Guido Cantz

Bauchgefühl & Gottvertrauen


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meines neuen Comedyprogramms. Beides fiel dem Lockdown zum Opfer. Da ich mich immer noch schwach fühlte und mich insgeheim schon länger gefragt hatte, ob meine Kondition für dieses Gesamtpaket reichen würde, war ich zunächst erleichtert. Für einen kurzen Moment dachte ich sogar: „Siehst du, der liebe Gott passt auf dich auf!“ Doch diesen Gedanken verwarf ich angesichts des Ausmaßes der Pandemie sofort wieder. Nur um mir zu helfen, hätte die ganze Angelegenheit sicherlich mehrere Nummern kleiner ausfallen müssen. Ich war einfach froh, durchatmen zu können und nicht nur nach Hause zu kommen, um den Koffer umzupacken. Als ich dann nicht mehr von Termin zu Termin funktionieren musste, begann ich die Tragweite der aktuellen Lage zu erfassen, emotional wie auch wirtschaftlich. Zwar hatte ich zuvor die Nachrichten verfolgt und die neuen Regelungen zur Kenntnis genommen, aber mir fehlte bis dato der Freiraum, um über diesen Moment hinaus zu denken. Und dann wurde mir bewusst: Ich bin ja Mitinhaber von zwei Firmen mit 19 Beschäftigten, unsere Kerngebiete sind Künstlermanagement und Eventorganisation, also gleich zwei Branchen, in denen so gut wie gar nichts mehr ging. Was würde das mittelfristig für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeuten? Wie lang würde der Stillstand anhalten?

      Weitere unangenehme Gedanken mussten auf einmal durchgespielt werden: Was wäre, wenn der Karneval nächstes Jahr ausfällt? Wir betreuen viele Künstlerinnen und Künstler aus diesem Bereich. Wann werden wir wieder Publikum im Fernsehstudio haben? Wie lange werde ich nicht auf Tournee gehen können? Gleichzeitig habe ich versucht, die Lage von der humoristischen Seite zu betrachten. Schließlich verbirgt sich in jeder Lebenssituation immer auch eine Portion Komik, manchmal ist sie nur sehr gut versteckt. Doch meine Gedanken mündeten nie in dem Impuls, mich an den Computer zu setzen und eine passende Nummer zu schreiben.

      Es verbirgt sich in jeder Lebenssituation immer auch eine Portion Komik, manchmal ist sie nur sehr gut versteckt.

      Ich fing an, meinen Beruf zu vermissen. Nach den ersten ruhigen Wochen, in denen ich gern und ausgiebig mit meiner Frau Kerstin und meinem Sohn Paul gekocht hatte, packte mich eine quälende innere Unruhe. Ich verspürte den Drang, wieder auf der Bühne zu stehen und Menschen zu unterhalten. Ich war wie auf Entzug. Bühnenentzug. Ich kann noch so müde sein, sobald ich auftrete, ist das Adrenalin sofort zur Stelle. Als Ersatz, um meine Energie in andere Bahnen zu lenken, bestellte ich mir einen Dampfstrahler und begann wie besessen unsere Terrasse zu reinigen, bis Kerstin meinte: „Lass noch ein bisschen was von den Steinen übrig!“

      Dass ich die Familie immer wieder zur gemeinsamen Gartenarbeit motivieren wollte, stieß mittelfristig auch nicht auf ungeteilte Begeisterung, deshalb beschloss ich, wieder regelmäßig Fahrrad zu fahren. Auf diese Weise konnte ich mich gleichzeitig auspowern und in Ruhe nachdenken. Ich erkannte allmählich, wie unproduktiv diese Leere war, die sich nicht so einfach wieder schließen ließ. Sich immer nur im Kreis zu drehen und all das zu beklagen, was gerade nicht möglich war, brachte mich nicht weiter. Die Frage lautete eher: Soll die Show nach der Pause einfach so weiterlaufen wie bisher? Oder sollte ich ein paar der bekannten Abläufe überdenken und das Programm neu schreiben?

      Auf einmal führte kein Weg daran vorbei, mir einzugestehen: Du wirst in diesem Sommer fünfzig Jahre alt, du bist jahrelang nur von Termin zu Termin gehetzt und hast keine Zeit gehabt, dir ein paar ganz grundsätzliche Fragen zu stellen. Jetzt bietet sich dir die Gelegenheit, über dein Leben nachzudenken, du wünschst dir aber einen vollen Terminkalender, um dich davor drücken zu können. Jetzt wegzulaufen ist sinnlos, der aktuelle Stillstand gilt auch für dich, egal ob du willst oder nicht.

      Und dann dachte ich: Vielleicht möchte „der da oben“, dass du diesen Einschnitt nutzt, um dich und deine Ziele neu zu justieren. Ja, ich glaube an Gott! Ich bete regelmäßig und bitte ihn um seine Unterstützung. Er hat mich in den letzten dreißig Jahren auf meiner Ochsentour durch das Showgeschäft begleitet und war in allen Momenten des Aufbruchs, des Zweifels und der Unsicherheit meine Hilfe und mein Kompass. Und er wird mir hoffentlich in dieser Phase des Umbruchs auch wieder beistehen, denn bis jetzt waren mir zwei Dinge immer gute Ratgeber: Bauchgefühl und Gottvertrauen.

      Gott war in allen Momenten des Aufbruchs, des Zweifels und der Unsicherheit meine Hilfe und mein Kompass.

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      Halten wir fest: Zwanzig Jahre ohne Plan einfach so drauf los gelebt, dreißig Jahre im Scheinwerferlicht den Applaus ausgekostet und dann einmal die große Pausentaste erlebt … Was hat das Leben noch mit mir vor und was möchte ich eigentlich wirklich? Und was will ich in Zukunft vielleicht nicht mehr? The show must go on?

      Vielleicht haben auch Sie sich in den Monaten des Lockdown-Stillstands Fragen wie diese gestellt oder sind mit ihnen anderswo im Leben konfrontiert worden. Womöglich geht es Ihnen genau wie mir: Sie stellen fest, etwas Neues bricht auf. Ich möchte Sie jetzt mitnehmen auf meine Suche nach den für mich passenden Antworten. Dabei hilft es mir, auf die Ereignisse zurückzublicken, die meine vergangenen fünf Jahrzehnte geprägt haben. Sicher ist nur: Sich einfach auf die Zungenspitze zu beißen, hilft in diesem Fall nicht. Damals in Aachen übrigens auch nicht.

       1. Guido, du schaffst das schon!

      Wann genau sich mein Umfeld einig war, dass ich als „Mann für alle Fälle“ unkaputtbar bin, kann ich nicht mehr sagen. Vielleicht habe ich auch nicht laut genug widersprochen, weil es dem Ego durchaus schmeichelt, wenn man immer wieder hört: „Wer soll das schaffen, wenn nicht du, Guido.“ Und während meine für die Vernunft zuständigen Regionen des Gehirns signalisieren wollen: „Lass dich nicht so schnell einwickeln“, hat die innere Rampensau bereits eine Abkürzung in den Nervenbahnen entdeckt und prescht hervor: „Recht haben sie! Mach es!“ So kommt es denn auch dazu, dass ich mich Karneval um 23:30 Uhr auf der Bühne wiederfinde, nachdem zuvor drei andere Wortkünstler anderthalb Stunden lang ihre Pointen auf das Publikum abgefeuert haben. Die Damen und Herren im Publikum sind also bereits deutlich erschöpft und würden vermutlich über die Ankündigung „Zwanzig Minuten Toilettenpause!“ lauter jubeln als über ein „Und hier ist Guido Cantz.“

      Ich weiß genau, was so ein Setting bedeutet: Jetzt musst du ackern. Du musst den Saal in den ersten neunzig Sekunden bekommen, sonst wird es für beide Seiten zäh. Noch schlimmer ist es nur, wenn du den letzten Auftritt des Abends erwischst, dann kommen nämlich schon die Kellner und beginnen zu kassieren. Während also sämtliche Gäste angeheitert versuchen sich zu erinnern, was sie in den vergangenen Stunden konsumiert haben, ist man auf der Bühne in derselben Situation wie der Lehrer, der den Nachmittagsunterricht mit einer Doppelstunde Mathe beenden darf. Falls dann noch lautstark über die halbe Sitzreihe die Frage erörtert wird, wer die zwei offenen Gläser Weißwein hatte, ist meine Anwesenheit auf der Bühne nur noch Hintergrundberieselung. Wie ein Fernseher, den man weder beachtet noch ausschaltet.

      „Drück dich nicht vor der Herausforderung“ ist nicht immer der beste Ratgeber. So ließ mich denn auch ein schnell dahingesagtes „Guido, du schaffst das schon“, gepaart mit meinem hohen Selbstanspruch, den Vertrag für ein Fernsehprojekt unterschreiben, das damals zu den Tiefpunkten meiner jungen Karriere gehörte. Ein Desaster mit Ansage! Eigentlich hätte mir schon vorher klar sein müssen, dass es keine gute Idee ist, eine Primetime-Show mit Talk, Spielen und Quiz-Elementen an nur einem Tag proben und aufzeichnen zu wollen. Genau das aber war der Plan bei meinem Ausflug in den Hauptabend namens „Die große Edgar Wallace-Show“ im Jahr 2004.

      „Drück dich nicht vor der Herausforderung“ ist nicht immer der beste Ratgeber.

      Die genaue Entstehungsgeschichte des Formats kenne ich nicht, aber ich liege vermutlich nicht ganz falsch, wenn ich sie mir folgendermaßen vorstelle: Die Produzentin geht zum Sender und sagt: „Ihr zeigt doch gerade die alten Edgar-Wallace-Filme, die Rechte daran habt Ihr sowieso, lasst uns drum herum noch ein Entertainment-Format zimmern. Wir laden die Schauspieler der Originalfilme plus den Cast der Parodie „Der Wixxer“ ein, der Rest ergibt sich dann irgendwie. Ein paar Quizfragen, Spiele, bisschen quatschen, nein, nein, wir brauchen nicht viel Budget … Ach so! … Gut, ich hatte das Doppelte kalkuliert, aber kriegen wir hin!“

      Als ich dann fragte: „Wann soll ich mich auf