Marc Späni

Zünftig


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      Marc Späni

      Zünftig

      Kriminalroman

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      Lektorat: Christine Braun

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © © Roland Fischer, Zürich (Switzerland) – Mail notification to: roland_zh(at)hispeed(dot)ch /

      Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0 Unported

       https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2013_Sechsel%C3%A4uten_-_Lindenhof_-_M%C3%BCnzplatz_2013-04-15_14-03-05.JPG

      ISBN 978-3-8392-7016-5

      Zünftig

      Das Adjektiv »zünftig« geht auf die spätmittelalterlichen Handwerks-Zünfte zurück und bedeutete ursprünglich »fachgemäß«, nämlich »so, wie es die Zünfter machen«, nach strengen Regeln. Es ist verwandt mit dem Verb »ziemen«; »zünftig« ist also auch, was sich ziemt.

      Heute wird das Wort in der Bedeutung von »bodenständig«, »währschaft« oder »deftig« verwendet. So kann man etwa »zünftig feiern«, und das auch, wenn man nicht Mitglied in einer der 26 Zürcher Zünfte ist.

      Wahre Zünfter würden übrigens niemals »zünftig« oder »Zunft« sagen. Von gewöhnlichen Zürcherinnen und Zürchern heben sie sich unter anderem durch die altzürcherische Aussprache »Zouft« und »zöiftig« ab.

      PROLOG

      »Einmal nahm mich Jo mit nach Zürich. Ich erinnere mich an ein mächtiges, düsteres Gebäude mit vielen Balkonen, Türmchen und farbigen Glasfenstern, das in seltsamem Kontrast stand zu dem hellen Park, in dem es sich befand. Man ließ mich natürlich nicht an dem Gespräch teilnehmen. Ich wartete, zuerst auf der Terrasse, wo mir Bedienstete etwas zu trinken brachten, dann im Garten. Als wir gingen, war Jo außer sich. Die ganze Rückfahrt über sagte er immer wieder, der Mann, den wir besucht hätten, sei ein Teufel, ein Dämon, vielleicht sogar der Satan selber. Ein paar Monate später geschahen die Morde.«

      *

      Zuerst sah es nach einem gewöhnlichen Brand aus, als die Feuerwehr in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1994 in die Freiburger Gemeinde Cheiry ausrückte. Doch dann machten die Männer in den Kellerräumen des scheinbar menschenleeren Gebäudes eine furchtbare Entdeckung. In einer Art Sanktuarium lagen, sternförmig angeordnet, 21 Leichen, zwei weitere Tote fand man in anderen Räumen des Hauses: zwölf Frauen, zehn Männer und ein Kind. Wie man bald herausfand, gehörten sie alle dem »Ordre du Temple Solaire« an, dem »Orden des Sonnentempels«, kurz OTS, einer Sekte, die seit den 80er-Jahren in der Westschweiz, in Frankreich und in Kanada aktiv war. 20 der Toten waren durch Pistolenschüsse getötet worden, einige trugen Plastiksäcke über dem Kopf.

      Während Feuerwehrleute und Polizeibeamte noch sprachlos vor dem grausigen Fund standen, stießen Rettungskräfte in drei ebenfalls durch einen Brand zerstörten Chalets im Walliser Bergdorf Granges-sur-Salvan, weniger als 100 Kilometer von Cheiry entfernt, auf die verkohlten Körper von weiteren 25 Menschen. Sie waren gleich angeordnet wie diejenigen in Cheiry, auf dieselbe Art umgekommen.

      48 Sektenmitglieder hatten in dieser Oktobernacht den Tod gefunden, darunter fünf Kinder. Es war das schlimmste Verbrechen, das die Schweiz je erlebt hatte.

      Dokumente, die den Behörden zugespielt wurden oder die den Brand unbeschadet überstanden hatten, gaben Einblick in die verworrene Ideologie, mit der die Sonnentempler ihre Tat rechtfertigten: ein Gemisch unterschiedlicher esoterischer Lehren, die auf die fatale Überzeugung hinausliefen, dass der körperliche Tod die Voraussetzung für eine spirituelle Reise, den »Transit«, zum Stern Sirius sei. Im Tod sollten die Auserwählten einer drohenden Apokalypse entkommen.

      Die monatelangen Untersuchungen ergaben aber, dass höchstens 15 dieser Personen freiwillig in den Tod gegangen waren. Andere waren mit Betäubungsmitteln willig gemacht, sieben sogar explizit als Verräter hingerichtet worden. Man hatte die Mitglieder über Monate auf den »Transit« vorbereitet und Gesinnungstests unterzogen. Unwillige hatte man in der Nacht des Übergangs skrupellos in die Todesfalle gelockt.

      Zwischen 1994 und 1997 kamen in Frankreich und Kanada weitere 25 Sonnentempler ums Leben. Unter den 73 Todesopfern waren neun Kinder.

      Nach den Massenmorden in der Westschweiz befassten sich auch die kantonalen Vormundschaftsbehörden mit den Sonnentemplern. Es ging um die Frage, ob der Staat das Recht habe, überlebenden Sektenmitgliedern das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen, um diese vor weiteren Gewalttaten zu schützen.

      Kapitel 1

      Am zweiten Tag seines Aufenthalts in Freiburg fuhr der Zürcher Kommissar Pascal Felber nach Cheiry, eine gute Stunde mit S-Bahn und Postauto von der Kantonshauptstadt entfernt. Er wusste, dass nichts mehr zu sehen war. Das Haus war abgerissen, das Grundstück überwachsen. Auf der Webseite der Gemeinde hatte er nur einen einzigen Hinweis auf die traurigen Ereignisse gefunden, im historischen Abriss. Zwischen einem alten Artikel über die örtliche Blaskapelle und einem Beitrag über die Eröffnung einer Hauswirtschaftsschule stand die kurze Meldung über den geplanten Abriss des Sonnentempler-Hauses drei Jahre nach dem Drama. Man wolle nicht, hatte der damalige Präfekt des Kantons Freiburg erklärt, dass der Ort zu einer Pilgerstätte werde.

      Trotzdem fuhr Pascal Felber hin, an einen der Orte, die auch mit seinem Schicksal verbunden waren. Sein Vater hatte für die Freiburger Behörden die Fälle betreut, bei denen es um die Entziehung des Sorgerechts für die Kinder der überlebenden Sonnentempler ging.

      Auf der Wiese, wo das Haus gestanden hatte, grasten Schafe, weiter hinten schwarz-weiß gefleckte Freiburger Kühe. Einheimische traf er an diesen Nachmittag im 400-Seelen-Dorf keine an.

      *

      Zwei Tage später saß Felber im Intercity nach Zürich, in der 1. Klasse. Zwei Wochen hatte er sich gegeben. Zwei Wochen, um in Freiburg eine Spur des Unbekannten zu finden, der für die Entführung und den Tod seiner Frau Deborah verantwortlich war.

      Schon kurz nach Olten hatte er seine Notizen und Ausdrucke in die Tasche geschoben, sich ins Polster zurückgelehnt und ließ seither die Landschaft an sich vorbeiziehen. Dabei versuchte er, das Geschnatter