Karla Weigand

Der Pontifex


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dessen dubiosem Verlangen nach einem Exoten sind sie eingeknickt!“

      Flüchtig geht dem Kardinal durch den Sinn, dass der Einzige, auf den er seit Jahren bedingungslos vertrauen kann, sein Adlatus Giuseppe Barillo ist. Ausgerechnet der Mann, den er oft ziemlich mies behandelt …

      Ja, einen kurzen Augenblick lang empfindet di Gasparini sogar so etwas wie Reue darüber, den Monsignore schon mehrmals als „Watschenmann aus dem Wiener Prater“ missbraucht zu haben.

      Aber der Moment der Einsicht verfliegt ebenso schnell wieder, wie er aufgetaucht ist. Schlechtes Gewissen und Gefühle des Bedauerns über eigene Verfehlungen gehören nicht unbedingt zum Repertoire des Kardinals.

      Di Gasparini beschließt, mit zwei befreundeten hohen Geistlichen, einem Deutschen und einem Italiener, ernsthaft darüber zu sprechen, wie es überhaupt zu dem Debakel hat kommen können. Seit der Papstwahl sind inzwischen beinahe vier Monate vergangen und eigentlich müsste es jetzt möglich sein, sine ira et studio darüber zu debattieren.

      Mit aller gebotenen Vorsicht natürlich, denn eigentlich ist es nicht gestattet, überhaupt Interna des Konklaves zu besprechen, auch nicht mit Betroffenen und noch viel weniger mit Nichtteilnehmern. Wenngleich das Verbot nicht mehr ganz so streng gesehen wird.

      Er selbst hegt die Vermutung, man habe seinen enormen Einfluss auf italienische Politiker und sein politisches Gewicht als schwerreicher und mächtiger Industriellenabkömmling befürchtet und damit natürlich eine enge Verflechtung mit dem Großkapital.

      Definitiv kennt er sogar die Namen derjenigen, die auch ihm eine allzu große Nähe zur immer noch und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit existierenden italienischen Mafia zur Last legen.

      Dio mio! Natürlich kennt er etliche Paten der „Ehrenwerten Gesellschaft“, die sehr viel Gutes in ihrem Leben getan haben. Zum Beispiel reichlich Geld spenden für die Ärmsten der Armen …

      Unwillkürlich muss er bei dem Gedanken grinsen. Das zugunsten der Mafia zu gewichten, ist ungefähr so bizarr, als würde man Adolf Hitler von seinen Verbrechen exkulpieren, weil er doch immer so rührend liebevoll zu „Blondie“, seiner Schäferhündin, gewesen ist.

      Aber das hauptsächliche Hemmnis für seine Wahl zum Pontifex, was er selbst allerdings als pure Verleumdung weit von sich weist, ist in Wahrheit seinem zugegebenermaßen erzkonservativen und kompromissunfähigen Charakter geschuldet.

      Die große Mehrheit des ebenfalls nicht gerade als „modern“ verschrienen Kardinalskollegiums hält ihn insgeheim, oder auch ganz offen, für extrem konservativ, für traditionalistisch und hartherzig; ja, für geradezu fanatisch rückwärtsgewandt und unbarmherzig streng in seinen Ansichten, was die Lebensführung katholischer Gläubiger und die Ausrichtung der Kirche insgesamt anbelangt.

      „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

      (Psalm 103, 2)

      Damit geht der Kardinal konform mit dem Malteserorden, der seinen Sitz in Rom hat, in einer malerisch auf dem Aventin, einem der sieben Hügel Roms, gelegenen, vornehmen Villa. Die Malteser sind in erster Linie bekannt als ersthelfende Sanitäter, die mit Blaulicht zu Unfallorten rasen.

      Doch von humanitären Einsätzen für andere oder von kultivierten Umgangsformen ist bei ihm – im 11. Jahrhundert in Jerusalem als „Johanniter Ritterorden“ gegründet und ab 1530, als man sich auf Malta ansiedelte, zu „Malteser Orden“ umbenannt – durchaus nicht immer die Rede.

      In der jüngsten Vergangenheit flammten immer mal wieder Machtkämpfe auf, bei denen nicht selten sogar die Autorität des jeweils amtierenden Papstes infrage gestellt worden war. Besonders rieben sich die Ordensoberen an Papst Franziskus, einem Argentinier und ehemaligen Jesuitenmönch. Immer ging es dabei um Souveränität, Gehorsam, um Ernennungen von Kardinälen und unter anderem um – Kondome.

      Deren Verwendung stieß bei den Maltesern auf heftigen Widerstand, selbst zur Verhinderung von HI-Viren; und das päpstliche Schreiben „Amoris Laetitia“ über Ehe und Familie von eben diesem Franziskus fand absolut nicht ihr Wohlgefallen.

      Befürchteten sie doch auch eine Aufweichtendenz bezüglich der strikten Sanktionierung von katholischen Scheidungswilligen. Papst Franziskus, von ihnen verächtlich „argentinischer Sozialarbeiter“ betitelt, hatte immerhin einen nachsichtigeren Umgang mit Geschiedenen signalisiert. Ein absolutes No-Go in den Augen des Malteserordens.

      Kardinal di Gasparini gilt, wenngleich kein Angehöriger des ehemaligen Ritterordens, ebenfalls als Hardliner. Für sogenannte „Erneuerungen“ und gar Erleichterungen für verirrte Schäflein ist in seinem Denken kaum ein Platz.

      Also auch kein Pardon für Geschiedene und Wiederverheiratete, was den Empfang der Sakramente anbelangt, keinerlei wie auch immer geartete Geburtenkontrolle (außer der Enthaltsamkeit, was verständlicherweise nicht so gut bei den Gläubigen ankommt) und unter gar keinen Umständen einen Schwangerschaftsabbruch – gleichgültig, wie die Zeugung des neuen Lebens zustande kam.

      Selbst eine Vergewaltigung kann, nach seiner Ansicht, eine Abtreibung niemals rechtfertigen. Die Gefühle und das Elend der betroffenen Frau interessieren ihn dabei nicht.

      Das vorgeburtliche menschliche Leben gilt es unter allen Umständen zu schützen; was „nachher“ mit ihm passiert, darum schert der gestrenge Purpurträger sich weniger. Falls die Lebensumstände, in die das „schützenswerte Leben“ hineingeboren wird, es bedingen, dass es beispielsweise den allzu frühen Hungertod erleidet, dann ist das eben Gottes Wille gewesen.

      Zusammengenommen alles Standpunkte, die verhindern, dass sich erneut Menschen für die Kirche interessieren.

      „Damit gewinnt man heute keinen Zulauf und die noch Verbliebenen drohen auch noch davonzurennen.“ „Die katholische Kirche wird irgendwann zu einer x-beliebigen Sekte mutieren.“

      Bis zum Überdruss hat sich di Gasparini diese Argumente von renommierten Theologen bereits anhören müssen, was allerdings seine harte Haltung um kein Jota verändert hat.

      KYRIE ELEISON! CHRISTE ELEISON!

      KYRIE ELEISON!

      „Gott, unser Herr, erbarme dich unser! Christus, erbarme dich unser!

      Herr, erbarme dich unser!“

      Wenn’s nach Carlo di Gasparini ginge, würde während der Messe wieder wie einst das alte Latein seinen über viele Jahrhunderte angestammten Platz einnehmen und der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde den Dienst am Altar verrichten …

      „Warum soll es von Vorteil sein, wenn die ungebildete Masse versteht, was der Geistliche sagt und warum soll er sich von den Laien so genau auf die Finger schauen lassen?“, fragt er seinen Adlatus Barillo.

      ‚Und womöglich den Überdruss von deinem Gesicht ablesen!’, denkt sich dieser insgeheim. Einer der von Gasparini wegen des Wahlausgangs zur Rede gestellten Kollegen, Kardinal Paolo Piccolomini, aus dem Erzbistum Mailand, erklärt ihm rundweg, unter seinem Pontifikat habe man befürchten müssen, die Kirchenaustritte würden noch weiter ansteigen. „Und das haben wir Kirchenväter keinesfalls riskieren können!“, sagt er ihm eiskalt ins Gesicht.

      Diese Auskunft schmerzt Carlo di Gasparini zutiefst; überrascht ihn allerdings nicht wirklich. Sein bester Freund, Ewald Klausmann, der Kardinal von Köln, behauptet ja auch, die Zeit sei einfach reif, ja, sozusagen überreif gewesen, für einen Papst der schwarzen oder gelben Rasse.

      „Sogar eine ehemalige Sklavenhalternation, nämlich die USA, haben sich schon vor beinah dreißig Jahren zwei Wahlperioden lang einen schwarzen Präsidenten geleistet. Allzu viel konnte der zwar nicht ausrichten oder gar verändern – dafür haben schon die erzkonservativen weißen Republikaner durch ihr stereotypes Veto gesorgt!

      Aber immerhin hat Barack Obama es damals vermocht, einiges Gute anzustoßen, was man zum Teil erst heute nach der langen Zeit erkennen kann, obwohl sein höchst umstrittener republikanischer Nachfolger Donald Trump alles Mögliche