Ramazan Demir

Unter Extremisten


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Und natürlich zu den beiden großen Festen des Islam – dem Fest des Fastenbrechens am Ende des Fastenmonats Ramadan und dem Opferfest, das etwa siebzig Tage danach in Erinnerung an die Bereitschaft des Propheten Abraham begangen wird, seinen Sohn zu opfern.

      Nur zwei weitere Justizanstalten (Salzburg und Stein) verfügen neben der Josefstadt über eine eigene Moschee. Die in Wien ist die kleinste, somit auch die kleinste Österreichs und im Untergeschoss des Gefangenentraktes angesiedelt. Linkerhand der dunkelgrünen Stahltür, überfrachtet von silbrigen Heizungsrohren, die querüber an der niederen Kellerdecke verlaufen und einigermaßen Lärm absondern, sodass eine Predigt bei offener Tür kaum möglich ist, stehen schlichte, weiße Regale, die die Hausschuhe der Betenden aufnehmen. Darüber ein von Häftlingen gemaltes Bild in frohen, bunten Farben. Es stellt eine Moschee dar, umkränzt von flammender Sonne und Himmel in harmonischem Farbverlauf. Darüber, als wäre es für jene gedacht, die es nicht glauben wollen, steht in fetten Lettern das Wort: MOSCHEE. Und, wie zur Unterstreichung dieses sehr speziellen Ortes, liegt ein allgegenwärtiger Moder in der Luft, der typische Kombinationsgeruch von Keller, altem Haus und Heizung. Ein Mahnmal der Vergänglichkeit.

      Der eigenen, mehr aber noch zum Zeichen der Baufälligkeit, unter der die JA Josefstadt seit Langem leidet. Zur Rechten des Zugangs eine weiße Wand mit schwarzer Kalligraphie. Es sind arabische, mit Pinsel aufgetragene Schriftzeichen, die ersten drei Verse der 23. Sure im Koran: Wahrlich erfolgreich sind die Muslime, die in ihren Gebeten voller Demut sind und sich von allem Sinnlosen fernhalten.

      Der Gebetsraum selbst ist maximal schlicht und ohne jene Art von Aura, wie man sie aus den großen Moscheen dieser Welt kennt, beispielsweise in Mekka, Medina oder Jerusalem. Aber auch aus der Hagia Sophia in Istanbul oder der Mezquita im südspanischen Córdoba, die eine Sonderstellung einnimmt, weil dort eine christliche Kathedrale auf einer vormals islamischen Moschee gebaut wurde und alle beide Gotteshäuser – auf beeindruckende Weise ineinander verschmolzen – die Kriege und Jahrhunderte mit all ihren Kriegen und Auseinandersetzungen wie auch menschlichen Animositäten überdauert haben.

      Hier jedoch, im Keller des Gefangenenhauses in der Josefstadt, ist funktionaler Minimalismus angesagt. Auf die Installation eines minbar, der für Moscheen typischen Kanzel, von wo aus der Imam üblicherweise die Predigt hält, habe ich aus akuter Platznot verzichtet. Der Boden ist bedeckt von einer Handvoll billiger Teppiche, an der einen Seite sickert trübes Licht aus einem schmalen Fensterschacht hinab. Zuvorderst abermals die farbenfrohe, gleichfalls von Gefangenen und mit viel Engagement und Leidenschaft an die Wand geworfene Darstellung einer Moschee. Über der Kuppel mit golden funkelndem Halbmond ein pyramidenförmiger Wolkenhimmel, darüber eine breite, bis unter die Decke reichende Fläche in mattem Sonnengelb. Zu Beginn jener Schriftzug, jene Bekundung von Gottergebenheit, die von Extremisten aufs Schändlichste missbraucht wird und somit in Augen und Ohren der Gesellschaft zum Schlachtruf religiös motivierten Mordens verkommen ist: Allahu akbar. Gott ist der Allergrößte. Zur Rechten der Moschee abermals arabische Schriftzeichen, in Rotbraun diesmal. Vier Botschaften in vier Zeilen empfangen die Gläubigen:

      Zuallererst die basmala, die Anrufungsformel, die mit einer einzigen Ausnahme alle Suren im Koran einleitet: Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen.

      Darunter Sure 4, Vers 103, aus dem Koran (4:103): Das Gebet ist eine Pflicht für jeden Muslim, die zu bestimmten Zeiten zu verrichten ist.

      Dritte Zeile, Sure Ihlas (112:1-4): Gott ist Einer, ihm ebenbürtig ist keiner. Gott ist der Absolute (der ewige Unabhängige, von dem alles abhängt). Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt worden.

      Vierte Zeile (16:44): Wir haben den Koran hinabgesandt, damit sie nachdenken (eine Sure, die meines Erachtens keinem einzigen IS-ler in ihrer Bedeutung eingängig oder wenigstens bekannt sein dürfte).

      Die Fluktuation meiner Gemeinde ist naturgemäß groß, was im Wesen der JA Josefstadt begründet liegt. Potentiell sind es 350 Muslime. So viele muslimische Insassen zählt die Josefstadt bei Drucklegung dieses Textes, Ende Oktober 2017. Wer immer in Wien einer Straftat angeklagt wird, landet fürs Erste hier. Untersuchungshaft. Jene, die bloß kurze Strafen verbüßen, sind bald wieder weg. Jene, die besonders lange verbüßen – mehr als eineinhalb Jahre unbedingt – desgleichen, denn sie werden in andere Gefängnisse überstellt, wo sie den überwiegenden Teil ihrer Zeit hinter Gittern absitzen. Den einen oder anderen sehe ich wieder, wenn ich gleichsam auf Österreich-Rundfahrt gehe, soll heißen, meiner Aufgabe als Leiter der Gefangenen-Seelsorge im ganzen Land nachkomme. Die Josefstadt ist also gewissermaßen ein Zwischenlandeplatz für Gestrandete, und so entsteht meine rasch wechselnde Gemeinde größtenteils aus solchen, die auf ihren Prozess warten, oder solchen, die nach dem Urteilsspruch bald wieder wegdürfen.

      Natürlich kommen und wollen nicht alle zum Gebet, doch der Andrang ist im Allgemeinen enorm. Ganz besonders zu den wichtigen islamischen Feiertagen. Viele muss ich dann abweisen, denn mehr als fünfunddreißig Gefangene dürfen am gemeinsamen Gebet aus Sicherheitsgründen nicht teilnehmen. Beim traditionellen Freitagsgebet (vergleichbar mit dem Sonntagsgottesdienst der Christen) habe ich eineinhalb Stunden Zeit für die Häftlinge. Vor dem Gebet folgt die khutba, die Predigt also, nach dem Gebet dann eine ausführliche Frage-Antwort-Runde. Für gewöhnlich öffnen sich die jungen Leute sehr rasch, denn sie wissen, dass hier keine Überwachung in Bild und Ton stattfindet (bloß eine Kamera ohne Mikrofon, die auch nicht aufzeichnet, bloß live mitfilmt, gedacht allein dafür, dass Wachpersonal im Notfall eines allfälligen Tumults während der Gebetsstunde einschreiten kann). Und sie wissen ferner, dass ich an meine Schweigepflicht gebunden bin. Sie vertrauen mir als einem der Ihren.

      Neben Fragen eher allgemeiner, oftmals die Haftumstände umreißender Natur – »Ich möchte einen anderen Zellengenossen, Imam, können Sie mir helfen?« / »Warum gibt es kein Halal-Fleisch?« / »Könnten Sie meine Familie kontaktieren und sagen, dass es mir gutgeht?« / »Kann ich einen Gebetsteppich bekommen? Einen Koran in deutscher Sprache? Eine Gebetskette?« / »Ich habe noch nie gebetet, Imam, können Sie es mir zeigen?« / »Wie mache ich die rituelle Waschung vor dem Gebet?« / »Können Sie uns eine Kochplatte verschaffen, damit wir im Ramadan abends warmes Essen haben?« et cetera –, neben alledem also gibt es auch Themen, die den Insassen unter den Nägeln brennen, doch so persönlich sind, dass sie damit erst danach zu mir kommen.

      Die Zettel mit Ansuchen für ein Vier-Augen-Gespräch türmen sich auf meinem Schreibtisch, den man mir dankenswerterweise von christlichen Seersorgern in der JA zur Verfügung gestellt hat, und ein Ende des Engpasses ist nicht in Sicht. Viele hunderte junge Muslime sind es mittlerweile, denen ich gleichsam in die Seele geblickt habe – und natürlich steigert die jahrelange Erfahrung die Effizienz der Betreuung entscheidend. Was ich vorfinde, folgt im Großen und Ganzen den immer gleichen Mustern, und so habe ich auch bereits ein Feingefühl dafür entwickelt, wem ich wie begegnen muss, um ihm zu bieten, wonach ihn dürstet: spiritueller Beistand durch einen Mentor, den er allein kraft seines Amtes respektiert, dem er vertrauen kann und der nichts will, außer Halt und Orientierung zu geben in einer ausnehmend diffizilen Lebenssituation. Egal, wie bedrückend und selbstverschuldet sie sein mag.

      Nicht alle Mitglieder meiner ungewöhnlichen Gemeinde sind das, was man landläufig radikal nennt. Einige allerdings sind in hohem Maße gewaltbereit, gelten als brandgefährlich und stellen dies auch gelegentlich hinter den dicken, ansonsten verschwiegenen Mauern der JA unter Beweis. Sie alle subsumiert man unter dem Begriff »Islamisten« – eine Definition, die ich im täglichen Gebrauch aus meiner leidvollen Erfahrung des ständigen Vermengens von Islam und Islamismus ablehne (ich spreche also üblicherweise nicht von Islamisten, sondern von radikalen, oder gewaltbereiten Muslimen oder schlicht von Extremisten), eine Definition aber auch, mit der ich prinzipiell könnte, würfe sie nicht eine solche Vielzahl eklatanter Missverständnisse und Vorurteile auf, weil die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus im Volksmund und in den Massenmedien oftmals keine ist. Jedes neuerliche Attentat, jede neue, zutiefst verachtungswürdige und durch nichts zu entschuldigende Bluttat unter dem Segel des Schlachtschiffs Islamismus – vorgeblich begangen im »Namen des Islam« – treibt einen zusätzlichen Keil in unsere längst multikulturelle Gesellschaft, reißt die Gräben nur noch weiter auf.

      Gerade hier, bei der strikten Trennung von Islam und Islamismus, ist es besonders wichtig, den verstellten Blick freizuschaufeln,