heißt es: ›Und die Seelen derer, die um des Zeugnisses von Jesus willen und um des Wortes Gottes willen getötet sind […] herrschten mit Jesus tausend Jahre.‹ Gemeint sind die Seelen der Märtyrer, denen ihre Leiber noch nicht zurückgegeben wurden. Denn die Seelen der verstorbenen Frommen sind nicht etwa von der Kirche getrennt, die schon jetzt das Reich Christi bildet. Denn sonst würde ihrer nicht am Altar in der Gemeinschaft am Leib Christi gedacht werden […] Nur die Seelen der Märtyrer aber erwähnt Johannes hier, weil diese Toten, die bis zum Tode für die Wahrheit stritten, vornehmlich zum Herrschen berufen sind. Doch vom Teil aufs Ganze schließend müssen wir dies so verstehen, dass auch die übrigen Toten zur Kirche gehören, die das Reich Christi ist.«[105]
Dazu passt, dass ganz am Ende des dritten Artikels noch eine weitere Änderung gegenüber dem lateinischen Romanum erscheint: vitam aeternam (während Markells griechische Fassung des Romanums bereits ζωὴν αἰώνιον bietet). Nach Kelly sollte diese Ergänzung dem Eindruck entgegenwirken, »die Auferstehung der Gläubigen folge eher dem Beispiel des Lazarus als dem Christi«;[106] es sollte demnach die Furcht ausgeräumt werden, nach der Auferstehung sei mit einem weiteren physischen Tod zu rechnen. In der Tat wandte sich Augustin gegen solche Vorstellungen und betonte, dass die Auferstehung des Fleisches derjenigen Christi gleiche und zu ewigem Leben führe (wenn auch durch das Endgericht hindurch).[107] Daneben ist aber |54|schon bei Kyrill von Jerusalem zu beobachten, dass die Klausel καὶ εἰς ζωὴν αἰώνιον nicht nur den andauernden Realitätsgehalt der Auferstehung begründete, sondern sich darüber hinaus auf das Reich Gottes richtet, in dem die Auferstandenen verweilen würden: »Der Vater ist wirklich und wahrhaftig das Leben […] Das ewige Leben aber hat er in seiner Menschenfreundlichkeit uns Menschen untrüglich verheißen.«[108] Auch Niketas von Remesiana verstand diesen letzten Satz des Bekenntnisses als exklusive Verheißung ewigen Lebens für Christen, die auf Erden keusch gelebt hatten.[109] Die entscheidende Frage scheint demnach nicht zu sein, warum dieser Satz im Apostolikum steht, sondern warum er im Romanum fehlt – denn er begegnet in der großen Mehrheit der überlieferten Bekenntnistexte, und zwar in allen Epochen und Regionen. Das Romanum und die Traditio apostolica belegen also einen Sonderweg. Dass ausgerechnet der römischen Gemeinde das ewige Leben nicht so wichtig erschienen sei, wäre allerdings eine überzogene Schlussfolgerung.
Hingewiesen sei zum Schluss noch auf eine Variante, die das ewige Leben ausdrücklich an die Kirche zurückbindet: Augustin und einige seiner nordafrikanischen Zeitgenossen verwendeten offenbar das Credo mit dem abschließenden Satz vitam aeternam per sanctam ecclesiam.[110] Diese Wendung findet sich auch bereits bei Cyprian von |55|Karthago (†258) in einer Auseinandersetzung mit der um Novatian gescharten Gruppe von Konfessoren in Rom, die offenbar die Tauffrage »Glaubst du an die Vergebung der Sünden und an das ewige Leben durch die heilige Kirche?« verwendeten – woraufhin Cyprian ergänzte: »Sie lügen bei der Befragung, denn sie haben die Kirche gar nicht!«[111] Ewiges Leben konnte es nach Cyprians Ansicht nur durch die richtige Kirche geben, von der sich die Novatianer schuldhaft getrennt hatten. Diese Argumentation setzt freilich die Heiligkeit der Kirche voraus, die unter irdischen Bedingungen – wie nicht zuletzt Augustin selbst in seiner großen Schrift De civitate dei argumentiert hat – stets im Zweideutigen verbleibt und nur als geglaubte den Weg zum ewigen Leben bereiten kann. Dieses differenziertere Verständnis der »heiligen Kirche« dann auch liegt dem entstehenden Apostolikum sachlich zugrunde.
5. Fazit: Das vielfältige Werden des einen Glaubensbekenntnisses
Mit dem 4. und den folgenden Jahrhunderten sei, wie in der Forschung (nicht nur) zu Glaubensbekenntnissen verschiedentlich beklagt worden ist, eine »Zeit liturgischer Starrheit und Uniformität« angebrochen.[112] Auch über den Katechumenat, in dessen Zentrum die Belehrung über den christlichen Glauben stand, wurde noch vor nicht allzu langer Zeit geschrieben, dieser sei »als Institution in der Kirche des Römischen Reiches schon lange vor der Amtszeit des Ambrosius als Bischof von Mailand verfallen« gewesen.[113] Ambrosius und seine Zeitgenossen in der zweiten Hälfte des 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts wären demnach lediglich Sachwalter einer einst blühenden, jetzt aber vom Massenansturm der Taufwilligen |56|erdrückten Praxis der Glaubensunterweisung gewesen – und das Romanum und andere Texte wären entsprechend eine Notmaßnahme, um eine Basisration an Glaubenswissen unters Volk zu bringen, wie gut oder schlecht dies auch verstanden worden wäre. Das Bemühen der Apostel, gemäß dem Auftrag ihres auferstandenen Herrn »alle Welt zu Jüngern zu machen«, wäre dann gewissermaßen am eigenen Erfolg gescheitert – und das Apostolikum müsste als Symptom dieses Pyrrhussieges der apostolischen Mission gelten.
Wie die letzten Abschnitte gezeigt haben, kann und muss das Werden des Apostolikums aber keineswegs als Inbegriff einer Dekadenzgeschichte beschrieben werden (und auch die Urteile über die Taufunterweisung in der Reichskirche fallen in neuerer Zeit differenzierterer aus, als das obige Zitat suggeriert). Vielmehr gab es gerade in dem Bereich, der für den vorliegenden Band von Interesse ist, weniger einen dramatischen Niedergang als signifikante Transformationen. Das bedeutet nicht, die eine »goldene Zeit« – die Märtyrerkirche der vorkonstantinischen Jahrhunderte mit ihrem spontanen Bekenntnis »Ich bin Christ, ich bin Christin!« – durch eine andere – die triumphierende Reichskirche mit ihren elaborierten Glaubensformeln – zu ersetzen. Vielmehr könnte man von Konjunkturen des Apostolischen sprechen, und hier ist das 2. Jahrhundert mit den apokryphen Apostelakten, der apostolischen Sukzession und den frühen Glaubensregeln ebenso eine Epoche sui generis wie die Reichskirche mit ihrem Bestreben, das apostolische Erbe theologisch eindeutig, katechetisch nutzbar und frömmigkeitspraktisch anwendbar zu formulieren. Dazu bedurfte es ganz offensichtlich mehrerer Anläufe: Bis das Werden »des« Apostolikums zur Einheitlichkeit eines Textus receptus gediehen war, sollte es Jahrhunderte dauern, und diesem Prozess eignet eine spezifische Unübersichtlichkeit, die ich zumindest andeuten wollte. Umgekehrt haben die Ausführungen zu den Unterschieden zwischen den einzelnen Bekenntnistexten aber auch gezeigt, dass im 4. Jahrhundert der Grundbestand unstrittig war und in der Folgezeit in allen Regionen stabil blieb – das Apostolikum führt unhinterfragt mit, was zu früheren Zeiten unter Inanspruchnahme des Apostolischen ausgehandelt und festgestellt worden war, z.B. dass von einem Gott und von Jesus Christus als dem einen Erlöser zu sprechen sei. All dies ist bei der Herausbildung von deklaratorischen und katechetisch genutzten Bekenntnissen schon vorausgesetzt. In dem Moment, als das Apostolische in Textform gefasst wurde, stand es inhaltlich schon weitgehend fest – bemerkenswerterweise haben |57|die trinitätstheologischen Diskussionen im Westen in der Tradition katechetischer (und später liturgischer) Bekenntnisse keine Spuren hinterlassen, und das Athanasianum, in dem das greifbar ist, hat für die kirchliche Praxis nur geringe Bedeutung gewonnen. Das Nizäno-Konstantinopolitanum stellt diesbezüglich einen Sonderfall dar, denn trotz (oder wegen?) des Teilartikels über Einziggeborenheit, Präexistenz und Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater wurde es in Byzanz, aber auch im Westen zu einem liturgisch verwendeten Bekenntnis (und in Rom für Jahrhunderte zum Taufbekenntnis). Aber das ist eine andere Geschichte.[114]
Die Entwicklung im Westen war, wie beschrieben, von einer Vielfalt von Bekenntnistexten geprägt. Auch hier war es aber nicht so, dass sich das Apostolikum (um Karl Barths Diktum über den biblischen Kanon abzuwandeln) der Kirche »imponiert« hätte, vielmehr wurde der uns vertraute Text erst durch reformfreudige karolingische Könige reichsweit bis nach Rom eingeführt. Dem apostolischen Charakter der zahlreichen in Gebrauch befindlichen Bekenntnistexte tat das grundsätzlich keinen Abbruch. Es war gerade die Vielfalt von Varianten und Traditionen, die mit der Berufung auf den apostolischen Ursprung, ja auf die von allen Aposteln stammende Formulierung des einen Glaubensbekenntnisses eingehegt werden sollte. Was herauskam, war – zumindest für einige Jahrhunderte – gesteigerte, verwirrende, aber im historischen Rückblick auch ermutigende Pluralität. »Das« Apostolikum war lange im Werden, und dieses Werden war von theologischer Folgerichtigkeit wie von Kontingenzen geprägt. Es ist erstaunlich, welche Karriere ein Bekenntnis machte, das mit den Aposteln selbst nur vermittelt zu tun hatte – es war eben nicht »ein Symbol, welches nur etwa zwei Menschenalter von der apostolischen Zeit entfernt liegt und direct oder indirect die Wurzel aller Symbole der Christenheit geworden ist«, wie Harnack meinte.[115]
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