darauf, sich aus Rache an ihnen schadlos zu halten. Die Schwarzen konnten es lange Zeit nicht glauben, so relativ ungeschoren davonzukommen. Dass sie in Sippenhaft genommen wurden, mit allen unangenehmen Konsequenzen in Form von fürchterlichen Prügeln, falls einer der ihren sich gegen den „Herrn“ auflehnte, war üblich. Die Rache des Bwanas musste und würde erfolgen …
Nichts dergleichen geschah. Sogar Elisa, die „Täterin“, ließ man erstaunlicherweise in Ruhe. Was oder wer immer auch den Plantagenbesitzer zu dieser Haltung bewogen hatte, erfuhren sie nie. Auch dass der Bwana es künftig unterließ, sich an seinen schwarzen Farmarbeiterinnen zu vergehen, blieb ein ungelöstes Rätsel. Die Vergewaltigungen übernahmen ab jetzt seine weißen Aufpasser, aber hauptsächlich die schwarzen, die allesamt aus anderen Teilen Afrikas stammten.
Eine bewährte Methode: So hielt man es auch mit der Auswahl der Askaris, den schwarzen Angehörigen der bewaffneten deutschen „Schutztruppe“, die, zumindest in den ersten Jahren, niemals aus dem Gebiet stammten, in dem sie eingesetzt werden sollten. So unterbanden die Kolonisatoren Gefühle von Sympathie und Solidarität mit den Geschundenen und Ausgebeuteten …
Für die nach wie vor brutalen Strafaktionen bei den geringsten Vergehen oder banalsten Nachlässigkeiten war nach dem Eklat mit Elisa die in Kürze bei allen Farmarbeitern wie der Teufel persönlich gefürchtete und verhasste Memsahib zuständig.
Die war im Übrigen schlauer als ihr Ehemann: Niemals blieb sie während einer der Züchtigungen, die sie immer persönlich vornahm, mit ihren Opfern alleine. Mindestens zwei Helfer pflegten sie, die in Kürze als „weiße Hexe“ Verschriene, während ihrer Prügelorgien zu flankieren und zu beschützen. Das Beispiel ihres mit der Nilpferdpeitsche traktierten Gatten diente ihr anscheinend als Warnung.
Die Flucht der Schwarzen vom weitläufigen Gelände der Pflanzung am Sansibar-Kanal, zwischen Daressalam und Kibaha gelegen, damals zwar fürs Erste aufgeschoben, war jedoch keineswegs aufgehoben.
Vor drei Wochen, etwa ein Jahr nach dem Vorfall mit Elisa, hat man es also erneut ernsthaft versucht. Dass jetzt selbst der zweite Anlauf zum Scheitern verurteilt zu sein scheint, bedeutet, nachdem man schon so weit gekommen ist, kurz vor Nijinjo am Fluss Matandu, für die Betroffenen eine kleine Tragödie.
Sollten sie jetzt an den deutschen Pflanzer und die „weiße Hexe“ ausgeliefert werden, würde es dieses Mal möglicherweise ihren Tod bedeuten. Ein weiteres Mal von „minderwertigem Negervolk“ zum Narren gehalten zu werden, würde der Stolz ihres Bwanas, vor allem aber der seiner Memsahib, aller Voraussicht nach nicht verkraften.
Die Anzahl und die verheerenden Folgen der wahrscheinlich zur Strafe verabreichten Hiebe mit der gefürchteten Kiboko will sich keine der gefassten Frauen auch nur andeutungsweise vorstellen.
Darum will Elisa es wagen, sich völlig ihrem Häscher anzuvertrauen, diesem jungen, gut aussehenden deutschen Offizier, der sichtlich beeindruckt ist von ihrem Aussehen, ihrem Mut und nicht zuletzt von ihrer gewandten Ausdrucksweise.
„Du hast es tatsächlich geschafft, Frau, ihn mit seiner eigenen Peitsche zu verbläuen?“, fragt der Leutnant sie mit großen Augen. Als Elisa seelenruhig bejaht, bricht er in wieherndes Gelächter aus.
„Du bist mir ja vielleicht eine! Eine ganz Schlimme, wie mir scheint!“ Aber er sagt es mit hörbar bewunderndem Unterton.
„Ich habe es auch für meine kleinen Kinder getan“, erklärt Elisa ihm mit sittsam niedergeschlagenen Augen. „Er wollte mich, eine arme hilflose Witwe, die ihm schutzlos ausgeliefert ist, vor ihren Augen schänden!“
„Deine Güte und Liebe umgeben mich an allen kommenden Tagen; in deinem Haus darf ich bleiben mein Leben lang.“
(Psalm 23, 6)
Das wiederum erscheint dem jungen Offizier, der sich sichtlich „fremdschämt“ und knallrot anläuft, da er sich offenbar noch ein Gefühl für Anstand, Recht und Gesetz bewahrt hat, so verwerflich, dass er sich bereit erklärt, sie und die Ihren nicht ihrem „Besitzer“ auszuliefern, sondern sie stattdessen der Obhut der frommen Benediktinermönche zu übergeben, deren Missionsstation sich nicht allzu weit entfernt und zum Glück weitab der betreffenden Zuckerrohrplantage befindet. Dass der weiße Pflanzer sie dort jemals aufspürt, ist nahezu ausgeschlossen.
„Und wenn doch, werden die Brüder eure Auslieferung an ihn zu vereiteln wissen. Dafür kann ich dir garantieren, Elisa“, verspricht ihr der Offizier zum Abschied.
Damit haben Elisa und ihre Anhänger zwar nicht ganz das erreicht, was sie ursprünglich mit ihrer Flucht bezweckt haben, nämlich Uhuru; ein großes und unsagbar wertvolles Gut: Ihre Freiheit.
Was nun im Tagebuch seines Vorfahren festgehalten ist, kennt Leo XIV. nur zu gut.
Immerhin kann Maurices Mutter froh sein, nicht das schreckliche Schicksal Jagodjas teilen zu müssen, einer hübschen Eingeborenen. Sie hatte das Pech, gezwungenermaßen die Beischläferin Carl Peters’ zu sein. Alle Schwarzen in diesem Teil Ostafrikas kennen die abscheuliche Geschichte.
Im August 1891 erfuhr dieser Unmensch, „kaiserlicher Reichskommissar für die Bezirke Kilimandscharo, Paré und Usambara“, dass das Mädchen auch eine Liebesbeziehung zu seinem schwarzen Diener Mabruk pflegte. Peters ließ Mabruk umgehend hinrichten, nachdem ein von ihm ohne jegliche Legitimation gebildetes „Standgericht“ das Urteil, das er forderte, ohne Zögern ausgesprochen hatte.
Jagodja war die Flucht gelungen zu einem Anführer des Wachagga-Stammes. Als der Mann Carl Peters’ Forderung nach Auslieferung seiner Bettgenossin ablehnte, begann der kaiserliche Reichskommissar damit, die Hütten der Wachaggas durch Askaris, jene schwarzen Elitesoldaten der Deutschen, niederbrennen zu lassen.
Da gab der Häuptling schließlich nach und überließ ihm die Geflohene. Worauf Jagodja ebenso wie ihr Geliebter Mabruk auf Geheiß des „Gründers von Deutsch-Ostafrika“ von einem von Peters wiederum gesetzwidrig einberufenen „Schnellgericht“ zum Tod verurteilt und gehängt wurde. Carl Peters verfügte ab dieser Zeit über den Beinamen „Hänge-Peters“ …
Da würde es Elisa Obembe und den Ihren bei den frommen Mönchen doch vergleichsweise gut gehen.
* * *
„Die auf den Herrn blicken, werden strahlen, und ihr Angesicht wird nicht beschämt.“
(Psalm 34, 6)
Kardinal Carlo di Gasparini aus Padua hat immer noch schlechte Laune. Sogar noch eine schlechtere als gewöhnlich. Und wie üblich wird er sie an seinem geistlichen Mitbruder, Adlatus, Sekretär, Berater, was auch immer, Monsignore Giuseppe Barillo, auslassen. Der ist daran gewöhnt und versteht es zumeist, rechtzeitig in Deckung zu gehen und abzuwarten, bis das Unwetter sich verzogen hat.
Dieses Mal sind allerdings die Aussichten, sich den sprunghaften und unberechenbaren Stimmungen seines Dienstherrn komplett zu entziehen, ausgesprochen eingeschränkt. Den Anlass für das andauernde Missvergnügen kennt Monsignore Barillo natürlich auch: Das Pontifikat Leos des Vierzehnten.
Es wird sich vermutlich ewig lange Zeit hinziehen, wenn man das Alter und den geradezu beängstigend guten Gesundheitszustand sowie die körperliche Fitness des neuen Pontifex berücksichtigt.
Der Kardinal ist immerhin zehn Jahre älter als Obembe, längst nicht in so guter physischer Verfassung und sieht seine Felle, den andern auf dem Papstthron noch rechtzeitig ablösen zu können, davonschwimmen.
Flugs hat er ihm auch einen Spitznamen angehängt: In vertrautem Kreise nennt er ihn „Leo Africanus“, wobei er die von Biologen und Zoologen benützte Bezeichnung für die Spezies des afrikanischen Löwen verwendet. Nun handelt es sich bei dieser Raubkatze bekanntermaßen um den „König der Tiere“ und so könnte die Bezeichnung eigentlich ein Ehrentitel sein.
Aber so, wie der Kardinal sie verwendet, ist sie nichts weniger als das: Er möchte damit das Animalische des Pontifex zum Ausdruck bringen, seine Primitivität und Unberechenbarkeit und nicht zuletzt