Klaus Huhn

Kennedy und die Mauerbrigaden


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doch schon erörtert.«

      Das zunehmende Missbehagen des Vorsitzenden war nicht zu ignorieren.

      Ich wagte dennoch zu sagen: »Ich gebe ja zu, dass niemand leugnen kann, wann wer die Mauer wo errichtet hat. Aber ebenso wie man die Chinesische Mauer nur zu erklären vermag, wenn man die Situation der Zeit berücksichtigt, in der sie errichtet wurde, gilt das auch für die Berliner Mauer. Die Feststellung: ›Ein Volk wurde eingemauert‹ reicht da ebensowenig als Erklärung, wie etwa die Behauptung, die Chinesen seien damals eingemauert worden.«

      Die Rothaarige schien, ließ ihre Miene ahnen, zu erwägen, mich im Gerichtssaal durch Peitschenhiebe abstrafen zu lassen, die Richter flüsterten miteinander. Ich fürchtete, dass ich vielleicht zu weit gegangen war.

      II. Wir hoffen auf eine friedliche Lösung

      In die entstandene Pause hinein fragte ich: »Was glauben sie, von wem die folgenden Worte stammen: ›Besser als eine Maschinengewehrgarbe für Berlin sei nach seiner Meinung die stufenweise Anwendung wirtschaftlicher Sanktionen… von der Drosselung bis zur Einstellung der Stahllieferungen…‹«

      Der Richter sah verdrossen drein, wohl auch weil er keinen Zusammenhang zwischen der Chinesischen Mauer und der Einstellung von Stahllieferungen an die DDR erkennen konnte.

      Er sagte scharf: »Das ist hier keine Quizrunde!«

      Aber dann schien es ihn plötzlich doch zu interessieren, von wem die Äußerung stammte.

      Ich beeilte mich mit der Antwort: »Franz Josef Strauß, war es, wie die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ am 31. 1. 1961 mitgeteilt hatte.«

      Und fuhr eilig fort: »Und zur Kenntnis nehmen sollte man auch, dass das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung am 12. August 1961 – das Datum scheint mir wichtig – ein Interview mit Kennedy publiziert hatte.«

      Mit einem Mal schien der Richter sichtlich interessiert. »Mit Kennedy? Am 12. August?«

      Ich nickte und griff zum nächsten Blatt: »Die erste Frage lautete: ›Herr Präsident, ich hätte gern ihre Stellungnahme zu einer Passage in der Rede Chrustschows. Er sagt in Verbindung mit einem Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und der ostdeutschen Regierung: »Wir beabsichtigen nicht, irgendwelche legitimen Rechte der Westmächte zu verletzen. Es ist von keinem Verbot des Zugangs nach West-Berlin, von keiner Blockade West-Berlins die Rede.« Steckt da eine Falle dahinter?‹

      Kennedy: ›Ich glaube, sie müssen die Rede als Ganzes lesen. Ich glaube, es wurde erwähnt, dass wir mit der ostdeutschen Regierung in Verhandlungen eintreten sollen, um zu dem Ergebnis zu kommen, das vorgeschlagen wurde. Es gab eine ganze Reihe von Vorschlägen über die Rechte der ostdeutschen Regierung: den Zugang zu kontrollieren und auch das Territorium von West-Berlin zu kontrollieren – und deshalb sollte die Rede als Ganzes gelesen werden. Aber ich glaube, dass wir alle verfügbaren Mittel anwenden sollten, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob eine friedliche Lösung erreicht werden kann, die die Rechte der Bevölkerung von West-Berlin und unsere eigenen Rechte schützt.‹

      Eine weitere Frage: ›Herr Präsident, wenn es um Berlin zum Kampf kommen sollte – d.h. wenn die Friedensbemühungen fehlschlagen – glauben Sie, dass der Kampf auf einen konventionellen Krieg beschränkt werden kann oder dass er zum Einsatz nuklearer Waffen führt?‹ Die Antwort des Präsidenten lautete: ›Wir hoffen sehr, dass wir imstande sein werden, eine friedliche Lösung zu erreichen.‹«

      Der Richter unterbrach mich: »Liegt dieses Interview bei den Akten?«

      »Das weiß die Staatsanwaltschaft sicher genauer als ich…«

      Der Vorsitzende beflüsterte sich mit seinen Beisitzern und verkündete dann zur allgemeinen Überraschung: »Wir vertagen die Sitzung auf den 14. Also bis nächsten Dienstag!«

      Die Staatsanwältin protestierte, meine Anwältin stimmte ihr zu. Warum, begriff ich nicht.

      Der Richter sagte, schon fast an der Tür, zur Staatsanwältin gewandt: »Möglich, dass wir tatsächlich prüfen müssen, ob es sich um Volksverhetzung im Sinne des Gesetzes handelt.«

      Die Staatsanwältin hatte erregt das Barett abgelegt. Ihr wallendes rotes Haar unterstrich ihre Empörung: »Das fehlte noch, Herr Vorsitzender, dass der Angeklagte uns hier belehren wird, warum diese Mauer errichtet wurde. Und das nach Jahrzehnten? Und nachdem alle Welt sich in dieser Frage einig ist. Mit mir nicht!«

      Darauf der Richter kühl aber dabei freundlich lächelnd: »Da bliebe Ihnen – juristisch betrachtet – nur der Verzicht auf die Klage!« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

      III. Chancen wie Kohlhaas?

      Die Anwältin und ich fuhren durch die Stadt, bis uns einige freie Parkplätze vor einem Restaurant bewogen, bei einem gemeinsamen Essen die nächsten Schritte zu erörtern.

      »Das kann teuer für Sie werden! Haben Sie das bedacht?«, fragte sie, irgendeinen grünen Tee schlürfend. Ich stierte auf ihren schmucklosen flachen Pullover, der nicht verriet, ob sie überhaupt einen Büstenhalter trug.

      Ich bestellte Schnitzel mit frischem Spargel.

      Sie auch, ließ sich dazu einen trockenen Weißwein bringen und fragte: »Was ich nicht verstehe: Alle sagen: Ulbricht hat die Mauer gebaut, weil die Leute in Scharen davonliefen. Warum das bestreiten? Ulbricht ist längst tot, die Davongelaufenen haben sich in Uelzen oder im Schwarzwald ein Haus gebaut, ihre Enkel sind erwachsen und es interessiert sie nicht die Bohne, warum diese Mauer oder andere errichtet wurden. Ist das nicht ein Hauch Michael Kohlhaas?« Zwischendurch: »Der Spargel ist exzellent.«

      »Kohlhaas?«, fragte ich. »Der wurde gehenkt und danach sehne ich mich nicht sonderlich. Aber wenn sie sich erinnern, wurde auch der Tronka-Burgherr, der Kohlhaas die Pferde gestohlen und damit allen Ärger ausgelöst hatte, verurteilt…«

      »…und sie wissen hoffentlich, dass ihnen Knast droht. Könnten drei Monate sein, aber auch fünf Jahre!« Sie lächelte: »Haben sie schon mal gesessen? Kennen sie Knast von innen? Gar nicht dran zu denken, dass es ihnen wie Kohlhaas ergeht: Sie bekommen recht – und werden anschließend gehenkt.«

      Sie bestellte ein zweites Glas Wein, und sagte so bestimmt wie ich es ihr nie zugetraut hätte: »Es geht um das Buch, nichts sonst. Selbst wenn sie morgen ein Dokument bringen, das belegt, Kennedy habe die Mauer begrüßt, nützt ihnen das herzlich wenig. Paragraph 130 ist das Thema! Und kaum jemand ist bereit, hinzunehmen, was sie geschrieben haben. Ganz unter uns: Hat ihnen das Buch so viel eingebracht, dass sie eine fünfstellige Kaution hinblättern könnten?«

      Ich hatte ihr diese Frage nicht zugetraut. Sie erhärtete sie noch: »Noch mal: Wir haben keine Chance!«

      Ich widersprach: »Ich habe über die Geschichte der Mauer geschrieben, Fakten aufgelistet, darunter manche, die nicht in das Bild vom ›Einmauern‹ passen – und das allein sollte reichen, mich der Volksverhetzung zu bezichtigen?«

      Sie: »Die Leute sind der DDR in Scharen davongelaufen, das ist die Wahrheit…«

      Ich: »Das trifft zwar zu, war aber letztlich nicht der Umstand, der den Befehl auslöste. Und – das habe ich heute schon erwähnt – es bliebe doch die Frage, wovor laufen sie seit dem Tag weg, da die DDR unterging und die große Freiheit über das Land kam?«

      Sie lächelte. »Mich müssen sie nicht überzeugen, aber sie bleiben ein Kohlhaas, wenn sie glauben, ein Gericht davon überzeugen zu können!«

      Mir wurde klar, dass sie wenig Lust verspürte, sich weiter diesem hoffnungslosen Fall zu widmen.

      »Also soll ich in den Knast gehen? Besuchen sie mich wenigstens?«

      Sie zauderte einen Augenblick zu lange und antwortete dann höflich: »Ich glaub' schon!«

      Ich tat, als riebe ich mir Tränen aus den Augen. »Armer Kohlhaas – war im Recht und wurde gehenkt!« Und fügte