auch alle anderen theologischen Disziplinen. Die somit vorgegebene Bedeutung der Trinitätslehre für alle theologischen Bemühungen und für alle Lebensbereiche spiegelt sich in der Kirche unter anderem darin wider, dass sich gut die Hälfte der Sonntage des Kirchenjahres auf den Sonntag Trinitatis bezieht. (Dieses Vorwort entstand am 20. Sonntag nach Trinitatis.) Doch in der Kirche und im Glaubensleben findet das oft keine angemessene Resonanz, was die häufig zu beobachtende geringe Sprach- und Erklärungsfähigkeit in Bezug auf den dreieinigen Gott zeigt – auch in Theologie und Verkündigung. Aufgrund der konstitutiven Bedeutung der Trinitätslehre können aber weder kirchliche Verkündigung noch religionspädagogische Vermittlung in der Schule auf die Verankerung in der trinitarischen Gotteslehre verzichten, wenn sie die Gegenstände der Theologie in ihrer Bedeutung für die Herausforderungen des Lebens verstehen und vermitteln wollen. Gleiches gilt für die Ermöglichung eines angemessenen Dialogs mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Die vorgelegte Gotteslehre soll dazu befähigen, diesen Aufgaben gerecht zu werden sowie Antworten auf die existentiellen Grundfragen zu finden, indem sie die Bedeutung der Trinitätslehre für Theologie, Kirche und Welt erschließt.
Dafür bedarf es zunächst des Aufweises der unverzichtbaren Relevanz der trinitarischen Gotteslehre für Theologie, Kirche und Glauben. Ferner sind sowohl die verschiedenen religionsgeschichtlichen und philosophischen Zugänge zum Gottesbegriff als auch die kosmologischen und anthropologischen Bedingungsmöglichkeiten der Erkenntnis Gottes zu beachten, bevor fundamentaltheologisch die Voraussetzungen tragfähiger Gotteserkenntnis dargelegt werden können, was auch die Zuordnung von Glaube und Vernunft betrifft. Ein dogmen- und theologiegeschichtlicher Überblick von den biblischen Grundlagen bis zu den Konzeptionen der Gegenwart stellt anschließend die Basis für ein fundiertes Verständnis der vielfältigen Zusammenhänge und für eine eigene Urteilsbildung bereit. Der Überblick erfolgt im Dialog mit anderen Religionen, der Philosophie und der Naturwissenschaft sowie in ökumenischer Weite und kann sich so den Herausforderungen der Moderne stellen. Auf dieser Grundlage ist die materiale dogmatische Entfaltung des christlichen bzw. trinitarischen Gottesbegriffs in seiner Bedeutung für die zentralen theologischen Lehrstücke und die Grundfragen des Lebens möglich, was besonders in Orientierung an den drei Artikeln des Glaubensbekenntnisses vollzogen wird und die Relevanz des christlichen Glaubens für die heutige Lebenswelt transparent werden lässt. So stellt die Gotteslehre unwillkürlich auch ein Kompendium der Dogmatik dar. (Siehe zum Aufbau der Gotteslehre Kap. I,3.)
Insgesamt bietet die Gotteslehre also neben dogmen-, theologie- und philosophiegeschichtlichem sowie systematisch-theologischem Examenswissen die Basis für eigene theologische Urteilsbildung angesichts der Grundfragen des Lebens und aktueller theologischer Herausforderungen. Sie ist deshalb für Theologiestudierende der Pfarramts- und Lehramtsstudiengänge aller Konfessionen ebenso gedacht wie für Lehrende der Theologie, Pfarrer und Pfarrerinnen, Lehrer und Lehrerinnen sowie alle an der Gottesfrage und den Grundfragen des Lebens Interessierte.
Zur Förderung des beabsichtigten Zweckes sollen die Register beitragen: Bibelstellenregister, Personenregister, Sachregister. Ferner wurden die grau unterlegten Texte als Hilfestellung eingefügt: Sie sind jedem Hauptabschnitt arabischer Zählung vorgeordnet und führen zusammenfassend in die jeweilige Themenstellung ein. Nach jedem Kapitel (römische Zählung) folgen einige Literaturempfehlungen zur weiteren Vertiefung.
Zur visuellen Unterstützung dient das Bild auf der vorderen Umschlagseite des Bandes. Es zeigt die Darstellung der Dreieinigkeit auf einem Hostienteller aus der belgischen Provinz Namur: Die Taube als Symbol des Heiligen Geistes berührt mit ihren Flügeln den Mund des Vaters und des Sohnes am Kreuz. Somit bezeugt der vom Vater gehauchte Geist den eingeborenen Sohn als das Wort (griech. logos) Gottes, das Fleisch wurde und sich als der menschgewordene Logos bzw. Sohn Gottes für die Menschen am Kreuz hingibt.
Münster, 20. Sonntag nach Trinitatis 2014 | Matthias Haudel |
1. Gotteslehre und die Grundfragen des Lebens
Die Gotteslehre beinhaltet nicht nur die Grundlage der Theologie, sondern sie umfasst auch alle Grundfragen des menschlichen Lebens. Erst die Einsicht in das liebende Wesen des dreieinigen Gottes offenbart die Bestimmung des Menschen und den universalen Sinn der Geschichte von Mensch und Kosmos. Deshalb bedarf jegliche theologische Vermittlung der Verankerung in der trinitarischen Gotteslehre.
Mit der Frage nach Gott – ob in Annahme oder Bestreitung Gottes – verbinden sich die umfassenden Perspektiven des Lebens, die Ursprung, Ziel und Sinn des eigenen Lebens sowie des gesamten Kosmos betreffen. „Antworten auf die Frage nach Gott haben weitreichende Konsequenzen bis in das Weltverständnis und in die Lebensführung von Menschen hinein, denn eine Welt ohne Gott ist eine andere Welt als eine Welt mit Gott.“1 Hinzu kommen die Fragen, wer Gott gegebenenfalls ist und wie er sich zum Kosmos, der Welt und den Menschen verhält – und was das wiederum für das Verständnis unserer eigenen Existenz und der uns umgebenden Wirklichkeit bedeutet. Die „Gottesfrage“ ist „eine alles Seiende umgreifende Frage […] und eine Frage, die die Bedingung der Möglichkeit aller anderen Fragen und Antworten betrifft“2. Deshalb wird mit der Gotteslehre nicht nur das grundlegende Thema der Theologie berührt, das für alle Bereiche der Theologie maßgeblich ist, sondern es geht auch insgesamt um die Grundfragen des menschlichen Lebens in ihrem universalen Kontext.
Das gilt zunächst für die Dimension der Endlichkeit des menschlichen Lebens und für die damit aufkommenden Fragen nach dem Ursprung des Lebens und nach einer möglichen Perspektive über die wahrnehmbare Endlichkeit hinaus. Denn sobald der Mensch über sein Leben nachdenkt und nach einem letzten Sinn und einer letzten Geborgenheit fragt, spürt er unweigerlich, dass er über sich selbst hinausgewiesen ist, weil er weder seine Herkunft noch seine Zukunft über den Tod hinaus selbst in der Hand hat. Ebenso wenig kann er den Verlauf seines zukünftigen Lebensweges und der gesamten Geschichte übersehen. Mit alledem verbinden sich die Fragen nach dem Grund des Daseins sowie nach einem bleibenden Sinn und Ziel des Lebens, und damit die Fragen nach dem Sinn und Ziel der Weltgeschichte bzw. des Kosmos. Mit diesen Fragestellungen ging in der Menschheitsgeschichte von Anfang an die Gottesidee einher. (Siehe Kap. II,2 u. 3).
Von der fundamentaltheologisch zu erörternden Möglichkeit tragfähiger Gotteserkenntnis hängt das Spektrum der Antworten auf diese Fragen ab, ebenso wie vom dogmatisch zu erörternden Inhalt der Gotteserkenntnis, also dem Wesen des zu erkennenden Gottes und seiner Beziehung zum Menschen. Die Erkenntnis Gottes vollzieht sich im existentiellen Akt des Glaubens und kann im erfahrbaren Zusammenspiel von Glaubensakt und Glaubensinhalt zur Glaubensgewissheit der Wahrheit führen, wenn sich Gott selbst als vertrauenswürdiger Grund des Lebens erschließt und dem Menschen ermöglicht, sich auf diesen tragfähigen Grund einzulassen und ihn als vertrauenswürdig zu erfahren.3 Im Horizont solcher Gotteserkenntnis eröffnet sich dann auch das Verständnis von Mensch, Natur und Geschichte sowie von der Gemeinschaft der Glaubenden und ihrer Weltverantwortung. Wird Gott nämlich als „das Geheimnis der Welt“ (E. Jüngel) bzw. als „die Alles bestimmende Wirklichkeit“ (R. Bultmann) erkannt und wahr-genommen, eröffnen sich in seinem Licht die Antworten auf die Grundfragen des Lebens. Von daher ist die Gotteslehre für alle Lebensbereiche von grundlegender Bedeutung.
Wie umfassend und tiefgreifend dieser Bedeutungszusammenhang ist, erweist sich im Kontext der verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Gottesvorstellungen erst angesichts der Selbsterschließung Gottes in seiner biblisch bezeugten Heilsgeschichte mit den Menschen. Hier hat sich Gott nicht nur als Vater, Sohn und Heiliger Geist bzw. als vollkommene Gemeinschaft der Liebe offenbart, sondern