden Adepti, in der er die Meinung vertrat, dass es durchaus „starke und ungezweifelte Beweise“ dafür gebe, dass der Fremde von Rodaun die Kunst des Goldmachens tatsächlich beherrscht habe. Justi werden von der Familie Friedrich noch Reste einer Tinktur gezeigt, die Sehfeld verwendet haben soll und die aus einem himmelblauen Material – Justi vermutet Azurit – hergestellt worden war. Sein Resümee: „Ich leugne gar nicht, daß nicht unzählige Betrügereyen in dem Punct des Goldmachens gespielet worden sind. Allein, wenn je in einer Sache starke und ungezweifelte Beweise vorhanden sind, so ist es hierinnen: und man müsste allen historischen Glauben verwerfen, wenn man leugnen wollte, daß es von Zeit zu Zeit einige Leute gegeben hat, welche das Geheimniß, Gold zu machen, besessen haben.“
Unter den hundert „ausbündigen Narren“ fand der närrische Abraham a Sancta Clara auch einen „Bergwercks-Narren“.
Die Erinnerung an Sehfelds Wirken in Rodaun blieb jedenfalls wach, einige Zeit hindurch genoss das Badehaus den Rang einer Sehenswürdigkeit, wie der streitbare schwäbische Publizist und Aufklärer Wilhelm Ludwig Wekhrlin bezeugt. Über einen Ausflug nach Rodaun, der um etwa 1770 stattgefunden haben dürfte, berichtet er in seinen Denkwürdigkeiten aus Wien: „Heute war unsere Caravane zu Rodaun, einem eine Meile von der Stadt entlegenen Dorfe, um die Trümmern von den Öfen des Seefels (sic!), eines berufenen Schmelztieglers, zu sehen. Die Wiener erzählen Wunderdinge von diesem Mann. Man muß gestehen, wenn sie keine Goldmacher sind, so besitzen sie doch die Religion derselben. Ein Mann, der die Protokollen der Stadt genau kennet, versichert mich, daß man im Jahre 1752 dreyzehntausend und acht und vierzig Laboranten, Geisterbeschwerer, Freymaurer und Schatzgräber gezählt habe.“ Weckhrlin erwähnt auch ein Gerücht, das in Wien offenbar die Runde machte: Die treibende Kraft hinter dem harten Vorgehen gegen Sehfeld sei Maria Theresias Leibarzt Gerard van Swieten (1700–1772) gewesen – er habe es nicht verkraftet, dass er mit seinen eigenen chemischen Versuchen erfolglos geblieben sei. Er habe daraufhin alle Bücher zu alchimistischen Themen aus der Hofbibliothek entfernen und vergraben lassen.
Eine Wandplastik in der Ketzergasse 372 erinnert an den geheimnisvollen Goldmacher von anno 1745.
Ein Jahrhundert später gab es das Rodauner Bad noch immer, doch die Erinnerung an den Wundermann Sehfeld war längst verblasst, nun pilgerte man hinaus an die Liesing, um sich kulinarischen Freuden hinzugeben: Unter dem aus Breitenfurt stammenden Wirt Johann Stelzer (1852 - 1924) war die alte Gaststätte des Badehauses zum legendären „Wirtshaus von Österreich“ ausgebaut worden; beim „Stelzer“ traf sich an schönen Sommertagen die Prominenz der Monarchie: Adelige und hohe Beamte, Schauspieler, Künstler und Diplomaten.
Nach dem Ersten Weltkrieg verkaufte Johann Stelzer seinen Betrieb, neuer Besitzer wurde Paul Deierl, der den Gasthof bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs weiterführte; 1960/61 wurde das desolate Gebäude abgerissen. Eine Wandplastik und eine Gedenktafel in der Ketzergasse 372 erinnern heute an den „Goldmacher von Rodaun“, dem Ludwig Bechstein mit dem Roman Geheimnis eines Wundermannes (1856) und Gustav Meyrink mit der Erzählung Der seltsame Gast (1925) literarische Denkmäler gesetzt haben.
Bleibt letztlich die Frage, was damals, anno 1745, wirklich passiert ist – war Sehfeld ein Betrüger und mit welchen Tricks konnte er die Familie Friedrich von seiner geheimnisvollen „Kunst“ überzeugen? Welche Intrigen wurden von den Neidern wie van Swieten gegen ihn gesponnen? Wer war dieser Mann wirklich?
1734–1800
DER HAND-
AUFLEGER
FRANZ JOSEPH
GRAF
VON THUN
Das reinste Fluidum, welches die Seele genannt wird, wird als ein magnetischer Strohm betrachtet, und dieser magnetische Strohm ist das belebende Fluidum woraus ein Chaos der Dinge entspringt, und das Organn der Gottheit zur Erhaltung des ganzen All bildet.
Franz Joseph Graf Thun, Encyclopedie
Mit dem Grafen Franz Joseph von Thun, tritt uns eine faszinierende Figur entgegen, ein Aristokrat, der sich im Spannungsfeld von Aberglauben, Aufklärung und Wissenschaft bewegt, ein Mann, der an Geister glaubt und sich gleichzeitig für die „halbgöttliche“ Luftschifffahrt begeistert, der nach der letzten Wahrheit sucht und den Menschen Gutes tun will, ein leichtgläubiger Schwärmer, der sich magischen Ritualen unterwirft, und ein gewandter Weltmann, der auf die Freiheit der Vernunft und den Fortschritt der Technik setzt – so begeistert er sich etwa auch für den berühmten „Schachtürken“ des Hofrats Wolfgang von Kempelen, von dem er glaubt, dass es sich tatsächlich um einen Automaten handelt (siehe dazu auch das Kapitel „Der große Illusionist“).
Franz Joseph von Thun wird am 14. September 1734 als ältester Sohn des reichen Landbesitzers Johann Joseph von Thun geboren, die Güter des Vaters liegen in Nord- und Mittelböhmen. Seine Mutter Marie Christine ist eine geborene Fürstin von Hohenzollern-Hechingen. Gemeinsam mit seinem Bruder Wenzel Josef beginnt er in Prag ein Studium der Rechte, das die beiden Brüder 1755 abschließen können. Wie in jenen Tagen für junge Adelige üblich, begeben sich die beiden Thuns anschließend auf Kavalierstour durch Europa. Auf dieser Reise, so soll Franz Joseph einem Freund erzählt haben, sei er auf einen „seltsamen Mann“ gestoßen, der ihn in die Geheimwissenschaften eingeweiht habe. Thun und sein Sekretär hätten von dem geheimnisvollen Fremden so etwas wie eine „Taufe“ und „geistige Instruktionen“ empfangen – Franz Joseph sieht sich von nun als „Wissender“. 1761 heiratet der junge Adelige Maria Wilhelmine Gräfin von Uhlfeld, die Tochter des Obersten Hofmeisters Anton Corfiz Uhlfeld, und tritt am Wiener Hof seinen Dienst als Kämmerer an, eine Stelle, die er wahrscheinlich bis 1785 ausgeübt hat. Das Ehepaar Thun hat sechs Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichen: der Sohn Josef Johann und die Töchter Marie Elisabeth, Wilhelmine Christine und Marie Karoline. Als erstgeborener Sohn erhält Franz Joseph von Thun 1785 ein Drittel des Familienvermögens, das Fideikommiss Klösterle (Klasterec nad Ohrí).
DER SALON THUN
Im Salon von Maria Wilhelmine Gräfin Thun nahe der Minoritenkirche treffen sich in den 80er-Jahren des 18. Jahrhunderts Künstler und Wissenschaftler, hohe Beamte und Aristokraten. Unter den Gästen sind Ignaz Born, Aloys Blumauer und Mozart, ja selbst Kaiser Joseph II. pflegt „fast wöchentlich einmal im Circle abends bei ihr einzusprechen“, wie der junge deutsche Weltumsegler und Freimaurer Georg Forster in seinen Briefen aus Wien berichtet. Forster, Mitglied der Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“, lernt in der Gräfin die „vortrefflichste, aufgeklärteste Dame in Wien“ kennen, er schätzt ihre Liebe zu den Wissenschaften und ihre „ausgebreitete Lektüre“, die es ermögliche, sich mit ihr in „feinster Unterredung“ zu ergehen. Sie hört ihm geduldig zu, wenn er ihr einen Abend lang englische Gedichte vorliest, er kann mit ihr aber ebenso über Fragen der Erziehung oder des Glaubens sprechen.