Johannes Hillje

Propaganda 4.0


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also. Im rechten Milieu gehören auch Begriffe wie »Invasoren«, »Rapefugees«, »Fickilanten« oder noch weitergehende Entmenschlichungen wie Tier-Begriffe zum Sprachgebrauch für geflüchtete Menschen. Zur Anwendung kommt diese Sprache auch vermehrt im digitalen Raum: Eine Analyse der Financial Times ergab für den Monat Mai 2016, dass im Durchschnitt 30 Begriffe aus der NS-Zeit in den Kommentaren unter einem einzigen Facebook-Beitrag der AfD von den Nutzenden verwendet wurden.18

      Im Jargon der Rechtspopulisten gibt es auffallend viele sprachliche Bilder, also Metaphern, die sofort bestimmte Assoziationen im menschlichen Gehirn hervorrufen. Besonders wirkungsvoll sind Metaphern, wenn sie ein übergeordnetes »Framing« aktivieren. Framing ist ein wichtiges Mittel der politischen Kommunikation, es ist Politik mit sprachlichen Mitteln. Dabei wird zu einem Sachverhalt ein ganz bestimmter Deutungsrahmen (»Frame«) mitgeliefert, eine Denkschablone, mittels derer die Fakten interpretiert werden sollen. Fakten haben nie eine Bedeutung für sich, sie müssen stets eingeordnet werden. Ein bekanntes Framing-Beispiel geht so: Ein Arzt kann gegenüber einem Patienten vor einer Operation von einer »neunzigprozentigen Überlebenschance« oder einem »zehnprozentigen Sterberisiko« sprechen. Der gleiche Fakt, aber zwei verschiedene Frames – Leben und Tod – die bei den betroffenen Patienten zwei unterschiedliche Entscheidungen befördern. Experimente haben nachgewiesen, dass Menschen bei der Betonung des Sterberisikos eher von der Operation absehen würden und bei Herausstellung der Überlebenschance zur Einwilligung neigen.

      Die Effektivität des politischen Framings besteht darin, dass es an Werte, persönliche Erfahrungen, Narrative, Ideologien, aber auch Emotionen andockt und dabei eine wertebezogene Interpretation von Fakten bewirkt. Und Menschen formen ihre Einstellungen in erster Linie auf Grundlage ihres Wertefundaments. Daher sind nicht Fakten der zentrale Vermittler von Politik, sondern deren sprachliche Verpackung. Über Hirnscans erforscht die Kognitionswissenschaft, was bei Menschen im Gehirn vorgeht, wenn sie bestimmte politische Botschaften lesen oder hören. Es gibt Frames, die sich im politischen Diskurs über Jahrzehnte hinweg festgesetzt und den Handlungsspielraum der Politik somit in eine bestimmte Richtung eingeschränkt haben. Die Steuerpolitik ist besonders gebeutelt von einem ganz bestimmten Framing. Steuern zu zahlen, empfinden wir als »Steuerlast«. Für Orte, wo man dieser »Belastung« entgehen kann, nutzen wir Metaphern von Sehnsuchtsorten wie »Steueroase« oder »Steuerparadies«. Menschen, die sich ihrem fairen Steuerbeitrag zur Gesellschaft entziehen, gestehen wir Flüchtlingsstatus zu, nennen sie »Steuerflüchtlinge«. Es ist nicht verwunderlich, dass bei einem solchen Framing niemand ein positives Verhältnis zu Steuern entwickeln wird. Dass wir mit unseren Beiträgen zentrale staatliche Aufgaben wie Bildung, soziale Absicherung oder die Polizei finanzieren und dafür eine Flatrate auf öffentliche Güter, etwa Straßenbeleuchtung, Fahrradwege oder Hochwasserschutz bekommen, dafür gibt es keinen Frame in den Debatten zur Steuerpolitik. Der Handlungsspielraum der Politik wird dadurch stark eingeschränkt, mit Steuererhöhungen lässt sich nichts gewinnen, obwohl wir alle von Steuern auf die eine oder andere Weise profitieren.

      Politisches Framing war bis weit in die 2000er-Jahre hinein vor allem ein akademisches Thema. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman war mit seinen Frameanalysen in den 1970er-Jahren einer der Pioniere auf diesem Feld. Mittlerweile ist das Konzept hierzulande populärer geworden. Auch weil George Lakoff und Elisabeth Wehling, Linguistik-Forschende aus Berkeley, mit ihrem Buch »Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht«, das Thema 2008 einem breiteren, nicht akademischen Publikum zugänglich machten.19 Heute herrscht in allen Parteizentralen ein Bewusstsein für dieses mächtige Instrument. Zum Beispiel stellte die grüne Bundestagsfraktion nach der Bundestagswahl 2013 eine Framing-Expertin ein, die dafür sorgen soll, dass Gesetzestexte schon im frühen Entwurfsstadium nicht nur juristisch stimmig sind, sondern auch die richtigen Synapsen im Gehirn der Bürgerinnen und Bürger aktivieren. Das ist aber eher noch ein Einzelfall, fest verankert sind Framing-Strategien in der deutschen Politik längst nicht.

      Bei der AfD basiert das Framing maßgeblich auf den ideologisch begründeten Grundkonstellationen von »Elite gegen Volk« und »Migranten gegen Volk«. Bei der Flüchtlingsthematik setzt die AfD drei Frames regelmäßig ein. Den ersten Deutungsrahmen gab es schon in den Medien bevor die Partei geboren war: Migration als Naturkatastrophe. Einwanderung wird als »Welle« oder »Lawine« bezeichnet. Wer solche Wörter hört, dessen Gehirn aktiviert Assoziationen von Bedrohung, Zerstörung, Verwüstung. AfD-Vertreter setzen mit »Einwanderungs-Tsunami«, »menschliche Überflutung« oder »Asylflut« gerne einen drauf, um noch apokalyptischere Vorstellungen zu evozieren. Die notwendigen Gegenmaßnahmen ergeben sich bei einem solchen Framing wie von selbst, da man sie von anderen »hereinbrechenden« Naturphänomen kennt: Begrenzung, Eindämmung, Schließung, Abschottung. Eine Diskussion über die Ursachen schließt dieser Deutungsrahmen ganz automatisch aus, schließlich entziehen sich diese bei Naturgewalten oftmals dem menschlichen Einfluss.

      Der zweite Deutungsrahmen, den AfD-Politiker zu den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre benutzen, liefert eine Interpretation dessen, wer in unser Land kommt. Laut Bundesregierung kamen 2015 890.000 Asylsuchende nach Deutschland. Wie oben geschildert, bekommt eine solche Zahl erst durch das Framing eine wirkliche Bedeutung. Ein solcher Fakt kann als Chance für die Gesellschaft geframt werden oder als Bedrohung. AfD-Politiker sprechen von »Messermigranten«, kriminalisieren sie somit pauschal und fragen dann anklagend: »Wer schützt uns vor den sogenannten Schutzsuchenden?«. Oder die AfD spricht von »einer Million junger Araber«, die gekommen sind. Die Attributionskette jung, männlich, muslimisch dockt an ein fremdes, orientalisches Wertesystem an, das mit dem westlichen nicht kompatibel zu sein scheint, mehr noch, das in Form des Islams gar eine Bedrohung darstellt. Mit der religiösen Kategorisierung wird den Männern auch ein bestimmtes Frauenbild zugeschrieben. Die Deutung, dass es sich bei den Ankömmlingen ausschließlich um eine Horde arabischer Männer handelt, legt einen Assoziierungskorridor zu Begriffen wie »Rapefugees« oder »Fickilanten« der rechten Straßenbewegungen frei. In Facebook-Gruppen, die sich als AfD-Unterstützungsgruppen und nicht in erster Linie als Pegida oder Identitäre verstehen, finden sich diese Begriffe zuhauf wieder. Dort sind die Grenzen fließend, selbst wenn ein AfD-Vertreter diese Begriffe nie benutzt hat. Aber wenn Björn Höcke im Sonntagabend-Talk der ARD annahmt, dass die »Angstträume für blonde Frauen größer werden«, dann wird das Framing vom Flüchtling als Triebtäter aktiviert, ohne dass Höcke überhaupt die männlichen Flüchtlingen erwähnen muss.

      Ein Frame, der sich ebenfalls auf die Migrationsbewegungen im Jahr 2015 bezieht, jedoch primär den Antagonismus »Volk gegen Elite« betont, ist der Begriff von der »Grenzöffnung«. Faktisch waren damals, als Zehntausende Geflüchtete über Ungarn nach Deutschland kamen, die Grenzen geöffnet, da sowohl Ungarn als auch Deutschland und das dazwischen liegende Österreich zum offenen Schengen-Raum gehören. Angela Merkels Entscheidung, die Grenzen offen zu lassen und die Schutzsuchenden aufzunehmen, war also vielmehr eine Nicht-Grenzschließung. Der semantisch unzutreffende Begriff von der »Grenzöffnung« regt hingegen die Assoziation eines wirkungsvolles Zerrbild an, in dem Merkel die Schlagbäume quasi eigenhändig hochkurbelt. Und es suggeriert einen Rechtsbruch, da geschlossene Grenzen eben nicht ohne Weiteres geöffnet werden können.20 Dieser Frame bezieht sich jedoch wiederum auch auf die Geflüchteten. Wenn ihre Aufnahme rechtswidrig war, sind sie »illegale Migranten«. Das Stigma der Illegalität ist in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam, weil die AfD damit jede Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Schutzsuchenden, etwa im asylpolitischen Sinne, dementiert. Der Europäische Gerichtshof hat indes längst geklärt, dass Merkels Handeln im Sommer 2015 rechtskonform war.

      Für die Gegenüberstellung von »Volk versus Elite« beziehungsweise »AfD versus Establishment« gibt es zwei weitere Framings, die von der Partei immer wieder im öffentlichen Diskurs verwendet werden. Zum einen ist das der Diktatur-Frame, der die Assoziation von Unterdrückung, von einer ungerechten Behandlung des Volkes hervorruft. Das Volk ist das Opfer, die Elite der Unterdrücker. Genauso wird die AfD zum Opfer der herrschenden Elite von Politik und Medien. AfD-Politiker, die sich legitimerweise gegen die Diktatur auflehnen, sind in diesem Framing die moralischen Befreier. Widerstandskämpfer im Namen der Demokratie. Besondere Dringlichkeit bekommt dieser Befreiungskampf mit der zusätzlichen Deutung der Migration als ein von den Eliten initiierter »Bevölkerungsaustausch«, in dem die Flüchtlinge zu Agenten der