Omar Khir Alanam

Sisi, Sex und Semmelknödel


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Ob Hunde oder Katzen oder Hasen. Egal, Hauptsache Klischee und Clash of Cultures.

      »Was bin ich?«, frage ich Alena und Ruth ein zweites Mal. »Nach fünf Jahren zwischen den Kulturen?«

      Bin ich das überhaupt, überlege ich still, während ich auf Antwort warte. Bin ich wirklich zwischen den Kulturen? Bin ich auf dem Weg von der einen zur anderen? Was trennt sie? Was verbindet sie? Sind das Arabische und das Westliche, wie es so schön heißt, Morgenland und Abendland, tatsächlich auf Crashkurs, wie ich oft zu hören bekomme? Weil es gar nicht anders geht? Statt Clash ein Crash of Cultures sozusagen?

      »Du bist ein austro-arabischer Hybrid«, sagt Ruth.

      »Du bist nicht Fisch und nicht Fleisch«, sagt Alena.

      Dann lachen Mutter und Tochter aus ganzem Herzen.

      Nicht Fisch und nicht Fleisch.

      Ja, etwas Ähnliches kenne ich auch. Wir Araber (oder doch schon: Wir Österreicher?) lieben ja die Sprichwörter. Habe ich das schon erwähnt? Ja, wir lieben sie. Mehr als ihr. Mehr als wir.

      Wir lieben Sprichwörter mehr als wir.

      Das ist Blödsinn. Ihr. Wir. Was weiß denn ich. Jedenfalls haben (wir oder die) Araber wirklich für alles ein Sprichwort. Immer und überall. Und natürlich haben wir (oder sie) bei so gut wie keinem eine Ahnung, wo es herkommt und was es früher einmal bedeutet hat. Ach, das habe ich auch schon erwähnt?

      »Das ist bei uns auch nicht anders«, sagt Alena. Alena hat es gut: Sie kann das einfach so sagen: bei uns.

      Aber ich?

      Und schon bin ich mittendrin gelandet. Bei uns. Das ist auch so eine Geschichte, die mich beschäftigt hat und die sofort als Stichwort in mein Notizbuch hineingesprungen ist, als ich angefangen habe, an Sisi, Sex und Semmelknödel zu denken. Eine Geschichte, die mich auch jetzt, nach Erscheinen des Buches, weiter beschäftigt. Ja, (Achtung, österreichischer Konjunktiv!!!) ich würde sogar sagen: mehr als je zuvor.

      Würde. Sage ich es nun oder sage ich es nicht?

      »Das«, sagt Alena, »verbindet unsere Kulturen auch.«

      »Was?«, frage ich.

      »Die Vielfalt und zugleich Ahnungslosigkeit.«

      Damit kann ich leben. Weil es wirklich verbindet.

      Alle Menschen sind klug, die einen vorher, die anderen nachher. Nur wenn es darauf ankommt, ist jeder dumm.

      Genau. Auch arabisch. Damit müssen Sie leben, liebe Leserinnen und Leser. Mit meinen Sprichwörtern. Alena muss es auch. Aber wir einigen uns darauf: Ja, die/wir Araber haben für wirklich alles das passende Sprichwort. Und: Nein, sie/wir haben zumeist keine Ahnung, woher die Sprichwörter stammen und was sie ursprünglich bedeutet haben. Ach, das habe ich auch schon erwähnt?

      »Ja, hast du«, sagt Alena. Alena, das ist übrigens auch jene Frau in meinem Leben, über die ich in meinem ersten Buch Danke geschrieben habe:

      »Was ich weiß, hier in Graz, was ich gelernt … habe, sind auch diese Worte eines Schriftstellers: Wenn du einen Flüchtling liebst, versuche das letzte Zelt für ihn zu sein. Das ist Heimat. Und ich weiß, dass ich eine Frau gefunden habe, die für mich das letzte Gedicht war. Ist. Die mir Heimat ist. Und ich weiß: Ich bin angekommen. Ich darf eine Stimme haben für die tausenden, die keine mehr haben.«

      Alena ist nicht das einzige, aber sie ist mein stärkstes Bindeglied zwischen den Kulturen. Eine Art Kupplung. Das Schöne daran ist: Auch Alena macht oft Augen groß wie ein Fladenbrot und frisch aus der Glut. Das bringt die Begegnung der beiden Kulturen, denen wir entstammen, einfach mit sich.

      Ist das nicht wunderbar?

      Und noch etwas habe ich in Danke geschrieben. Zum Thema Kultur.

      »Kultur … ist etwas, das fast überall drinsteckt. Oder sollte. Im Körper. Im Geist. Im Verhalten. In der Kreativität. Im Boden eines Ackers. Ganz egal. Kultur ist Kraft. Zwei verschiedene Kulturen sind zwei verschiedene Kräfte. Wir können sie verwenden, um einander damit zu beschimpfen. Auszugrenzen. Zu hassen. Zu beschießen. Und zu töten. Oder wir können sie zu einer gemeinsamen Kraft bündeln. Wie einen Lichtstrahl, der aus vielen dünnen zu einem dicken wird und auf einen kleinen Mann auf einer Bühne fällt, der seine Beine nicht spürt.«

      Dieser kleine Mann, der in dem Text seine Beine (vor Aufregung) nicht spürt, war ich. Damals. Bei meinem ersten Poetry Slam. Hier, in Österreich. Vor drei Jahren.

      Aber: Jetzt ist Schluss mit den alten Geschichten. Wenn ich anfange, von mir selbst abzuschreiben, bin ich nicht besser als ein Politiker, der seine Doktorarbeit abschreibt oder sie sogar schreiben lässt und später in Brüssel als EU-Kommissar groß Karriere macht, sage ich mir. Soll ja schon vorgekommen sein. Dabei denke ich an meinen neugierigen Freund, der mich bestimmt schimpfen würde. Weil ich mich selbst zitiere und dabei alte Hüte aufwärme.

      Sagt man das so? Alte Hüte aufwärmen? Warum wärmen Menschen ihre Hüte auf? Noch dazu alte?

      Ich denke darüber nach und komme bald auf einen braunen Zweig. Nein, der Zweig ist grün. Vielleicht, sage ich mir, hat es ja mit dem Wetter hier zu tun. Ich würde es verstehen, wenn Menschen ihre Hüte aufwärmen und danach, wenn sie ofenwarm wie ein Fladenbrot sind, über den Kopf stülpen. Bis hinunter über die Ohren. Einfach, damit ihnen die Gedanken nicht einfrieren. Wie sonst sollen sie diese Kälte aushalten? Brrrrrrrrr.

      Und dafür nehmen sie eben lieber alte Hüte her. Das leuchtet mir ein. Weil es bei alten Hüten ziemlich egal ist, wenn etwas schiefläuft und sie beim Aufwärmen auseinanderfallen. Oder sich verkriechen. Oder sich zusammenziehen, bis sie sooo klein sind. Wie wenn ein Mann in eiskaltes Wasser springt und dann nackt an sich hinabsieht und entdeckt, dass ER… na, Sie wissen schon. Sooo klein, wie man IHN auf der Herrentoilette nicht zu Gesicht bekommt. Weil man lieber in eine Fliesenwand starrt und schweigt. Und dem Hut, sage ich mir, geht es auch nicht besser. Kein Wunder. Bei den Temperaturen.

      Apropos Hut: Ist der Hut, den Andreas Gabalier auf der Bühne trägt, auch so ein alter? Trägt Gabalier überhaupt Hut, wenn er singt? Oder singt er alte Hüte? Singt Gabalier überhaupt?

      Ich weiß es nicht. Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten, sagen wir Araber. Die Araber. Daran muss ich wohl noch arbeiten auf meinem Weg zum gelernten Österreicher. Ich muss gewisse Wissenslücken auffüllen wie der Zahnarzt einen hohlen Zahn. Was ich weiß, ist: Gabalier macht es auch mit dem Terminator. Der mit dieser besonders lustigen Variante des ohnehin schon lustigen steirischen Dialekts. Arnie rufen sie ihn hier. Ja, Arnie und der Gabalier. Das ist noch gar nicht so lange her. Mai, 2019. »Pump it up«, heißt der Titel, hab ich gelesen. Der … Song? Ein Duett jedenfalls. Oder sollte man besser sagen: Duell?

      Wie auch immer. Das Ganze fügt sich nahtlos ein in die Reihe jener vielen Dinge hier, in Österreich, die mich ratlos zurücklassen. Und wo ich dann zu Alena gehe, sie in den Arm nehme und sage:

      »Erklärst du es mir, bitte?«

      Alena sagt nicht immer zu allem etwas. Bei Gabalier und Arnie zum Beispiel lächelt sie nur still und sehr rätselhaft. Aber sie klärt mich, einmal mehr, über etwas anderes auf. Darüber, was es mit den alten Hüten auf sich hat. Und mit dem Aufwärmen von alten Geschichten. Wie es richtig heißt. Bei uns.

      Ya-iIlahi. Diese deutsche Sprache. Alena ist es übrigens auch zu verdanken, dass ich gelernt habe, meine Winterjacke zuzumachen. Reißverschlüsse an Jacken haben in Syrien meist nur dekorativen Charakter. Sie sind eine Möglichkeit, die du wahrnimmst. Oder nicht.

      Wie das Bezahlen von Steuern. Oder das Beantragen einer Steuernummer (mit der man hier, wie ich höre, fast schon geboren wird). In Syrien und anderen arabischen Ländern ist all das nichts weiter als eine Möglichkeit. Eine von vielen kreativen Chancen, dein Leben in die eine oder andere Richtung zu lenken. Nicht einmal eine dringende Empfehlung. Aber, wie gesagt: Alles schön der Reihe nach. Wir waren ja hier stehengeblieben:

      Bei uns.

      Und bei dem