dann stellt sich die Frage nach deren Grenzen. Wo hört eine religiöse Selbstdarstellung auf, christlich zu sein? Es ist die Aufgabe der theologischen Dogmatik, derartige Grenzreflexionen der christlichen Kommunikation zu reflektieren. Darin stellt sie die Iden[18]tität des Christlichen in der Spannung von Geschichte und eigener Gegenwart dar.
Literatur
Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen KircheKirchelutherische, Göttingen 91982 (= BSLK).
Christian Danz: Einführung in die evangelische DogmatikDogmatik, Darmstadt 2010.
Eilert HermsHerms, Eilert: Art.: DogmatikDogmatik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, Tübingen 1999, Sp. 899–915.
Eilert HermsHerms, Eilert: Systematische Theologie. Das Wesen des Christentums: In Wahrheit und aus Gnade leben, Tübingen 2016.
Hermann Fischer: Systematische Theologie. Konzeptionen und Probleme im 20. Jahrhundert, Stuttgart/Berlin/Köln 1992.
Konrad Stock: Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, S. 55–61.
Henning Theißen: Einführung in die DogmatikDogmatik. Eine kleine Fundamentaltheologie, Leipzig 2015.
Aufgaben
1 Informieren Sie sich anhand einer Geschichte der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische über die Kontroversen zum ReligionsbegriffReligionsbegriff als methodische Grundlage der DogmatikDogmatik.
2 Informieren Sie sich über den Begriff sowie die Geschichte des Dogmas.
3 Nehmen Sie Stellung zu der Frage, warum das DogmaDogma nicht Gegenstand einer protestantischen DogmatikDogmatik sein kann.
1.4.3 EthikEthik
Die dritte Hauptdisziplin der Systematischen Theologie ist die EthikEthik. Auch sie hat sich erst im 17. Jahrhundert in Unterscheidung von der dogmatischen Theologie als ein eigenes theologisches Fachgebiet herausgebildet. Den Anlass hierzu bildete zunächst das Interesse, die Ethik in einer theologischen Perspektive zu behandeln. Im *konfessionellen Zeitalterkonfessionelles Zeitalter waren die theologischen Konzeptionen mit umfassenden normativen Leitbildern des gesellschaftlichen Gemeinwesens verbunden. Dieses Anliegen schlägt sich in den Entwürfen von theologischen Ethiken nieder. In der protestantischen Lehrtradition wurde die Ethik zunächst unter dem Titel der gute Werkeguten Werke behandelt. Dabei ließ man sich LutherLuther, Martin folgend von der Überzeugung leiten, dass die guten Werke unmittelbar aus dem Glauben fließen. Der Reformator kleidete den Zusammenhang von Glaube und Handeln im Anschluss an [19]Mt 12,33 in das Bild von dem guten Baum, der gute Früchte trägt. Allerdings vermochte auch der Wittenberger Theologe nicht deutlich zu machen, wie der Zusammenhang von Glaube und sittlichem Handeln genauer zu fassen ist.
Die Begriffe EthikEthik und MoralMoral wurden in der abendländischen Tradition weitgehend synonym verwendet. Erst in neuerer Zeit unterscheidet man terminologisch zwischen ihnen. MoralMoral bezeichnet die lebensweltlichen Orientierungen und Selbstverständlichkeiten, die das Leben des Einzelnen und von sozialen Gruppen prägen (im Sinne von griechisch: ethos, Gewohnheit, Brauch). Unter EthikEthik hingegen versteht man eine Theorie oder Reflexion der ihr vorgegebenen Moral. Die ethische Reflexion befragt das moralische Handeln, ob es dem sittlichen Kriterium des Guten entspricht oder nicht. Was das ethisch Gute ist und wie es sich von anderen kulturellen Sphären unterscheidet, das wird in den Theorien der Ethik unterschiedlich begründet. Für AristotelesAristoteles (385–322 v. Chr.), den Begründer der Ethik (Nikomachische Ethik), ist das Gute das höchste Guthöchstes Gut, summum bonum, und es besteht in der Glückseligkeit. Im modernen UtilitarismusUtilitarismus (Jeremy BenthamBentham, Jeremy [1748–1832], John Stuart MillMill, John Stuart [1806–1873]) wird das Gute in dem Nutzen erblickt, den das Handeln für die Gemeinschaft erbringt. Immanuel KantKant, Immanuel hingegen definiert das sittlich Gute ohne Rekurs auf inhaltliche Bestimmungen. Es besteht in einer formalen Verallgemeinerungsregel, der zufolge der Handelnde die Bestimmungsgründe seines Willens daraufhin zu befragen hat, ob sie sich verallgemeinern lassen (*kategorischer Imperativkategorischer Imperativ).
[20]In der Geschichte des ethischen Denkens wurden verschiedene Konzeptionen von Ethiken beziehungsweise praktischen Philosophien ausgearbeitet.
Infobox
Typen der EthikEthik:
IndividualethikEthikIndividual-: | sie bemüht sich, Normen und Ziele zu begründen, die für das Handeln des IndividuumsIndividuum gelten sollen (Pflichten- und TugendethikEthikTugend-) |
SozialethikEthikSozial-: | sie sucht nach begründbaren Normen und Zielen für die Interaktionen zwischen Individuen und Großgruppen sowie der Großgruppen untereinander (GüterethikEthikGüter-) |
MetaethikEthikMeta-: | wissenschaftliche Erörterung der Bedingungen von ethischen Diskursen |
angewandte EthikEthikangewandte: | ethische Reflexion von Einzelproblemen z.B. der modernen MedizinMedizin oder der Wirtschaft |
Ethische Reflexionen werden nicht nur in der Philosophie (praktische PhilosophiePhilosophiepraktische) angestellt, sie bilden auch einen zentralen Bestandteil der christlichen Theologien. Religionen wie die christliche enthalten immer auch Orientierungen für das Handeln (*DekalogDekalog). Für eine theologische EthikEthik ergibt sich nun ein besonderes Problem aus der Frage, ob es spezifische Normen des Handelns geben kann, die nur für Christen gelten. Wenn jedoch sittliche Normen den Charakter der Allgemeingültigkeit haben, dann kann es eine christliche Sonderethik ebenso wenig geben wie eine religiöse Mathematik oder LogikLogik. Welchen Charakter hat dann aber eine theologische Ethik? Ethisches Denken entwickelt sich zwar stets in bestimmten, geschichtlich gewordenen Religionskulturen, so dass religiöse Aspekte in die Herausbildung von Moralen und Ethiken mit einfließen. Aber das besagt nichts über die Geltung von ethischen Normen.
Im Bereich der Systematischen Theologie wird die EthikEthik in einem religiösen Horizont zum Thema. Dabei geht es stets auch um die Frage, in welchem Verhältnis Dogmatik und Ethik zueinander stehen. Ist letztere eine bloße Konsequenz der GlaubenslehreGlaubenslehre? Oder kommt der ethischen Reflexion gegenüber der Dogmatik eine selbständige Bedeutung zu? Je nachdem, wie die genannten Fragen beantwortet werden, ergeben sich unterschiedliche Konzeptionen der Dogmatik und der Ethik.
Mit der Herausbildung der modernen GesellschaftGesellschaftmoderne hat sich der Steigerung des Bedarfs an ethischer ReflexionBedarf an ethischer Reflexion erhöht. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt konfrontiert mit Problemen, die durch die überlieferte MoralMoral nur unzureichend beantwortet werden können. Im Hinblick auf Gentechnik und deren Folgen zum Beispiel ist die traditionelle, an der Bibel orientierte christliche Moral überfordert. Eine ethische Reflexion derartiger Problemkreise setzt einschlägige Fachkenntnisse voraus. Andernfalls würde die EthikEthik den Problemen der modernen Gesellschaft äußerlich bleiben. Vorausgesetzt ist hierbei allerdings auch eine kulturhermeneutische Kompetenz, welche es erlaubt, die unterschiedlichen kulturellen Formen der NaturwissenschaftNaturwissenschaft und der Ethik aufeinander zu beziehen. Die theologische Ethik gestaltet sich zu einer Art KulturhermeneutikKulturhermeneutik. Auf eine solche Weise sensibilisiert die [21]kulturhermeneutische Ethik für Normenkonflikte und ethische Problemlagen. Eindeutige Antworten und Normen zur Entscheidungsfindung kann unter den Bedingungen der komplexen Problemlagen der Moderne keine Ethik mehr geben. Ethiken haben mehr und mehr eine beratende Funktion.
Im Aufbau der EthikEthik schlägt sich der veränderte Problemhorizont in der Konzeption von hochspezialisierten angewandten EthikEthikangewandteen nieder. Sie haben prinzipientheoretische Fragen nach der Begründung der Ethik weitgehend verdrängt.
Literatur
Aristoteles: