Bert Alexander Petzold

Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01


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im Alleingang zurück in die Klassik, wohlgemerkt nicht aus Berlin, oder München, sondern aus Weimar. Schiller war es auch, der Goethe bedrängte, die Arbeit an der „Faust“-Tragödie wieder aufzunehmen.

      „Faust“ beschäftigte Goethe sein Leben lang, schon als Kind kam er mit dem historischen Fauststoff in Verbindung. Erst durch Schiller fand er die Kraft und Muse, das Fragment fertigzustellen und es 1790 zu veröffentlichen. Erleben konnte der Freund die Veröffentlichung des ersten Teils 1808 nicht mehr, und auch Goethe würde von seinem Opus überdauert werden. Der zweite Teil erschien einige Monate nach Goethes Tod 1832.

      Zu diesem Zeitpunkt hatte der Dichter ein langes, erfülltes und bewegtes Leben gelebt. Spätestens seit der Weimarer Klassik stand sein Schaffen im Zeichen der Wirkung. Ihm war die Bedeutung seiner Werke zu Lebzeiten bereits bewusst und er schuf auch einen neuen deutschen Kanon. Die Gründung zweier Epochen und das Lebenswerk „Faust“ allein würden für dieses Ziel wohl reichen, aber Goethe war eben noch viel mehr.

      Natürlich wurde sein Leben, wie auch das von Schiller, über die turbulente Geschichte Deutschlands hochstilisiert und mythisiert, doch seine Wirkung bis in die heutige Zeit kann selbst unter Anbetracht dieser historischen Realität nicht dementiert werden. Das Goethe und Schiller Archiv sowie das zugehörige Museum belegen die einzigartige Produktivität und verdeutlichen, warum es zum Beispiel Einrichtungen wie das Goethe-Institut gibt, die global agieren und das Ethos des Universalgenies berechtigterweise weltweit vertreten. In dem Sinne lohnt sich ein Blick auf das Leben des Dichters, allein schon um zu verstehen, in welchem Kontext sein Schaffen stand. Nebst den vermeintlich trockenen Fakten lebte Goethe aber eben auch im Zeichen der Selbstbestimmung und Freizügigkeit, wodurch seine Biografie ebenso zur süffisanten Unterhaltung taugt.

       2. Familie, Kindheit und Jugend in Frankfurt am Main (1749–1765)

      Am 28. August 1749 wurde Johann Wolfgang Goethe, laut seinem eigenen Bericht in „Dichtung und Wahrheit“, „mittags mit dem Glockenschlage zwölf“ in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main geboren. Über die Umstände seiner Geburt konnte sich Goethe wohl doppelt glücklich schätzen, denn einerseits verlief die Geburt damals nicht ganz ohne Komplikationen. Goethe, der von der Nabelschnur stranguliert auf die Welt kam, wurde wegen der bereits bläulichen Färbung seines Gesichts von der Hebamme für tot gehalten. Erst kräftiges Schütteln und Klopfen ließen ihn die ersten Atemzüge schnappen.

      Andererseits tat er diese ersten Luftschnapper in äußerst gut situierten Verhältnissen. Sein Vater Johann Caspar stammte aus einer Thüringer Bauern-, Handwerker- und Gastwirtsfamilie, von der er beträchtlich geerbt hatte. Er heiratete 1748 Catharina Elisabeth Textor, ihres Zeichens die Tochter des Frankfurter Stadtschultheißen, dem höchsten Beamten und Vertreter des Kaisers in der Reichsstadt. Großvater Textor nahm übrigens die schwierige Geburt des Enkels zum Anlass, um die Hebammen-Ausbildung zu reformieren und den Berufsstand der Geburtshelferin zu etablieren.

      Johann Wolfgang hatte nur eine Schwester, Cornelia, die ein Jahr jünger war als er. Vier weitere Geschwister verstarben, noch bevor sie die Adoleszenz erreicht hatten. Seine Beziehung zur Schwester war dementsprechend eng, sie bewunderte ihn von Kindesbeinen an. Er war bedacht, alles, was er lernte, an die jüngere Schwester weiterzugeben, beide waren einander die engsten Vertrauten. Über die Beziehung reflektierte Goethe selber:

      „Und so wie in den ersten Jahren Spiel und Lernen, Wachstum und Bildung den Geschwistern völlig gemein war, sodass sie sich für Zwillinge halten konnten, so blieb auch unter ihnen diese Gemeinschaft, dieses Vertrauen bei Entwicklung physischer und moralischer Kräfte. Jenes Interesse der Jugend, jenes Erstaunen beim Erwachen sinnlicher Triebe, die sich in geistige Formen geistiger Bedürfnisse, die sich in sinnliche Gestalten einkleiden, alle Betrachtungen darüber, die uns eher verdüstern als aufklären, manche Irrungen und Verwirrungen, die daraus entspringen, teilten und bestanden die Geschwister Hand in Hand.“

      Die häusliche Umgebung konnte man durchaus als charakteristisch für Stand und Vermögen des Elternhauses bezeichnen. Der bei Goethes Geburt bereits 40-jährige Johann Caspar war höchst bedacht, seinen Kindern alle bildungstechnischen Privilegien zukommen zu lassen. So bekamen die Kinder die ungeteilte Aufmerksamkeit mehrerer Hauslehrer, lernten frühzeitig Latein, Griechisch, Französisch und Italienisch, lasen Klassiker im Original. Schon damals profilierte sich Johann Wolfgang durch sein Sprachtalent. Die Privilegien gingen einher mit einer immensen Erwartungshaltung, die vom Vater ausging und sich in einer routinierten Strenge auf die Kinder niedertrug.

      Auf der entgegengesetzten Seite stand die viel jüngere Mutter, Catharina Elisabeth war bei Johann Wolfgangs Geburt gerade einmal 18 Jahre alt. Ihr war die kindliche Welt freilich näher, nachvollziehbarer und vertrauter. Sie ging voll auf in der gemeinsamen Freizeitgestaltung, im abendlichen Vorlesen und war selbst vom Leben nicht zu desillusioniert, um sich Phantasiewelten hingeben zu können. Den Einfluss der Eltern brachte Goethe knapp auf den Punkt: „Vom Vater habe ich die Statur, des Lebens ernstes Führen. Vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren.“

      Bedeutend war ebenfalls der Einfluss seiner Heimat. Die florierende Handelsstadt war mit 30.000 Einwohnern umtriebig, verwinkelt und geschichtsträchtig. Johann Wolfgang war Stadtkind durch und durch, das Labyrinth der Häuserschluchten verpflegte den hungrigen, jungen Geist mit allerlei Eindrücken. Gegenwärtig prasselten Schmiede, Fischer, Metzger und allerlei Händler auf den Jungen ein, während die alten Kirchen, Türme und Klöster eine gewisse Ehrfurcht vor dem Vergangenen und den Traditionen verlangten. In alledem die Idylle des schön gelegenen Elternhauses, Goethe erinnerte sich an seinen Lieblingsplatz im Obergeschoss:

      „Dort war mein liebster, zwar nicht trauriger, aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Über Gärten hinaus, über Stadtmauern und Wälle, sah man in eine schöne fruchtbare Ebene. Dort lernte ich Sommerszeit gewöhnlich meine Lektionen, wartete die Gewitter ab und konnte mich an der untergehenden Sonne nicht satt genug sehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die Nachbarn in ihren Gärten wandeln und ihre Blumen besorgen, die Kinder spielen, die Gesellschaften sich ergötzen sah, so erregte dies frühzeitig in mir ein Gefühl der Einsamkeit und einer daraus entspringenden Sehnsucht, das, dem von der Natur in mich gelegten Ernsten und Ahndungsvollen entsprechend, seinen Einfluss gar bald und in der Folge noch deutlicher zeigte.“

      Im menschgemachten Getümmel sehnte sich bereits der Jüngling nach der Natur. Diese Sehnsucht blieb sein Leben lang. In gleicher Manier zeichnete sich bereits zu jungen Jahren eine regelrechte Gier nach Wissen und der Drang, das Wissen zu verarbeiten, bei Johann Wolfgang ab. Aus der Bibliothek des Vaters verschlang er Juristisches, machte sich an französischen Theaterstücken von Racine oder Voltaire zu schaffen und griff immer wieder zur Bibel. Auch wenn er später den kirchlichen Formen des Christentums gänzlich absagte, nannte Goethe die Bibel als frühe Quelle seiner Bildung.

      Das frühe Stadtleben etablierte schon damals Goethes berühmte Sensibilität für seine Umwelt. So nahm ihn die Kunde vom schweren Erdbeben in Lissabon am 1. November 1755, das als eine der großen Naturkatastrophen des Jahrhunderts in die Geschichte einging, schwer mit. In „Dichtung und Wahrheit“ ließ Goethe nachklingen, wie sehr er als Knabe davon betroffen war:

      „Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen dieses Vorfalls sich durch große Landstrecken verbreitet. An vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspüren, an manchen Quellen ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen. Um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst. Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen musste, war nicht wenig betroffen.“

      Gleichzeitig war eine bewegte Handelsstadt wie Frankfurt freilich selbst fest eingebunden in die zeitgenössische Geschichte. 1759 wurde Frankfurt von den mit den Österreichern verbundenen Franzosen überrumpelt und besetzt, im Elternhaus nahm der leitende französische Verwaltungsbeamte fast zweieinhalb Jahre die unteren Stockwerke in Beschlag.

      Die französische Besatzung brachte ebenfalls eine Schauspieltruppe in die Stadt, Goethe war elf Jahre jung und besuchte die Aufführungen regelmäßig. Gleichzeitig machte Goethe seine ersten poetischen Versuche zu dieser Zeit. Zum Sonntagsempfang war es normal, dass die Kinder Verse vortrugen, Goethe war von der Qualität seiner Verse schnell