noch nicht gesehen hatte. Die deutsche Wehrmacht bombardierte hauptsächlich die Großstädte und vor allem das weiter südlich gelegene Belgrad. Die Bombenangriffe dauerten die ganze Karwoche.
Gott sei Dank hatten wir einen großen Keller im Haus, in den wir bei den Bombenangriffen flüchten konnten. Zu diesem Zeitpunkt war unsere Walter-Urgroßmutter schon jahrelang bettlägerig: Sie hatte ein Bein verloren und wartete auf das Sterben. Gut in Erinnerung hatte ich noch ihr Jammern, dass sie nicht und nicht sterben konnte. Als sie von meinem Vater bei den Bombenangriffen in den Keller getragen wurde, meinte sie zunächst: „…, dass ich das noch verleben muss!“ und obwohl sie sich all die Jahre – nach ihren eigenen Worten – nichts seliger wünschte, als dass sie endlich sterben konnte, fragte sie meinen Vater: „Monscht, is‘ schon so weit?“
Abgesehen davon, dass in der Karwoche die Geschwader von Flugzeugen Richtung Belgrad flogen, war es sonst im Dorf gespenstisch ruhig; alles war wie gelähmt.
Zu Karfreitag waren neben dem Pfarrer zwei Messdiener in der Kirche: Der spätere Pater Schröder (Stift Göttweig in Österreich) und ich; nur fünf alte Frauen saßen in der ansonsten zu Ostern übervollen Kirche. Auch am Karsamstag waren neben dem Pfarrer die beiden gleichen Ministranten in der Kirche; mit Ausnahme einer alten Frau war aber die Kirche leer. Es war still in der Kirche; wir konnten aber die Geschwader der Bomber hören.
Als ich am Vormittag des Karsamstag 1941 von der Kirche nach Hause ging, sah ich Kolonen von Soldaten, die offenbar im Rückzug (vor den nahenden ungarischen und deutschen Einheiten) waren. Schröder und ich gingen unbekümmert nach Hause. In der Kirchengasse beim Haus meines „Franke-Großvaters“ (so wurde unser Gärtner-Großvater genannt) sah ich, dass das Tor einen Spalt geöffnet war und der Großvater uns zurief: „Buwe, geht’s hom, weil die verschieße euch!“ Wir gingen nach Hause; passiert ist uns nichts.
Um 13 : 00 Uhr am Karsamstag 1941 marschierten die Besatzer ein: Nach den Mitteilungen meines Vaters wurden deutsche Soldaten erwartet; gekommen ist das ungarische Militär. Um 17 : 00 Uhr vor dem Gemeindeamt war die „Siegesfeier“ anberaumt. Eine Musikkapelle spielte eine Hymne (oder mehrere Hymnen). Ich kann mich nicht erinnern, ob auch die deutsche Hymne („Deutschland, Deutschland über alles … “) gespielt und gesungen wurde; erinnern kann ich mich aber an die ungarische Hymne: „Isten alld meg a magyart“; dies heißt so viel wie: „Gott segne den Ungarn mit frohem Mut und Überfluss“. Ganz bestimmt weiß ich, dass nicht „Heil“ gerufen wurde, sondern „Eljen“, was auf Ungarisch wohl ähnliches bedeutet. Nach der Hymne (oder den Hymnen) war der ganze Spuk vorbei und ich ging nach Hause.
Nunmehr besuchte ich – als einer der wenigen Schwob’n – die ungarische Schule. Das war ein hartes Schuljahr, da ich zu Beginn kaum ungarisch konnte. Das Schuljahr schaffte ich mit Auszeichnung; ich war am Ende in der ungarischen Sprache in Wort und Schrift nahezu perfekt. Was ich damals noch nicht wusste, war, dass die Mehrsprachigkeit – und die Perfektion in der ungarischen Sprache – ein großer Vorteil sein würde.
Nach diesem politischen Umsturz ging das Leben in der Gemeinde zunächst im gleichen Trott weiter; nur die Parolen waren andere. Unsere Orientierung war weiterhin die Kirche. Mich störte aber, dass nunmehr in jeder Messe die ungarische Nationalhymne gespielt wurde.
Mein Vater wurde auch zur ungarischen Armee eingezogen, desertierte später und kam wieder nach Hause bis er dann ins Arbeitslager nach Russland deportiert wurde.
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