Sabine Müller

Das Erbe der Burgherrin


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hörte gespannt zu und begann zu überlegen. War das endlich die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hatte? Mutter und Sohn allein im Wald, ohne Wachen? Da wäre es doch für ein paar Räuber ein leichtes Spiel, die beiden zu entführen! Was würde Margareta sagen, wenn ihr Enkelsohn verschwände? Ein Lächeln huschte über Lorettas Gesicht.

      „Es reicht, es reicht“, rief der Pilger plötzlich, dessen Teller sie so reichlich füllte, dass er am Überlaufen war.

      „Oh, verzeih mir, ich musste gerade an früher denken.“

      Loretta wischte die verschüttete Suppe auf.

      Nachdem die Pilger ihre Mahlzeit beendet hatten, räumte sie ab und trug das schmutzige Geschirr in den Küchenbau. Ihre Gedanken begannen um das gerade Gehörte zu kreisen. Wie könnte sie es nur anstellen, dass man die junge Gräfin mit ihrem Sohn entführte? Sie wusste, dass zwei von Walthers ehemaligen Rittern in der Nähe von St. Thomas weilten. Wie konnte sie nur die beiden von einer solchen Tat überzeugen? Geld hatte sie nicht, und ob deren Rachebedürfnis den Homburgern gegenüber genauso groß war wie ihr eigenes, wusste sie nicht.

      Plötzlich kam ihr eine Idee. Man hatte im Kloster ein sehr wertvolles Gebetbuch angefertigt. Die Äbtissin war sehr stolz darauf. Vor ein paar Jahren war ein Goldschmied ins Kloster gekommen und hatte einen sehr filigranen Leben-Jesu-Rosenkranz eigens für die Gebete in diesem Buch angefertigt. Die Edelsteinperlen waren in pures Gold eingefasst. Seitdem gehörte dieser Rosenkranz zum Klosterschatz, der zusammen mit der Körperreliquie in einem Schrein in der Kapelle aufbewahrt wurde. Nur die Äbtissin hatte einen Schlüssel zu dem Schrein und bewahrte diesen in ihrem Schlafgemach auf. Loretta hatte ihren Plan gefasst.

      Bei der Zubereitung des Abendmahls beklagte sie sich bei der Köchin und den anderen über Bauchschmerzen und gab vor, mehrmals das Latrinenhäuschen aufsuchen zu müssen. Als sich später alle beim Abendessen befanden, verzog sie schmerzhaft das Gesicht und ging hinaus. Sie drehte sich um und sah nach, ob ihr jemand folgte. Die Luft war rein. Geschwind rannte sie zur Unterkunft der Äbtissin. Abermals drehte sie sich um und vergewisserte sich, dass sie niemand sah. Im Schlafgemach suchte sie nach dem Schlüssel des Reliquienschreins. Als sie ihn gefunden hatte, überquerte sie schnell den Hof zur Kapelle und versuchte den Schrein zu öffnen. Zuerst klemmte der Schlüssel, doch schließlich gelang es ihr. Schnell nahm sie den Rosenkranz und ließ ihn in eine Tasche ihrer Kutte gleiten. Dann verschloss sie den Schrein wieder, brachte den Schlüssel zurück und ging zum Abendessen. Bis man den Verlust bemerkte, würden mehrere Wochen vergehen, da die Reliquien nur an den Feiertagen herausgeholt wurden. Keiner würde sie verdächtigen.

      In der Nacht, als alle schliefen, schlich sich Loretta aus dem Dormitorium. Sie musste sich beeilen, wenn sie es in der kurzen Zeit, in der die Nonnen ruhten, bis nach Malberg schaffen wollte, wo Walthers ehemalige Ritter Hartmut und Wolfgang in den Dienst getreten waren. Sie huschte über den Klosterhof und verließ das Gelände durch eine kleine Pforte. Es war eine weite Strecke, die sie in der Nacht zurücklegen musste. Sie war dankbar, dass der Mond ihr den Weg leuchtete. Unterwegs erfrischte sie sich kurz an einer kleinen Quelle, bevor sie außer Atem die Burg erreichte.

      Es gelang ihr, sich unbemerkt in die Vorburg zu schleichen, wo die Ritter untergebracht waren. Loretta klopfte leise an Hartmuts Tür. Als niemand reagierte, öffnete sie und trat ein. Der Ritter lag in den Armen einer Magd und schnarchte laut. Loretta trat an das Bett, vorsichtig darauf bedacht, nur Hartmut zu wecken. Dieser rieb sich erstaunt die Augen und wollte gerade hochfahren, als Loretta ihn besänftigte.

      „Pst, sei leise, ich bin es, Loretta, deine alte Herrin.“

      „Was wollt Ihr hier mitten in der Nacht?“, fragte Hartmut erstaunt, der eine Weile brauchte, um zu sich zu kommen.

      „Rück ein wenig herüber, dein Liebchen braucht nichts mitzubekommen.“

      Vorsichtig entwand sich der Ritter der Magd und ging mit Loretta in die andere Ecke der Kammer.

      „Ich brauche deine Dienste und werde gut dafür bezahlen.“

      „Dann lasst mal hören.“

      „Ich habe von ein paar Pilgern erfahren, dass Mechthild, die neue Gräfin von Homburg, oft alleine mit ihrem Sohn Arnold im Homburger Wald unterwegs ist. Damals, als Walther hingerichtet wurde, habe ich Rache geschworen. Entführ diese Mechthild und ihren Sohn und ich werde dir dieses wertvolle Stück geben.“

      Loretta zeigte Hartmut kurz den goldenen Rosenkranz, der im fahlen Mondlicht schwach glänzte.

      „Und wenn du sie entführt hast, kannst du sie als Sklaven in ein Land verkaufen, wo sie niemand versteht und ihnen niemand helfen kann.“

      Kapitel 2

      „Gehen wir heute wieder zur Merburg?“, fragte der kleine Arnold seine Mutter erwartungsvoll.

      „Ja, wenn du möchtest. Wir holen uns nur noch bei Emma in der Küche einen Kanten Brot und Speck. Dann können wir an der Ruine etwas essen.“

      Mechthild liebte es, mit ihrem Sohn durch die Wälder zu streifen. Sie rückte ihre weiße Haube zurecht und strich ihr dunkelgrünes Kleid glatt. Dann nahm sie Arnold an der Hand und ging mit ihm zur Burgküche. Arnold hüpfte vergnügt auf und ab. Plötzlich entwand er sich seiner Mutter.

      „Ich hole schnell mein Schwert, damit ich dich beschützen kann!“

      „Ja, mach das. Wir treffen uns am Burgtor.“

      Mechthild schaute Arnold lächelnd nach. Wie gut der Junge seinem Vater glich! Das gleiche dunkelblonde, krause Haar und die strahlend blauen Augen. Auch das kleine Mal in Form eines Lindenblattes, welches schon seine Großmutter Margareta zierte, hatte er geerbt. Mechthild strich unwillkürlich über ihren Bauch. Ihre letzte Blutung lag eine Weile zurück und heute Morgen war ihr zum ersten Mal speiübel gewesen. Ob sie wohl endlich ein neues Kind in sich trug? Bei dem Gedanken an Konrad und was für ein Gesicht er machen würde, wenn er davon erfuhr, begann sie zu lächeln und dieses Lächeln trug sie immer noch auf dem Antlitz, als sie bei Emma in der Küche angelangte.

      „Was strahlt Ihr so, Herrin?“, fragte die junge, hagere Köchin erstaunt. Sie stand erst seit wenigen Monaten in den Diensten der Grafen von Homburg.

      „Ich musste gerade an etwas Schönes denken. Packst du mir schnell einen Kanten Brot und ein Stück Speck ein, Emma? Ich gehe mit Arnold zur Merburg. Er freut sich schon so darauf.“

      „Wollt Ihr nicht einen der Ritter bitten, Euch zu begleiten?“

      „Nein, das ist nicht nötig. Wir sind den Weg schon hundertmal gegangen!“

      „Aber Eure Schwiegermutter wird das nicht gutheißen, Herrin!“

      „Sie muss es ja nicht erfahren.“

      Mechthild schnappte sich den Beutel mit Essen, den Emma zusammengeschnürt hatte, und beeilte sich zum Burgtor zu gelangen. Emma sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Hoffentlich passierte nicht doch noch etwas.

      „Mama, Mama, wo bleibst du denn?“, empfing Arnold seine Mutter ungeduldig.

      „Emma hat ein bisschen länger gebraucht. Aber jetzt können wir los!“

      Gemeinsam machten sie sich auf den Weg am Ritterübungsplatz vorbei, der kurz nach Mittag immer verlassen da lag. Mechthild hatte keine Lust von einem Ritter begleitet zu werden, der möglicherweise die ganze Zeit den Kopf darüber schüttelte, dass sie als Gräfin mit ihrem Sohn im Wald spielte und sang. Die Frühlingssonne wärmte die Luft angenehm und die ersten Vögel zwitscherten. Bald würden die Büsche und Bäume ergrünen. Mechthild sog begeistert die Luft ein. Überall roch es nach Frühling.

      „Sieh, dort vorne sitzt ein Hase!“, flüsterte Arnold und schlich leise in die Richtung des Nagetiers. Der Hase richtete sich auf, schnupperte kurz und ergriff hakenschlagend die Flucht, als er die Witterung der beiden aufnahm.

      „Schade! Der sah so putzig aus, als er Männchen gemacht hat.“

      „Jetzt, wo das Wetter wärmer wird, werden wir noch oft Gelegenheit