Johannes Hillje

Propaganda 4.0


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ist der öffentliche Diskurs ihre bevorzugte Arena, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Nicht Sitze im Parlament sind – wie eingangs erwähnt – ihr Mittel zur Einflussnahme, sondern Sprache in der öffentlichen Debatte. Dazu brauchen sie zwischenzeitlich gute Umfragewerte, um sich interessant zu machen, Wahlergebnisse können dagegen auch durchwachsen ausfallen. In diesem Kapitel wird es darum gehen, welche Techniken der politischen Kommunikation die Rechtspopulisten anwenden – vornehmlich realitätsumdeutende »Frames« und polarisierende »Soundbites« –, um gesellschaftliche Realitäten zu verändern. Es soll gezeigt werden, dass die Art und Weise, wie Rechtspopulisten kommunizieren, besonders gut mit der Auswahl- und Darstellungslogik der Massenmedien korrespondieren und sowohl der Journalismus als auch andere Parteien durch ihren Umgang mit dem populistischen Jargon mithelfen, dass Populisten durch ihre Sprache die gesellschaftliche »Normalität« verändern können. Bevor ich zu der Wirkung populistischer Sprache komme, wird in diesem Kapitel das dem Buch zugrunde liegende Verständnis von Populismus erläutert und die noch junge, aber wirksame Allianz rechtspopulistischer Parteien in Europa beschrieben.

      Diese Allianz rechter Kräfte hatte schon vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien die politische Diskurslage in Europa in einem wesentlichen Punkt verändert. Denn die trügerische Erleichterung über die Wahlergebnisse in Frankreich, den Niederlanden und der Europawahl 2019 offenbart, dass es heute in der Europäischen Union in erster Linie um die politische Existenz Europas geht.5 Emmanuel Macron nannte die Europawahl 2019 (bei der seine Partei schlechter abschnitt als die von Le Pen) eine »existenzielle Frage« für Europa und sprach von einer Entscheidung zwischen »Proeuropäern« und »Antieuropäern«.6 Allein diese Zuspitzung ist ein Erfolg für Europafeinde wie Geert Wilders, Marine Le Pen, Nigel Farage, aber auch die AfD in Deutschland. Sie üben so viel Druck auf die Parteien aus, die sich mehr oder weniger für Europa aussprechen, dass diese Parteien sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner »grundsätzlich für Europa« zusammenrotten müssen. So wie es links und rechts im politischen Spektrum gibt, haben die Rechtspopulisten »Ja« und »Nein« zur europäischen Integration als eine neue Konfliktlinie etabliert. Eine enorme Verschiebungsleistung im politischen Diskurs. Denn proeuropäisch wurden einst nur solche Kräfte genannt, für die Europa mehr als nur ein Binnenmarkt ist; die für eine vollständige politische Union eintreten, in der Europa stärkere Kompetenzen etwa auch in der Sozial- oder Steuerpolitik bekommt. Die Vereinigten Staaten von Europa sind für manche von ihnen das anvisierte Zukunftsmodell. Solche Stimmen hörte man lange Zeit vor allem aus liberalen, grünen und, mit Einschränkung, auch aus sozialdemokratischen Parteien. Heute ist jeder ein Proeuropäer, der nicht den Austritt seines Landes aus der EU befürwortet. Der zentrale Konflikt ist nicht mehr wie eine gemeinsame Politik in Europa aussieht, sondern ob es überhaupt diese gemeinsame Politik gibt. Diese Verschiebung führte die Tagesschau am Tag nach der Wahl in den Niederlanden eindrucksvoll vor: »Die Niederlande bleiben auf Pro-Europa-Kurs« verlas Susanne Daubner als erste Nachricht. Doch Mark Rutte ist kein Proeuropäer im klassischen Sinne. Genauso wenig wie der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, der sich trotzdem unentwegt so bezeichnet. Im Gegenteil, ihre Parteien wollen, allgemein gesprochen, weniger gemeinsame europäische und mehr nationale Politik. »Brüssel mischt sich in zu viele Bereiche ein« heißt es im Wahlprogramm von Ruttes VVD. »Die EU sollte sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Dieses Kerngeschäft bezieht sich in erster Linie auf die Wirtschaft. Alles andere können die Mitgliedsstaaten viel besser für sich selbst regeln.«7 Das ist keine Umarmung, sondern zuallererst eine Distanzierung von Europa. Wäre Geert Wilders nicht als Konkurrent zu Mark Rutte bei der Wahl angetreten, hätte die Tagesschau bei gleichem Wahlausgang mit dem Satz »Die Niederlande wählt EU-kritisch« aufmachen müssen.

      Nach einem Beinahe-Grexit und tatsächlichem Brexit ist »pro« nicht mehr »progressiv-europäisch«, sondern schlichtweg »contra Exit«.

       DAS ETABLIERTE ANTI-ESTABLISHMENT

      In dem europäischen Superwahljahr 2017 war nicht nur die »irgendwie für Europa«-Allianz neu. 2017 war auch das erste Jahr, in dem rechtspopulistische Parteien gemeinsam in die jeweiligen nationalen Wahlkämpfe gezogen sind. Zum Wahlkampfauftakt trafen sich am 21. Januar in Koblenz die Anführer und Claqueure jener Parteien, die im Europaparlament in der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) zusammensitzen. An diesem Samstag im Januar betraten sie begleitet von Fahnenträgern und pompöser, fast apokalyptischer Musik, den Saal der Rhein-Mosel-Halle: Frauke Petry und Marcus Pretzell (damals noch AfD), Marine Le Pen (Rassemblement National), Geert Wilders (PVV), Harald Vilimsky (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega). Der Ablauf des Spektakels folgt einem einstudierten Drehbuch, das bereits in ähnlicher Konstellation bei der Konferenz der »Europäischen Visionen« im Februar 2016 in Düsseldorf, beim »Patriotischen Frühling« ein paar Monate später in der Nähe von Wien sowie vor der Europawahl im März 2019 in Mailand abgespult wurde: heroischer Einlauf der Parteispitzen, danach eine Rede nach der anderen, keine Debattenformate, aber ein Gruppenfoto mit strahlenden Gesichtern, eine lange Pressekonferenz und ein gemeinsames Essen. Anschließend fahren alle wieder zurück in ihre Heimatländer und ärgern sich vermutlich darüber, dass sie beim Grenzübertritt nicht ihren Pass vorzeigen dürfen.

      Bis zum Treffen in Koblenz hatten die Zusammenkünfte der Rechtspopulisten meist nur einmaligen Charakter. Es gab keine gemeinsamen Pläne oder Projekte. Beobachter merkten hämisch an, dass die »Internationale der Nationalisten« ohnehin ein contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich sei. Also bloß nicht zu ernst nehmen. Doch in der Kooperation europäischer Rechtspopulisten hat sich in den letzten Jahren etwas fundamental verändert, und dieser gemeinsameWahlkampfauftakt ist eine der ersten Früchte dieser Zusammenarbeit. Bis zu den Europawahlen 2014 vernetzten sich einzelne Rechtspopulisten in beschränktem und meist punktuellem Maße. Andere beäugten sich gegenseitig noch sehr kritisch. So lehnten wirtschaftsliberale AfD-Vertreter den Rassemblement National wegen seiner angeblich »sozialistisch« geprägten Wirtschaftspolitik ab. Auch Geert Wilders, der seit seiner Jugend persönliche Verbindungen nach Israel pflegt, hielt sich sogar noch von Marine Le Pen fern, als diese sich schon öffentlich vom antisemitischen Kurs ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanziert hatte. Nach den Wahlen 2014 dauerte es noch knapp ein halbes Jahr, bis die Wende eingeleitet wurde. Im Oktober 2014 gründeten der (damals noch) Front National, die FPÖ, die italienische Lega Nord und Vlaams Belang aus Belgien die europäische Partei Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Nationen (MENL). Im Juni 2015 erfüllte man auch die Bedingungen zur Gründung einer Fraktion im Europaparlament, auch drei Abgeordnete von Wilders PVV hatten sich angeschlossen. Die paneuropäische Anti-EU-Fraktion war somit im Europaparlament installiert. Nach der Europawahl 2019 benannte sich die Partei und Fraktion in »Identität und Demokratie« (ID) um und wurde mit 75 Abgeordneten aus zehn Ländern zur viertgrößten Fraktion. Es ist eine Fraktion, die das System von innen bekämpft. Marine Le Pen sagte im März 2019: »Die EU killt Europa«. Deshalb will sie die EU killen.

      Die ID-Abgeordneten verhalten sich bei Abstimmungen im Parlament seither wenig kohärent, die inhaltliche Zusammenarbeit bei EU-Richtlinien, Berichten und Stellungnahmen des Parlaments hat für sie kaum eine Bedeutung. Ihnen geht es in erster Linie darum, Entscheidungen zurück auf die nationale Ebene zu verlagern oder die EU ganz abzuschaffen. Die Form der Kooperation, die sich seit 2014 kontinuierlich zwischen den Rechtspopulisten intensiviert hat, ist auf die gegenseitige Stärkung in den Bereichen Strategie, Organisation und Ressourcen ausgelegt. Denn in ihren Heimatländern kämpfen sie in der öffentlichen Debatte allesamt den gleichen Kampf um Aufmerksamkeit und buhlen zum Teil um ähnliche Gruppen von Wählerinnen und Wähler. In diesen drei Bereichen lässt sich die neue, verstärkte Zusammenarbeit folgendermaßen skizzieren: Erstens bauen die rechtspopulistischen Parteien ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk auf. Als europäische Partei hat die ID auch eine Stiftung (Association pour l’Identité et Démocratie Fondation) gegründet. Europäische politische Stiftungen werden genau wie die Parteien im Wesentlichen vom Europäischen Parlament, also mit öffentlichen Geldern finanziert. Nach den Finanzberichten des Parlaments bekam die rechtspopulistische Stiftung im Gründungsjahr 2015 knapp 250.000 Euro aus diesem Topf. 2017 standen ihr schon über 1 Million Euro zur Verfügung.8 Was macht die Stiftung