„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Die Lebensgeschichte der Susanne Bechstein
auf seine Weise. Von diesem Zeitpunkt an gab es keine Probleme mehr. Mir stand sogar die Küche zur Verfügung und Rudolf brauchte nicht mehr in die Kneipe zu gehen, denn von jetzt an kochte ich.
Wie Frauen nun mal so sind, beschäftigte ich mich im Laufe der Zeit damit, Rudolfs Zimmer umzugestalten und es mit Deckchen, Blümchen und bunten Kissen zu verschönern, damit wir uns wohlfühlen konnten. Rudolf und ich wollten unbedingt zusammenziehen. Wir würden eine Monatsmiete sparen und das ständige Hin- und Herfahren hätte ebenfalls ein Ende. Aber wie sollten wir an eine Wohnung gelangen, zumal ich nicht mit Rudolf verheiratet und zudem auch noch nicht mündig war. Daraufhin ließ Rudolfs Schwester Gerda ihre Beziehungen spielen, was nach einiger Zeit auch zum Erfolg führte. Einer ihrer Bekannten, Herr Weinrich, hatte die Absicht, auf unbestimmte Zeit in sein Gartenhaus zu ziehen, und suchte jemanden, der seine Wohnung übernahm. Für wie lange, das stand in den Sternen. Dieses Angebot wurde für uns zum Glücksfall. Natürlich kamen Schwierigkeiten auf uns zu, weil wir nicht verheiratet waren. Herr Weinrich meinte jedoch, dass es der Hauseigentümer, Herr Berthold, vorerst nicht erfahren müsse. Außerdem verlangte Herr Weinrich für seine Möbel fünfhundert Mark Abstand. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Da Rudolf und ich noch nicht besonders gut verdienten und erst recht kein Spargeld besaßen, wussten wir uns zunächst keinen Rat. Aber auch hier gab es einen rettenden Engel. Gerdas Freundin Erna stellte uns das Geld zur Verfügung und war damit einverstanden, dass wir es ihr in Raten zurückzahlten.
Von da an hatten wir eine Einzimmerwohnung mit einer Küche, einem schmalen Flur, einem Badezimmer samt Wanne, einem Waschbecken – darüber hing ein Spiegel – und zwei kleinen Schränkchen. Die Toilette befand sich zwei Etagen tiefer und wurde von allen Hausbewohnern benutzt. Letzteres stellte für Rudolf das größte Problem dar, weil er äußerst schamhaft war. Im Zimmer befanden sich ein Klappbett, ein Kleiderschrank, ein runder Tisch aus Omas Zeiten, zwei Sessel, ein Flickenläufer und an den Fenstern bunte Vorhänge zum Zuziehen, damit man vom Bahnsteig aus nicht hereinschauen konnte. Die anderen schönen Möbel hatte Herr Weinrich bestimmt mitgenommen. Rudolf und ich besaßen beide keinerlei Hausrat, nicht einmal einen Löffel oder eine Gabel, geschweige denn Teller. Freunde, die das alles bereits im Überfluss besaßen, schenkten uns eine Erstausstattung. Wir waren glücklich, dass wir jetzt jeden Tag zusammen sein konnten. An unsere neue Lebenssituation gewöhnten wir uns rasch. Das Einzige, was uns störte, war die Toilettensituation. Hatten war ein Bedürfnis, standen garantiert Mieter vor der Toilette und unterhielten sich. Oder das Örtchen war besetzt und wir mussten warten. So kam Rudolf oft unverrichteter Dinge wieder nach oben, es gab ja noch den Eimer, der im Grunde keine Lösung war.
Vom Wohnzimmer aus konnten wir direkt auf den Bahnsteig Prinzenstraße sehen und dort die Fahrgäste beobachten. Die erste Zeit konnten wir nicht schlafen, weil die einfahrenden Züge schon von Weitem zu hören waren. Daran mussten wir uns gezwungenermaßen gewöhnen, weil sich bestimmte Dinge im Leben eben nicht ändern ließen. Wir schliefen in unserem Klappbett und waren glücklich, die Nähe eines anderen Menschen zu spüren. Das war etwas, was wir in unserer Kindheit vermisst hatten. Am Morgen klappten wir das Bett hoch und zogen es mit einem bunten Vorhang zu.
Wir lebten sehr sparsam, und jede Mark, die wir erübrigen konnten, legten wir zur Seite. Als Kraftfahrer bei Loseid erhielt Rudolf, ebenso wie seine Kollegen, jede Woche ein Kilo frischen Fisch geschenkt, was unserem Speiseplan zugutekam. Ich arbeite in der Druckerei Bettin, wo ich vom Steindruck bis hin zum Offsetdruck alles kennenlernte.
Rudolf wünschte sich eine Musiktruhe, da er nur ein Kofferradio besaß. Weil wir keine großen Sprünge machen konnten und eine solche Anschaffung nicht bar bezahlen konnten, beschlossen wir, uns diese mittels Ratenzahlung zu leisten. Da wir nicht verheiratet waren, lief der Vertrag auf Rudolfs Namen.
Unser neues Zuhause wurde mit der Zeit immer gemütlicher und wir genossen jeden Tag, den wir zusammen verbringen konnten. Zu seinen Geschwistern hatte Rudolf wieder gute Beziehungen aufgebaut. Oft besuchten wir Fredi und Lilo in deren edel eingerichteter Neubauwohnung. Fredi war 1953 aus Ost-Berlin geflüchtete, als es den ersten Aufstand gegeben hatte. Er arbeitete auf dem Bau und verdiente schönes Geld. Aufgrund der Hauswartstelle brauchten er und Lilo nur die Hälfte der Miete zu bezahlen.
Nach einem Jahr Ehe auf Probe wurde uns von Herrn Weinrich regelrecht die Pistole auf die Brust gesetzt, zumal er die Absicht hatte, seine Wohnung zu kündigen. Er plante, weiterhin auf seinem Grundstück zu leben, und brauchte die Wohnung nicht mehr. Wir mussten also entweder umgehend heiraten oder uns stand der Auszug bevor. Da ich immer noch nicht volljährig war und daher auch noch nicht mündig, um diese Entscheidung für mich zu treffen, wurde die Situation für Rudolf und mich zum Problem. Ich benötigte das Einverständnis meines gesetzlichen Vormundes, den ich nicht kannte …
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