Maria Attanasio

Der kunstfertige Fälscher


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Verblüffung am Ende der Durchsuchung. Keine Spur von der Druckereiwerkstatt für Hundert-Lire-Scheine, die mutmaßlich mit der in Palermo im Verbund stand. Stattdessen fand man Handbücher über Chemie, Vergrößerungsgläser, Fotoapparate und die komplette Apparatur — von der Vorbereitung der Klischees bis zum Druck — eines unerwarteten Labors für die Fälschung von Fünfhundert-Lire-Banknoten, viele davon ordentlich verpackt unter den Kommoden und für den Absatz bereit. Doch weder eine Bank noch irgendeine Privatperson hatten jemals die Existenz ebendieser gefälschten Scheine zur Anzeige gebracht. »Wie ist das möglich?«, fragte sich der Kommissar verdutzt, und an den professore gewandt:

      »Mit wem arbeiten Sie zusammen?«

      »Das hier habe ich alles allein gemacht. Und aussagen werde ich vor niemand anderem als dem Königlichen Staatsanwalt«, erwiderte der Mann barsch, der, ohne sich im Mindesten um das Treiben um ihn herum zu kümmern, wieder mit stolzer Brust, doch gebrochener Sehkraft in Richtung der Lavafelder starrte.

      Der telefonisch benachrichtigte Staatsanwalt traf einige Stunden später ein. Erstaunt blickte er auf den Mann mittleren Alters, der am Fenster saß; in seinem abgetragenen haselnussbraunen Anzug wirkte er wie ein bescheidener, ehrwürdiger Beamter im Ruhestand: In nichts entsprach er dem Klischee eines Geldfälschers oder Schwarzmarkthändlers, die sofort an ihrem Tand und Protz und dem im Vergleich zu ihrer angeblichen Tätigkeit hohen Lebensstandard zu erkennen waren.

      Der Staatsanwalt hörte zu, prüfte, analysierte und verweilte vor dem Selbstbildnis, das den Schreiner so sehr in Schrecken versetzt hatte. Er, ein Amateurmaler zarter Veduten von Meer und Küste, blickte nun befremdet auf die beiden Gesichter ohne Schädel, die aus der Schwärze des Hintergrunds hervortraten.

      Schließlich schickte er sich an, den Geldfälscher zu befragen, der ihn jedoch gestreng innehalten ließ: »Vor einem Künstler nehmen Sie gefälligst den Hut ab!«

      Dieser stolze und empörte Ton brachte ihn aus der Fassung. So legte er nicht nur den Hut, sondern auch Überzieher und Schal ab, griff sich den einzigen Stuhl im Zimmer und setzte sich neben den Mann ans Fenster.

      »Reden Sie jetzt«, sagte er. »Sagen Sie mir alles über diese Werkstatt.«

      »Keine Eile«, war die Antwort. »Ich komm’ schon noch dazu: Sie werden Namen, Nachnamen und Adressen erfahren. Alles.«

      Der Geldfälscher Paolo Ciulla begann also seinen Bericht mit dem Tag seiner Geburt am 19. März 1867 in Caltagirone, in einem Sizilien, das in jenem Jahr beim schwierigen Übergang von der Herrschaft der Bourbonen unter die der Savoyer den Gipfel seiner verzweifelten Lage erreichte: Krieg, Aufstände, Cholera, Dürre. Und beim Erzählen geriet er in Begeisterung, wurde ironisch, war gerührt, entrüstete sich, wurde fuchsteufelswild angesichts der Ereignisse jenes Lebens, als wäre es das eines anderen und nicht sein eigenes. Die fabulierende Verdoppelung, wie sie jeder conteur — zwischen phantasievoller Allwissenheit und sich entziehenden Fakten — vollbringt, indem er die Leerstellen füllt und dem längst Vergessenen, dem Vorstellbaren einer Lebensgeschichte eine Stimme verleiht. Dem tieferen Sinn der Erzählung.

ERSTER TEIL

       Eins

      Es war wahrlich kein friedlicher Spaziergang, jene wenigen hundert Meter, die Don Giuseppe Ciulla — wie ihn inzwischen so manch einer nannte — am Morgen des 20. März 1867 zusammen mit zwei Zeugen zurücklegte, um im Rathaus die Geburt seines am Vortag geborenen Sohnes anzuzeigen.

      Kaum bog er um die Ecke der Via Sotto il Duomo im alten Stadtteil Giudecca, seinem Wohnviertel, wurde er von einer Polizeisperre aufgehalten, die eine neugierige Menge mit Drohgeschrei gegen das nahe Rathaus und den fernen Staat zu durchbrechen suchte; obschon Stadt und Staat in jenen Jahren von höchst integren Männern der Rechten geführt wurden, echten Liberalen, die freilich den Wert der Finanzen vor den Hunger des Volkes stellten.

      Nach der von Garibaldi angeführten Revolution und der gewaltsamen Niederschlagung, die auch in Caltagirone Märtyrer hervorgebracht hatte, war der Hass auf die Regierung und ihre Unterstützer im Rathaus — geschürt von Kaplänen und Bourbonenanhängern — im Gleichschritt mit Zöllen, Militärdienstpflicht und Hungersnöten Jahr um Jahr angewachsen. Zwischen Juni und November jenes Jahres sollten die sozialen Spannungen mit der Ausbreitung der Cholera ihren Höhepunkt erreichen. Denn in den ärmsten Schichten verbreitete sich bei den ersten Krankheitssymptomen auch die Überzeugung, dass die Regierung, um das Problem des Hungers und der öffentlichen Sicherheit zu lösen, die Streuung der Epidemie — Stadt für Stadt — mit genauen Vorgaben hinsichtlich der Anzahl der Toten und der Gesellschaftsschicht verfügt habe. Caltagirone hatte fünftausend Tote zu beklagen, alle unter den einfachen Leuten, den Handwerkern, den Arbeitslosen und den bedürftigen Bürgern. Darauf folgten Tumulte, Brände und Angriffe auf das Rathaus und eine gnadenlose Jagd auf den untore, den Giftsalber: Pech für den Unglücksvogel, der dabei überrascht wurde, wie er sich gerade zu Boden beugte oder sich dicht an den Mauern entlang fortbewegte, genau wie es im 17. Jahrhundert dem Barbier Mora und dem Kommissar der Gesundheitsbehörde Piazza geschehen war, den beiden Opfern in Alessandro Manzonis Geschichte der Schandsäule. Und der Aberglaube des Volkes wurde auch durch den aufsässigen katholischen Fundamentalismus angefacht, der von den Kanzeln herab, mit Donnergetöse von Verdammnis oder Kirchenbann, die Ursache der Epidemie in der antiklerikalen Revolution Italiens erkennen wollte, »das nun zu Recht von Gottes Hand mit der furchtbaren Cholera bestraft wurde.«

      Doch an jenem 20. März war die Cholera ein bloßes Drohgespenst. Heftiger und unmittelbarer war das Bedürfnis nach Nahrung: Seit neun Monaten regnete es nicht mehr, auf ein Jahr der Dürre folgte ein weiteres, gleichermaßen unfruchtbares, brütend heißes. Und obwohl die Stadtverwaltung dafür gesorgt hatte, dass Weizen aus Catania kam — wohin er wiederum aus Tunesien und Ägypten angeliefert wurde —, hatte man kein Brot backen können: Flüsse und Wildbäche waren ausgetrocknet, und so standen die Flügel der Mühlen unerbittlich still. Der Weizen, das waren unbezwingbare Körner geblieben, und die Stadt somit ohne Brot. Nachdem man am Stadtrand auf eine verhungerte Schwangere gestoßen war, obsiegte der Hunger über jede atavistische Vorsicht; Proteste und Plünderungen nahmen Tag um Tag zu, bis an ebenjenem Morgen ein unschuldiger Wachmann der Stadtverwaltung ermordet wurde, der mit dem Regierungsinspektor des Versorgungsamtes, Eugenio Manca, dem eigentlichen Ziel des Schützen, unterwegs war, um die städtischen Backstuben zu inspizieren.

      An Brot mangelte es Don Giuseppe Ciulla in Wirklichkeit nicht. Gleich nach der Vereinigung Italiens war er aus dem fernen Barrafranca mit einem kleinen Sparsäckel hierhergekommen, hatte eine Schuhmacherwerkstatt eröffnet, an die er nach und nach einen bescheidenen, aber vom Glück gesegneten Lederwarenhandel angliederte. Damit konnte er nicht nur sorglos leben, sondern auch etwas zur Seite legen. Seiner geizigen Natur schmerzlich zuwiderhandelnd, kaufte er unter der Hand stets ein wenig überteuertes Mehl für seine schwangere Frau, die er im Jahr zuvor geheiratet hatte. Verführt hatten ihn nicht ihre liebliche Schönheit, auch nicht ihr jugendliches Alter, sie war zwanzig Jahre jünger als er, sondern ihre Geschicklichkeit als Strumpfwirkerin.

      Don Giuseppe war nicht nur knausrig, sondern auch äußerst umsichtig. So versuchte er an jenem Morgen, unbemerkt an den Wachleuten und dem Ermordeten vorbeizuschlüpfen, taub obendrein gegenüber dem Drohgeschrei an die Adresse der Behörden. Er zerrte seine beiden Begleiter, die sich unter die Menge hatten mischen wollen, mit sich fort und machte schleunigst kehrt. Nachdem er mit ihnen einen langen Umweg über den unteren Teil des Corso zurückgelegt hatte, traf er schwer atmend am Rathaus ein, wo alle wegen der bedrohlichen Anwesenheit des gemeinen Volks draußen auf der Piazza in höchster Aufregung waren.

      Die beiden Rathausdiener, die am Eingang Wache hielten, hießen ihn mit einem barschen »Das ist ein Befehl. Keiner darf hier vorbei!« Halt machen. Aber ein paar Münzen der alten Währung dienten als Passierschein, der es ihm begleitet von einem verschwörerischen »Macht schnell, Euer Ehren« erlaubte, endlich die Geburt seines Sohnes Paolo Francesco Gesualdo registrieren zu lassen und sich von der lästigen Gegenwart der zwei Zeugen zu befreien.

      Während er sich zufrieden und nunmehr allein auf den Heimweg machte, vervielfältigten sich