das Virginia Mason Medical Center (VMMC) in Seattle. Unter der Führung von CEO Gary Kaplan hat dieses Krankenhaus eine erstaunliche Wandlung vollzogen: Von einem Krankenhaus, das vor der Insolvenz stand, entwickelte es sich zum nationalen Spitzenreiter im renommierten „Leapfrog“-Ranking8 und schliesslich zu einem leistungsfähigen „Hospital System“. In einem Vergleich von über 5.000 Krankenhäusern ist das VMMC sowohl Qualitäts- wie auch Kostenführer. Wir werden später in diesem Buch nochmals auf diese Erfolgsgeschichte eingehen.
Die zentralen Herausforderungen von Krankenhäusern
Lean ist eine vielversprechende Antwort auf Herausforderungen, mit denen sich Gesundheitsinstitutionen konfrontiert sehen. Die fünf wichtigsten sind:
Resilienz (Robustheit/Krisenfestigkeit)
Patientensicherheit
Patientenerfahrung
bezahlbare Gesundheitsversorgung
neue Definition der Rolle im Gesundheitssystem
Abb. 3 Lean im Paket
Resilienz (Belastbarkeit) des Krankenhauses
Das Konzept der Resilienz im Gesundheitswesen kam nach der weltweiten Finanzkrise und besonders nach dem Ausbruch der Ebola-Epidemie in West-Afrika auf. Im Jahr 2020 ist das Konzept präsenter und wichtiger denn je. Der weltweite Ausbruch von COVID-19 stellte die Gesundheitssysteme vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Einige Krankenhäuser waren mit COVID-19 Patient:innen überlastet, während anderswo ein deutlicher Rückgang an Patientenzahlen festgestellt wurde. Die Pandemie hat bestehende Schwächen in Systemen deutlich gemacht und gewisse Entwicklungen, wie die digitale Transformation, beschleunigt.
Woher kommen diese Schwächen? Einerseits treffen sich im Gesundheitswesen so viele unterschiedliche und hervorragend ausgebildete Fachleute wie in keiner anderen Branche. Einerseits gehören viele von ihnen zu den Besten ihres Faches und verdienen höchste Anerkennung. Andererseits ist die Gesamtleistung, die sie an Patient:innen erbringen, oft voller Lücken und Mängel. Woher kommt das? Die Organisation „Krankenhaus“ kommt mit dem medizinischen Wandel nicht mehr mit. Medizin ist zu einer hochvernetzten Systemleistung geworden, und das fordert die traditionelle Krankenhaus-Organisation heraus.
Es gibt verschiedene Treiber, die diese Entwicklung beschleunigen. Der wichtigste ist der medizinisch-technische Fortschritt. Viele der neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren setzen ein hochentwickeltes Zusammenspiel verschiedener Komponenten voraus:
Wissen mit äußerst geringer Halbwertszeit,
spezialisiertes Können verschiedenster Expert:innen,
hoch entwickelte Technologien,
effiziente Informations- und Kommunikationssysteme,
anspruchsvolle Prozesse und
teure Infrastrukturen.
Expert:innen verschiedener Berufsgruppen und Disziplinen müssen engagiert und auf Augenhöhe zusammenwirken, um diese Verfahren erfolgreich einzusetzen. Eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer Systemleistung ist die Standardisierung. Sie hilft mit, die Komplexität in den Griff zu bekommen. Ohne Standardisierung sind ständige Absprachen für Dinge erforderlich, die im Grunde genommen klar wären. Das alles bedingt einen grossen kulturellen Wandel sowohl bei den Leistungserbringern wie auch bei Führungspersonen.
Eine hoch entwickelte Systemleistung zeichnet sich durch drei Merkmale aus:
1. Die Leistungen sind auf die Wertschöpfung bei dem/der Patient:in ausgerichtet. Der/die Patient:in kommt immer zuerst. Das Prinzip muss deshalb sein: Die Patient:innen bekommen das, was sie jetzt brauchen. Eine Systemleistung ist gut, wenn nicht alle dasselbe bekommen, aber alle bekommen das Richtige zur richtigen Zeit. Das ist wirtschaftlich und patientenorientiert zugleich.
2. Die Mitarbeitenden arbeiten strukturiert zusammen. Sie sind ein Team. Alle Arbeitsabläufe sind aufeinander abgestimmt. Möglichst alle Leistungen sind standardisiert. Das ist eine wichtige Grundlage, um Patient:innen individuell behandeln zu können. Die Standardisierung von Behandlungspfaden, Prozessen, Materialien, Medikamenten, Geräten, Technologien und Plattformen (OP, IPS usw.) stösst bei einigen Expert:innen auf Widerstand, ist aber als erster Schritt unausweichlich. Die Komplexität ist anders nicht zu bewältigen.
3. Die Qualität ist in die Prozesse integriert. Jede Leistung wird einzeln und möglichst bei dem/der Patient:in geprüft. Durch diesen Ansatz wird es viel einfacher, Qualitätsmängel zu erkennen und zu beheben.
Fazit: Das moderne Krankenhaus ist ein äusserst komplexes und häufig kompliziertes Gebilde. Um die Belastbarkeit zu erhöhen, muss es in Richtung einer Systemleistung entwickelt werden. Nur so können die kommenden Anforderungen erfüllt werden.
Das Krankenhaus – ein unsicherer Ort
Was vielen Patient:innen nicht bewusst ist: Das Krankenhaus ist ein unsicherer Ort. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2019 kommt zum Schluss, dass einer von 20 Patient:innen Opfer eines Fehlers im Krankenhaus wird.9
Das Hauptproblem sind Mängel in der Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und den Fachgebieten (Disziplinen). Weil viele Dinge nicht verbindlich geregelt sind, kommt es zu häufigen Absprachen und fehlerhaften Übergaben. Durch Standardisierung der Kommunikation kann die Fehlerrate reduziert werden. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Der Widerstand, daran zu arbeiten, ist gross. Expert:innen wehren sich gegen Standardisierung. Sie wollen in jedem Einzelfall ein eigenes Vorgehensmodell entwickeln oder von Fall zu Fall entscheiden. Sie preisen ihr eigenes Vorgehen und beharren auf ihrer Autonomie. Das ist erstens nicht sinnvoll und zweitens nicht sicher. Fehler verursachen Leiden, kosten Geld und führen zu Stress. Es werden nicht nur Patient:innen geschädigt, sondern auch Mitarbeitende. Viele Pflegende – zunehmend auch Ärzt:innen – verlassen den Beruf, weil sie ausgebrannt sind. Das Gefühl des Ungenügens ist weit verbreitet. Die Mängel im Krankenhaus gehen an den Beteiligten nicht unbemerkt vorbei. Sie haben sich zwar über die Jahre daran gewöhnt, leiden aber darunter.
Fazit: Das moderne Krankenhaus ist eine komplexe Organisation und oftmals nicht fähig, mit dem medizinischen Fortschritt mitzuhalten. Damit steigt die Fehleranfälligkeit. Der Fortschritt wird mit steigender Komplexität erkauft. Das verteuert die Krankenhausleistungen und überfordert die Akteur:innen im Krankenhaus zunehmend. Weil das Problem nicht an der Wurzel angegangen wird, steigen die Kosten überproportional zum Nutzen.
Patientenerfahrung
Krankenhäuser machen für sich gern Ausnahmeregelungen geltend in dem Sinne, dass für sie eigene Gesetze gelten. Es werden verschiedene Argumente bemüht, die allesamt nicht überzeugen. So heisst es etwa,