Kontrolle.
Dabei zeigt jede Zeichnung vom geologischen Aufbau der Erde für jedes Kind verständlich, wie lächerlich diese Kontrollidee ist. Nur der oberste Teil der äußeren Schale der Erde ist fest, der Rest ist flüssig oder gasförmig. Die feste Erdkruste ist durchschnittlich gerade einmal 35 Kilometer dick, was der Strecke von Wien nach Eisenstadt oder von Frankfurt nach Mainz entspricht. Das Verhältnis ist wie bei der Schale einer Mandarine zur eigentlichen Frucht. Nur ist das »Fruchtfleisch« der Erde 1.000 bis 6.000 Grad Celsius heiß.
Nichts kann dort unten überleben. Nicht einmal ein Roboter könnte in mehr als dreißig Kilometer Tiefe vordringen. Diese Lebensfeindlichkeit des Erdkerns spüren sogar schon die Arbeiter in afrikanischen Goldminen, die bis in 3.000 Meter Tiefe reichen. Bei 45 Grad Celsius bohren dort unten Männer und Frauen im Lichtkegel ihrer Stirnlampen nach Gold, das wegen seiner hohen Leitfähigkeit beim Bau von Handys und anderen Geräten zum Einsatz kommt.
Um genug Gold für vierzig Handys zu erhalten, müssen Menschen unter miserablen Arbeitsbedingungen eine Tonne Golderz an die Oberfläche befördern.
Schmerzhaft bewusst wird uns die Lächerlichkeit unserer Kontrollidee, wenn sich die Lebensfeindlichkeit des Erdkerns auch an der Oberfläche zeigt – etwa bei Vulkanausbrüchen oder schweren Erdbeben. Im Vergleich zu diesen Naturgewalten ist alles von uns Menschen Geschaffene nur Tand. Keine Versicherungsgesellschaft der Welt würde das Risiko abdecken, das wir eingehen, indem wir diese Naturgewalten mit unseren von Gier getriebenen Eingriffen in die Ökosysteme herausfordern, dachte ich während meines Geographiestudiums.
Vor allem gaben und geben mir die destruktiven wirtschaftlichen und politischen Prozesse zu denken, die dazu führen, dass Bergbau-Multis und andere Konzerne, die mächtiger als ganze Staaten sind, dieses Risiko wider besseren und überall verfügbaren Wissens ständig steigern. Zum Beispiel, wenn sie mit Hilfe von umweltschädlichem und energieaufwendigem Fracking die letzten Ölreserven aus der Erde herauspressen, oder Menschen in den ärmsten Regionen der Welt unter widrigen Umständen immer tiefer bohren und graben lassen, um mineralische und metallische Ressourcen zu gewinnen.
Ich fragte mich damals, während meines Studiums, wie es sein kann, dass diese Konzerne rücksichtslos die Rohstoffe der armen Länder ausbeuten. Rohstoffe, die in der Folge billige Arbeitskräfte in den Schwellenländern zu Waschmaschinen, Geschirrspülern oder Fernsehern verarbeiten, die wir in den reichen Ländern billig kaufen und achtlos wieder entsorgen, wenn uns wegen einer neuen Werbebotschaft danach ist.
Womit wertvolle Stoffe aus dem Erdinneren, die in Armut lebende Menschen teils unter Einsatz ihres Lebens geborgen haben, und deren Abbau das sensible Gleichgewicht der Systeme unseres Planeten stören kann, einfach auf Halden für Elektroschrott landen.
Es heißt, dass aus Elektroschrott inzwischen mehr Gold zu gewinnen ist, als aus vielen Minen.
Ich fragte mich während meines Studiums auch, warum wir da einfach mitspielen, zumal ich schon damals den Verdacht hegte, dass wir als Konsumtrottel nicht nur dem Planeten schadeten, sondern auch uns selbst. Ständig neue Geräte zu kaufen, bloß weil sie billig waren, war über einen längeren Zeitraum betrachtet bestimmt teurer, als einmal ein ordentliches zu kaufen, das sich reparieren ließ und ewig hielt.
Warum also spielten wir da mit?
Eine erste Antwort fand ich, als ich in den 1990er-Jahren in einer Filiale einer österreichischen Lebensmittelkette mit der Umweltberatung ein Projekt zur Abfallvermeidung durchführte. Dort standen die Cola-Dosen griffbereit auf Augenhöhe, während die Pfandflaschen der gleichen Getränkemarke sich ganz unten im Regal befanden – sichtbar nur für jene Kunden, die danach suchten. Die Filialleiterin war skeptisch, als wir die Flaschen nach oben und die Dosen nach unten schlichteten, doch es trat ein, was ich erwartet hatte. Die Kunden legten nun die Mehrwegflaschen in ihre Einkaufswagen, während die Dosen verstaubten.
Die Handelskette hatte trotzdem kein Interesse, die neue Coca Cola-Ordnung zu behalten oder sie gar im Sinne der Umwelt und einer nachhaltigen Ressourcennutzung auch in allen anderen Filialen durchzusetzen. Denn Pfandflaschen sind für Handelsketten mühsam. Jemand muss die zurückgegebenen Flaschen in Kisten einsortieren und bis zur Abholung durch die Lieferanten ins Lager stellen. Wenn die Kunden Dosen statt Flaschen kaufen, sparen die Handelsketten Lohn- und Lagerkosten.
Dass die Mehrwegflaschen allmählich verschwanden, lag also nicht nur an den Bedürfnissen der Kunden, die sich über leichtere Einkaufstaschen und mehr Platz im Kühlschrank freuten, begriff ich. Daran waren auch die wirtschaftlichen Interessen der Handelsriesen schuld, die uns als Kunden gemäß ihren eigenen Bedürfnissen manipulieren, ohne dass wir es merken. Wenn es dann um den Elektroschrott und den Plastikmüll geht, verweisen sie trotzdem mit einer Krokodilsträne auf unsere Kundenbedürfnisse. Sie verkaufen Geräte mit »Öko«-Schaltern, die nichts als ein Etikettenschwindel sind (siehe Kapitel »Die Energieeffizienzlüge«), hängen Einkaufstaschen zur Kassa, die zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen statt aus Plastik bestehen, deren ökologischer Fußabdruck aber in Wirklichkeit auch nicht viel besser als der reiner Plastiktaschen ist, und schlichten BioWare in die Regale, mit der sie genauso viel oder sogar noch mehr als mit herkömmlicher verdienen.
Meine Frage war damit hinlänglich beantwortet. Wir spielen mit, weil die Multis uns dementsprechend manipulieren.
Wir sind nicht von Natur aus Konsumtrottel, sondern die Konzerne machen uns dazu. Und wahrscheinlich können sie es selbst nicht fassen, dass wir auf ihre simplen Tricks ständig hereinfallen.
Ich entwickelte das Bedürfnis, etwas gegen diese unaufhörliche Manipulation und diesen, unserem Wirtschaftssystem offenbar immanenten, Wegwerfwahnsinn zu tun. Meine Idee bestand darin, alte, bereits entsorgte Waschmaschinen, Geschirrspüler oder Fernseher, die noch zu retten waren, zu reparieren und günstig zu verkaufen.
Ich fing im Frühjahr 1998 mit zwei Angestellten, zwölf Langzeitarbeitslosen sowie Förderungen einiger öffentlicher Wiener und Brüsseler Stellen an. Mein Reparatur- und Servicezentrum, kurz R.U.S.Z, bekam viel Aufmerksamkeit. Die Wienerinnen und Wiener brachten uns ihre defekten Waschmaschinen, Bügeleisen, Bohrmaschinen, Heckenscheren, Fernseher, Videorecorder und Stereoanlagen, die sie teils über Jahre in Kellern, Garagen und auf Dachböden aufgehoben hatten.
Dieses Interesse, von dem wir anfangs teils regelrecht überfordert waren, zeigte mir, dass unsere Initiative ein Marktversagen ausglich. Viele Menschen hatten offenbar darauf gewartet. Warum hätten sie sonst die Geräte so lange aufbewahrt?
Als uns ein Segler den sechs Meter langen Flautenschie-bemotor für seine Yacht brachte, wusste ich, dass wir noch mehr tun mussten. Wir bildeten gemeinsam mit Reparaturbetrieben, die bisher für sich allein ein schwieriges Dasein gefristet hatten, das Reparaturnetzwerk Wien, zu dem inzwischen mehr als achtzig Betriebe gehören. Wir tauschen Informationen aus und sorgen dafür, dass wir möglichst alle anfallenden Reparaturen bewältigen können.
Seit zwei Jahrzehnten blicke ich hinter die Kulissen der Elektro-Multis, indem ich mit meinem Team im Wiener Reparatur- und Servicezentrum ihre Produkte auseinander nehme.
Reich werden wir dabei alle nicht. Denn, zwar mögen die Menschen unser Angebot, der »freie« Markt aber hat etwas dagegen. Das fand ich heraus, als das Arbeitsmarktservice die Zusammenarbeit aufkündigte und wir mit wirtschaftlich vertretbaren Preisen arbeiten mussten. Wenn eine Reparatur selbst bei uns ein paar Tage dauert und fast so viel oder sogar noch mehr als eines der sofort verfügbaren neuen Geräte kostet, liegt die Entscheidung der Kunden, einmal mehr die Augen vor dem Wegwerfwahnsinn zu verschließen, nahe.
Aus verständlichen Gründen. Die meisten von uns ahnen, dass gute Qualität in der Regel mehr kostet, und billigere Ware meistens auch schlechter ist. Doch manchmal wollen oder können wir die 300 oder 600 Euro mehr nicht ausgeben, wenn sich kurz nach Weihnachten der BH-Bügel in der Waschmaschinenpumpe verfangen hat und der Hersteller sagt: »Leider kein Garantiefall.«
In den vergangenen Jahren hat sich der Wettbewerb zwischen Reparatur und der neuen Ware aus den Handelsketten immer weiter verschärft. Der Grund dafür sind die immer billigeren Geräte