vom Mesmerismus erreichen. Er sei fähig, sich selbst in Trance zu versetzen und in diesem Zustand vorzutragen. Davis beschrieb dies mit Begriffen der ‚Korrespondenz’ und des ‚Einströmens’. Er sagte, dass er zwei Geistern begegnet sei, als er zum ersten Mal in diesen Zustand geraten sei. Diese hätten ihm Aufträge gegeben, wie er sein weiteres Leben gestalten solle. Der erste sei der Geist Galens gewesen, der ihm einen magischen Stab gereicht und ihn mit der Geistheilung beauftragt habe. Dies bezog Davis in sein magnetisches Heilen ein.
Der zweite und bedeutendere sei der mutmaßliche Geist Swedenborgs gewesen, welcher versprochen habe, Davis auf seinem Weg der spirituellen Aufklärung zu instruieren und zu führen. Von diesem Zeitpunkt an bräuchte Davis keine mesmerischen Mechanismen mehr, um in den Trancezustand einzutreten, denn „[…] er wurde von Swedenborg geleitet, um die großen Geheimnisse des Universums zu entdecken.” Davis war nicht länger auf magnetische Mechanismen angewiesen und popularisierte die Praxis eines selbstständigen Eintritts in den Trancezustand.250
1845 zog Davis mit einem Team von zwei Managern und einem Assistenten nach New York City. In den beiden folgenden Jahren diktierte er Vorträge aus dem selbstinduzierten mesmerischen Trancezustand. Bei den beiden Managern handelte es sich um den universalistischen Geistlichen und Verleger Samuel Brittan und dessen Schwager Dr. Silas Lyon, einen am Mesmerismus interessierten Arzt. Zu seinem Team gehörte später auch Rev. William Fishbourg, ein weiterer universalistischer Geistlicher. Dieser besaß eklektische philosophische Interessen und zeichnete die Vorträge zur späteren Veröffentlichung auf. Alle drei waren an Mesmerismus, Hellsichtigkeit und Swedenborg interessiert. Durch Davis’ Einkünfte als medizinischer Hellsichtiger und magnetischer Heiler konnte sich die Gruppe selbst finanzieren.251
Bei der Ankunft in New York City sandte der 19-jährige Davis einen Brief an Professor George Bush, in dem er behauptete, er habe eine Botschaft vom Geist Swedenborgs erhalten, welche lange diktierte Abhandlungen und die Buchstaben ‚AC’ enthalte, gefolgt von einer Zahlenfolge. Bush erkannte darin schnell einen Bezug auf nummerierte Abschnitte aus Arcana Coelestia. Das Diktat stimmte damit ebenso überein. Bush besuchte Davis und nahm an dessen Diktaten im Trancezustand teil, und obgleich er sich über die Identität des Geistes nicht sicher war, mit dem Davis Kontakt hatte, war er doch beeindruckt davon, wie viele swedenborgianische Ideen dieser ungebildete Mann aussprach. Bush untersuchte das. Während Davis im Trancezustand war, zitierte er viele Seiten von Swedenborgs Schriften offenbar nahezu wörtlich. Bush war sehr beeindruckt, dass der ungebildete Davis in seinen Trancezuständen Hebräisch, Griechisch und Latein sprach, Sprachen, die er im bewussten Leben nicht beherrschte. Diesen Vorträgen wohnten unter anderem auch Edgar Allen Poe, Woodbury Fernald und Thomas Lake Harris bei.252
1847 veröffentlichte Davis, der ‚Seher aus Poughkeepsie’, 57 dieser Vorträge unter dem Titel The Principles of Nature, Her Divine Revelations, and a Voice to Mankind. Diese Veröffentlichung wurde aufgrund des Zeugnisses von Bush, der Davis inzwischen förderte, weitgehend akzeptiert. Das Buch umfasste auch die swedenborgianischen Lehren vom Großen Menschen, von der Wissenschaft der Entsprechungen, das Konzept des Einströmens sowie vom Verhältnis zwischen der Welt der Materie und der Welt der Geister – alles in swedenborgianischer Begrifflichkeit. Enthalten waren sogar wissenschaftliche Ideen Swedenborgs, wie etwa seine Teilchentheorie und die Sternennebel-Hypothese. Einige Passagen entsprachen nahezu wörtlich Swedenborgs Arcana Coelestia.
Verständlicherweise glaubten zuerst viele, es handle sich um ein swedenborgianisches Buch. Gleichwohl zeigten sich nach dem ersten Hinsehen offensichtlich erhebliche Differenzen zu Swedenborgs Anschauungen. Davis nahm einige bedeutende Veränderungen vor, so leugnete er etwa die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift, die Göttlichkeit Christi und die Existenz der Hölle. Einige Historiker meinten später, es handle sich um einen ‚amerikanisierten’ Swedenborg. So beschrieb ihn etwa die Historikerin Catherine Albanese ironisch als den ‚amerikanischen Swedenborg’. Sie sagte von Davis, „[…] dass der amerikanische Swedenborg den schwedischen unbekümmert korrigiert […]”, wobei sie sich darauf bezog, dass [der schwedische] Swedenborg mit seinen drei Stufen der Hölle daneben gelegen habe. Die Bezeichnung ‚Hölle’ sei nicht absolut, sondern bloß relativ wahr. Offenbar galt für Davis, dass die drei unteren Ebenen der geistigen Realität von Geisterwesen bevölkert wären, die nicht voll entwickelt, doch nicht böse seien. Davis schloss, obgleich es sieben Stufen der geistigen Welt gebe, wie es Swedenborg beschrieben habe, dass deren Reihe von den unentwickelten aufwärts bis zu verfeinerten und himmlischen reiche – kurz, dass es keine Hölle gebe. Obgleich Davis von vielen Historikern als Swedenborgianer bezeichnet wurde, waren die Swedenborgianer der Neuen Kirche damit gar nicht einverstanden. Dennoch vermittelte er vieles von Swedenborgs Philosophie, Kosmologie, Theologie und sogar seiner Naturwissenschaft in den öffentlichen Raum, manches davon nahezu wörtlich, anderes bedeutend verändert.253
Bush distanzierte sich schnell von Davis’ Werk. Er beklagte sich über die Veränderungen an Swedenborgs Lehre und war ausdrücklich anderer Meinung als Davis. Bush antwortete mit einem Buch Davis’ Revelations Revealed und griff darin Davis’ The Principles of Nature an, sie seien nicht würdig, mit Swedenborg assoziiert zu werden. Die Zeitschrift der Neuen Kirche The New Church Magazine erklärte sofort, Davis’ Buch sei unerträglich und Davis befinde sich im Irrtum. Die Zeitschrift freute sich auch über Professor Bushs Rückkehr in die Gemeinde:
„[…] Professor Bush hatte nicht nur offene Augen für Davis’ monströse Irrtümer, sondern er zögerte auch nicht zu äußern, dass das Buch keines Vertrauens würdig sei.”
Obgleich Bush die Kommunikation mit Geistern für möglich hielt, schloss er doch, dass vitale Wahrheit durch diesen Kontakt nicht vermittelt würden. Er erkannte, dass Swedenborgs Schriften weit oberhalb jenes Bereiches angesiedelt seien, welcher durch Wahrheiten moderner Geisteroffenbarungen übermittelt würde.254
Bush richtete seine Energien auf lohnenswertere Aktivitäten innerhalb der New Yorker swedenborgianischen Kirche und nahm Abstand von Davis und der aufkommenden spiritistischen Bewegung. 1852 zog er sich von seiner Pastorenstelle in New York City zurück. Trotz seiner antiklerikalen Position blieb er intellektuell und politisch noch bis zu seinem Tod innerhalb der Neuen Kirche aktiv. Er führte eine lebhafte Korrespondenz mit Mitgliedern der Neuen Kirche weltweit, darunter in England, Schottland, Frankreich, Deutschland und natürlich in Nordamerika.255
Man kann sicher sagen, dass Bush ein Freier Geist war, der viele Anschauungen, die außerhalb der organisierten Neue Kirche standen, wie etwa den Mesmerismus, akzeptierte und es anderen radikalen Ideen ermöglichte, in der Neuen Kirche zu bestehen. Die Bewegung der Neuen Ära ist hierfür ein Beispiel. Bush war wahrscheinlich der einflussreichste Freie Geist, der mit der Neuen Kirche verbunden war. Seine Bedeutung für den Spiritismus ist ebenfalls bemerkenswert. Er verstärkte den Einfluss der Anschauungen Swedenborgs auf Davis (und ebenso auf diejenigen in Davis’ Umgebung) und verlieh dem jungen und ungebildeten Davis Glaubwürdigkeit in einer für dessen Berufslaufbahn entscheidenden Zeit. Bushs Verteidigung und Unterstützung für Davis’ erstes größeres Buch The Principles of Nature, Her Divine Revelations, and a Voice to Mankind verhalf diesem zu Ruhm innerhalb der gebildeten Schicht. Und es ermöglichte Davis, aufzublühen und seine produktive Schriftstellerei und Vortragstätigkeit fortzusetzen, was zu einer revisionistischen Version von Swedenborgs Ideen führte, die wiederum zur Leitphilosophie der neuen Bewegung des amerikanischen Spiritismus werden sollte.
11. DIE PHILOSOPHIE DER HARMONIE UND DER FRÜHE SPIRITISMUS
DIE PHILOSOPHEN DER HARMONIE
Die kleine Gruppe, welche sich in New York von 1845 bis 1847 um Davis bildete, ist als die der ‚Philosophen der Harmonie’ bekannt. Seit Beginn von Davis’ Berufslaufbahn war ‚Harmonie’ eines seiner Kernthemen. Weil sein eigenes Leben durch Streit geprägt war, entwarf er ein Utopia, das entstehe, wenn die Menschheit sich spirituell in einer universalen Harmonie mit dem Nächsten, mit der Natur und Gott entwickelte. Davis formulierte seine eigene Version swedenborgianischer Kosmologie und Philosophie, grab ganze Abschnitte der wissenschaftlichen und theologischen Ideen Swedenborgs (etwa von der Bewegung des Gehirns) aus und bezog sie in seine Paradigmen mit ein, die auf Swedenborgs Anschauungen