Claudia Rimkus

Uhlenbrock


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war zufällig in der Nähe …«

      Charlotte verschränkte die Arme vor der Brust, während sie den Freund gespannt ansah.

      »… da fiel mir ein, dass ich Sie schon lange was fragen wollte …«

      Ein wissendes Lächeln erschien auf Charlottes Gesicht.

      »… zu einem alten Fall.«

      »Nun lass es gut sein, Hannes. Ich bin dann mal weg.«

      Verblüfft schaute er ihr nach, bis sie die Tür von außen geschlossen hatte.

      »Anscheinend bin ich ein schlechterer Lügner, als ich dachte.«

      »Charlotte hat den Braten längst gerochen.« Philipp deutete auf die kleine Sitzgruppe. »Sie weiß, dass ich das Profil erstellen soll.«

      »Aber nicht von uns.« Hannes setzte sich abermals nur auf die Sofakante. Ein Zeichen seiner Anspannung. »Machen Sie deshalb womöglich einen Rückzieher?«

      Kopfschüttelnd nahm der Hausherr ihm gegenüber Platz.

      »Sie hat versprochen, sich rauszuhalten.«

      »Das erleichtert mich, obwohl das so gar nicht zu ihr passt.«

      »Wahrscheinlich ist sie kuriert – jedenfalls für ein Weilchen.«

      Sie tauschten einen verstehenden Blick.

      »Warum sind Sie trotz unserer Abmachung hier?«, fragte Philipp. »Gibt es was Neues?«

      »Der Killer hat sich gemeldet.«

      Mit knappen Worten erzählte er von Plaschke, während er die für den Professor gescannten Fotos und eine Briefkopie aus der Tasche zog und auf den Tisch legte.

      »Moment«, bat Philipp und holte seine neue Brille. »Die Hilfsmittel werden immer mehr«, kommentierte er, als er sich zu seinem Gast setzte. Zuerst griff er nach den Fotos und studierte sie eingehend. Ohne die Aufnahmen zu kommentieren, nahm er das Blatt zur Hand. Konzentriert las er den Text – erst einmal, danach ein weiteres Mal.

      Hannes versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Der Professor genoss als Gutachter höchste Anerkennung. Er würde beides wohlüberlegt kommentieren.

      »Was schließen Sie daraus?«

      »Dieser Brief untermauert meine erste Einschätzung: Wir haben es mit einem hochintelligenten Täter zu tun, der fest davon überzeugt ist, dass er absolut richtig handelt. Er bestraft seine Opfer für deren Versagen, durch die er gelitten hat.« Nachdenklich zog er die Brille von der Nase. »Ob dieses Leiden real ist oder nicht, kann ich ohne persönliche Begutachtung des Mannes nicht beurteilen. Wenn er das allerdings bereits seit der Kindheit so empfindet …«

      »… ist seine Todesliste viel länger, als ich befürchtet habe«, vollendete Hannes. »Können Sie mir auf die Schnelle mehr über den Killer erzählen?«

      »Wenn ich das richtig deute«, sagte Philipp und tippte mit dem Zeigefinger auf die Briefkopie, »ist er Perfektionist. Er überlässt nichts dem Zufall. Außerdem braucht er Anerkennung. Die Welt soll erfahren, wie genial er ist.«

      »Ein Psychopath?«

      »Gut möglich. Ich vermute eine schwere Persönlichkeitsstörung. Was er seinen Opfern zufügt, lässt auf sehr geringe Empathie schließen. Der Geltungsdrang deutet auf NPS, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.«

      »Und der Name, den er sich gegeben hat?«

      Sekundenlang überlegte Philipp.

      »Ein Regisseur ist ein Spielleiter. Er inszeniert das Stück. Es ist sein künstlerisches Werk. Dass er eine Kombination aus verschiedenen Fähigkeiten vorweisen kann, wissen wir ja bereits. Medizinisch, dramaturgisch und logistisch scheint er auf der Höhe zu sein. Seine gewählte Ausdrucksweise spricht für einen höheren Bildungsgrad. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Spekulationen bringen uns nicht weiter.«

      »Okay.« Fast gleichzeitig standen sie auf. Hannes beugte sich hinunter, nahm die mitgebrachten Kopien vom Tisch und reichte sie Philipp. »Die brauchen Sie vielleicht fürs Profil. Aber nicht offen rumliegen lassen, sonst gerät Charly vielleicht in Versuchung.«

      »Das werden wir beide verhindern.«

      Kapitel 8

      Charlotte war beunruhigt – seit Hannes vor zwei Tagen Philipp aufgesucht hatte. Die Tatsache, dass der Freund kaum ein privates Wort mit ihr gewechselt hatte und gegangen war, ohne sich von ihr zu verabschieden, ließ nur einen Schluss zu: Es gab Neuigkeiten, die sie auf keinen Fall erfahren sollte. Er war ihr aus dem Weg gegangen, um keine neugierigen Fragen zu provozieren. Da Philipp als Profiler darüber informiert worden war, schien es den Täter unmittelbar zu betreffen. War er womöglich viel gefährlicher als angenommen? Die Ermittlungen könnten Zusammenhänge ergeben haben, die weitere Opfer aus dem gemeinsamen beruflichen Umfeld der beiden Toten befürchten ließen. Das ahnte sie schließlich seit dem zweiten Leichenfund. Von diesem Zeitpunkt an hielt sie es für möglich, dass Annelieses Kontakt zu beiden Männern eine Rolle spielen könnte und sie dadurch in Gefahr war.

      Charlotte hätte sich gern mit jemandem darüber ausgetauscht, aber mit wem? Mit Anneliese konnte sie nicht darüber reden, ohne die Freundin zu beunruhigen. Philipp hatte sie gesagt, sie würde sich raushalten. Conrad würde in Panik geraten, wüsste er, in welcher Gefahr seine Liesel eventuell schwebte. Ihre Mitbewohner Elisabeth und Albert konnte sie damit nicht belasten. Die ehemaligen Kollegen im Präsidium kämen ebenso wenig infrage wie die Staatsanwältin. Familie und sonstige Freunde überhaupt nicht. Ihr fiel nur eine Person ein, die außerdem verschwiegen war.

      Ihren Mitbewohnern sagte Charlotte, sie hätte etwas zu erledigen und würde zum Mittagessen nicht zu Hause sein. Das war zwar ungewöhnlich, aber weder Philipp noch die anderen stellten Fragen. Ihre Wohngemeinschaft funktionierte unter anderem deshalb so gut, weil sie nicht ständig beieinander hockten, sondern gegenseitig ihre Freiräume respektierten.

      Sie betrat das Institut für Rechtsmedizin nicht zum ersten Mal. Dennoch verspürte sie wie bei den wenigen vorherigen Besuchen ein beklemmendes Gefühl. Neben DNA-Analysen, toxikologischen Untersuchungen oder der Begutachtung von Missbrauchsopfern wurden hier durch Gewaltverbrechen zu Tode Gekommene obduziert.

      Im Eingangsbereich roch es nach Desinfektionsmitteln. Von einer jungen Ärztin erfuhr Charlotte, in welchem der vier Obduktionssäle sie den Freund finden würde.

      Sie ging ein Stück über den Flur. Langsam, bedächtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, als könnte ein Geräusch ihrer Absätze die Ruhe der Toten stören. Vor einer breiten Edelstahltür blieb sie stehen und drückte auf den Öffnungsschalter. Mit leisem Summen glitt die glänzende Schiebetür zur Seite. Die Besucherin wurde im Vorraum der Obduktionssäle von kühler Luft und einem aufdringlich süßlichen Geruch empfangen. An den weiß gefliesten Wänden standen auf einer Seite Metallregale, auf der anderen befanden sich Kühlfächer, in denen die Leichen da­rauf warteten, dass ein Rechtsmediziner ihre Todesursache ans Licht brächte. Ein Mann im OP-Kittel kam mit einem Gefäß herein, das mit einem grünen Tuch abgedeckt war. Charlotte bat ihn, Dr. Fleischmann zu sagen, dass sie ihn sprechen wollte. Danach verließ sie fluchtartig den Vorraum, um im Flur zu warten.

      Nach der Autopsie riss der Rechtsmediziner die dünne, mit Blutspritzern übersäte Einwegschürze herunter und streifte die schnittfesten Handschuhe ab. Er wusch sich gerade die Hände, als sein Kollege zu ihm ans Waschbecken trat.

      »Draußen wartet eine Frau auf dich.«

      Horst deutete zum Obduktionstisch, auf dem eine männliche Leiche lag.

      »Eine Angehörige?«

      »Eher nicht.«

      »Hat sie nicht gesagt, wie sie heißt?«

      »Ich habe ihren Namen nicht richtig verstanden. Ist wohl privat.«

      Der