Omar Khir Alanam

Sisi, Sex und Semmelknödel


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hätte, Fahrradkette, sagt man da angeblich. Auch so eine Redewendung, die mir nicht in den Kopf will. Eines von den guten alten arabischen Sprichwörtern kann es jedenfalls nicht sein. Oder bestenfalls in einer sehr, sehr schlechten Übersetzung.

      »Du sagst das«, sagt Alena, »wenn du eine Fehlentscheidung nicht mehr rückgängig machen kannst. Oder etwas nur in deinem Wunschdenken möglich ist.«

      Wunschdenken auf Arabisch sieht anders aus. Aber bleiben wir noch bei meinem Freund. Der lässt nämlich nicht locker.

      »Na, was ist, Omar? Raus mit der Sprache!« Du meine Güte. Der redet auf einmal so viel und so schnell wie ein Araber, habe ich in diesem Moment gedacht. Dabei ist er doch Österreicher. So wie ich mittlerweile auch. Auf eine gewisse Art.

      Aber, bin ich das denn wirklich? Wer bin ich, nach fünf Jahren hier und nicht mehr dort?

      Meinem Freund ist das jetzt gerade ziemlich egal. Er überschüttet mich mit Fragen. Alles will er wissen zu meinem neuen Buch. Einfach alles. Man könnte sagen: Er gießt seine Neugierde über mir aus, dass sie zu schäumen beginnt. Wie wenn ein Araber die Teekanne beim Ausschenken gekonnt hoch in die Luft zieht, einen Meter oder so, sodass sich der Chai aus immer größerer Höhe ins Glas ergießt. Natürlich, ohne dass ein einziger Tropfen daneben geht.

      Das Ergebnis?

      Ein fantastisches Getränk, das für Freundschaft und Wärme und Herzlichkeit steht. Natürlich ohne Milch. Weil Milch und schwarzer Tee – das geht gar nicht. Dafür aber muss er aus hochwertigem schwarzem Tee gebraut sein. Je hochwertiger, desto besser. Also kein Teesack. Nein. Es heißt ja Teesackerl. Oder Beutel. Egal. Angereichert mit frischer Minze sollte er sein. Oder mit einer Kardamomkapsel ganz zum Schluss. Und mit ganz, ganz viel Zucker. Das alles ergibt am Ende, im Glas, den perfekten Schaum und den göttlichen Geschmack.

      Mmhhmm.

      Genau so, denke ich mir, schäumt die Neugierde meines Freundes. Kein Wunder, überlege ich weiter. Neugierde ist sein zweiter Vorname. Er atmet sie den ganzen Tag. Neugierde ist sein Sauerstoff und Treibstoff. Neugierde wärmt ihm das Blut wie anderen Menschen die Lust auf Abenteuer. Oder die Freude am Anblick einer wunderschönen Frau. Das muss ich jetzt sagen. Als gebürtiger Araber. Klischees verpflichten.

      Kein Wunder, sage ich still zu mir, dass er fast platzt vor Neugierde. Er ist ja auch Journalist. Und trotzdem (wie hat Alena gesagt?) vertrauenswürdig.

      »Das Buch heißt Sisi, Sex und Semmelknödel«, sage ich.

      Glauben Sie mir: Es tut gut, Menschen, die behaupten, niemand Neuen mehr treffen zu wollen, weil sie alles dutzendfach gesehen und gehört haben, plötzlich riesengroße Augen machen zu sehen. Augen, so groß wie ein Fladenbrot, das du frisch aus dem Ofen holst. Oder das du, wie es die Beduinen machen, aus der Glut ausgräbst, ein paar Mal kräftig an deiner staubigen Djellaba abklopfst, so dass alle beide wieder sauber sind – der Kapuzenmantel und das Brot. Und fertig.

      Weil: Die Augen meines Freundes haben, als ich ihm den Titel verraten habe, nicht nur ordentlich an Größe zugelegt, sondern auch geglüht. Und in ihnen, den Augen, ist da so ein Fragezeichen aufgetaucht. Riesengroß. Das hätte locker von Graz bis nach Damaskus geblinkt. Damaskus. Meine alte Heimatstadt in Syrien. Oder besser gesagt: die große Schwester meiner Heimatstadt Ost-Ghuta.

      Kennen Sie Ost-Ghuta?

      Vermutlich nicht persönlich. Eher aus den Nachrichten. Ost-Ghuta, das ist dort, wo Bashar al-Assad am liebsten seine Bomben auf das eigene Volk fallen lässt. Aber darum geht es jetzt gerade nicht.

      Jetzt gerade geht es um das neue Buch. Sisi, Sex und Semmelknödel. Und um die wie feinster arabischer Tee schäumende Neugierde meines österreichischen Freundes, als ich ihm auch den Untertitel verrate:

      Ein Araber ergründet die österreichische Seele.

      »Alles Gute dabei«, ruft er spontan und tut, als wollte er gehen. Doch dann fängt sich mein neugieriger Journalisten-Freund wieder, und sagt:

      »Omar, wenn du wissen willst, wie wir sind, nein: wie wir auch sind, und wie auch du bald sein wirst, ob du willst oder nicht, na ja, vielleicht, dann musst du dir einen Film ansehen. Klapp deinen verdammten Laptop auf!«

      Einen Film? Zeigt er mir jetzt, dass Andreas Gabalier seine Lederhose nicht mehr auszieht, weil er darin festgewachsen ist? Oder einen alten Sisi-Film? Warum die Menschen zu so einem alten Film auch Schinken sagen, werde ich wohl niemals begreifen. Was haben Schweineschenkel mit alten Filmen zu tun? Oder sagen sie das nur, weil sie uns Moslems ein bisschen ärgern wollen? Wobei ich schon sagen muss: Als ich Sisi (den Film) zum ersten Mal sah, dachte ich instinktiv: Was da geschieht, ist schon sehr seltsam. Aber doch auf eine gewisse Weise durch und durch arabisch. Ich komme noch darauf zurück.

      Was für einen Film also? Außerdem … was soll das überhaupt heißen?

      Wie du auch bald sein wirst.

      Als ich erstmals österreichischen Boden betrat und begonnen habe, ganz vorsichtig und ziemlich ängstlich Fuß zu fassen, war erstmal das hier angesagt: das große Staunen. Österreich war mir bis dahin kein Begriff gewesen. Nein, ich zählte vielmehr zu denen, über die man hier so gerne lacht: Menschen nämlich, die darunter Australien verstehen. Ein echter Klassiker also.

      Österreich kam in meiner syrischen Welt überhaupt nur in einem einzigen Wort vor. Sie haben es erraten: in einem Sprichwort.

      Kol o ensa – rou a nemsa.

      Ein Reim aus meiner Kindheit, der übersetzt so viel bedeutet wie: Iss und vergiss. Und geh nach Österreich. Nemsa. So lautet bekanntlich das arabische Wort für Österreich.

      Alenas Mama Ruth meint, die deutsche Entsprechung könnte diese sein: Friss oder stirb! Das wäre jedoch wenig schmeichelhaft für Österreich, weil es dann ein Ort wäre, den du besser meidest und stattdessen lieber alles runterschluckst, was so daherkommt. Nein, dieses Bild gefällt mir gar nicht. Weil das Gegenteil der Fall ist. Und man merkt hier, wie sanft die arabische Sprache im Vergleich zur deutschen ist. Dennoch schreibe ich auf Deutsch.

      Jedenfalls bekamen meine Freunde und ich diesen Reim immer dann zu hören, wenn es uns nicht gut ging. Oder wir aus irgendeinem Grund beleidigt waren. Oder unzufrieden. Die tiefere Bedeutung habe ich bis heute nicht begriffen. Vielleicht gibt es ja auch gar keine. Wie das bei Redensarten oder Sprichwörtern schon mal vorkommt. Oder weil wir die Hintergründe nicht kennen und die Worte einfach nur nachplappern.

      Ganz anders bei Deutschland. Auch wenn ich bis zu meinem ersten Tag in Österreich nicht ein einziges Wort Deutsch gekonnt oder auch nur je zuvor gehört hatte – Deutschland, ja, das stand für etwas. Schon damals. Deutschland, Almanya, war und ist in Syrien der Inbegriff für Technik. Für Präzision. Für Maschinen. Dazu zählt in der Wahrnehmung der Syrer allerdings auch ein sehr übles Gerät: der deutsche Stuhl. Ein Folterinstrument aus beweglichen Teilen, mit dem der Körper von Gefangenen überdehnt wird, was häufig auch dazu führt, dass den Opfern irgendwann die Wirbelsäule gebrochen wird. Geflohene Nazischergen sollen dieses Teufelsgerät seinerzeit nach Syrien gebracht und dort populär gemacht haben.

      Aber bleiben wir lieber bei jener deutschen Technik, die zurecht mit Ruhm bedacht wird. Autos zum Beispiel. Darum muss ich auch immer lachen, wenn ich einen aus der syrischen Community hier in Österreich am Steuer eines Wagens sehe. Des eigenen Wagens. Egal wie klapprig oder schrottreif die Kiste auch sein mag. Der ganze syrische Stolz einer gedemütigten, unterdrückten und von Krieg geschlagenen Nation sitzt da hinterm Lenkrad. Weil diese alte, klapprige Kiste dafür steht, was viele Araber (aber auch Menschen vom Balkan und aus der Türkei) mit Glück verbinden. Mit Wohlstand. Damit, es auch in der Fremde geschafft zu haben. Hauptsache, dass der Wagen einen dieser drei bis ins ferne Arabien klingenden Namen trägt:

      Audi.

      BMW.

      Mercedes.

      Glück ist eine Oase, die zu erreichen nur träumenden Kamelen gelingt, besagt eine alte Beduinenweisheit. Und die zweibeinigen syrischen Kamele träumen eben von einem deutschen Auto als Schlüssel zum Glück. Egal, ob es hinten