T7 Tabelle T8 Tabelle T9 Tabelle T10 Tabelle T11 Tabelle T12 Tabelle T13 Tabelle T14 Tabelle T15 Tabelle T16 Tabelle T17 Tabelle T18 Tabelle T19 Tabelle T20 Tabelle T21 Tabelle T22 Tabelle T23 Tabelle T24
Übersicht der Zeichnungen
Abbildung A1 Abbildung A2 Abbildung A3 Abbildung A4 Abbildung A5 Abbildung A6 Abbildung A7 Abbildung A8 Abbildung A9 Abbildung A10 Abbildung A11
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I. Einleitung
Während der nahezu fünf Dekaden zwischen Reichsproklamation und Novemberevolution wandelte sich Deutschland vom wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch rückständigen Agrarstaat zum wirtschaftlich modernen sowie zum gesellschaftlich und politisch revolutionären Staat. Wirtschaftliches Wachstum und ökonomische Modernisierung waren mit gesellschaftlich-politischer Rückständigkeit nicht mehr zu vereinbaren und die gesellschaftlich-politischen Gruppen begaben sich während des Ersten Weltkriegs zunehmend in eine innenpolitische Frontstellung zueinander. Während die Wirtschaft in jahrzehntelangen Trippelschritten in die Moderne gewandert war, kollabierte das politisch-gesellschaftliche System und wurde in ein neues, republikanisches Gewand gekleidet. In dieser Monographie zur Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreichs geht es nicht um die großen Wendemarken an seinem Anfang und Ende, sondern um die zahlreichen kleinen Wendungen und Bewegungen der Gesamtwirtschaft, der Wirtschaftspolitik und der in der Wirtschaft handelnden Unternehmen und Menschen. Es ist somit ein Buch über die Trippelschritte des wirtschaftlichen Fort- und Rückschritts zwischen 1871 und 1918.
Viele methodische Wenden, die in der historischen Forschung in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen wurden, werden in meinem Buch nicht nachvollzogen: weder eine kulturalistische noch eine linguistische oder eine räumliche. Vielmehr verfolge ich einen geradezu traditionell anmutenden sozialwissenschaftlichen Ansatz der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichtsschreibung. Die den Argumenten in diesem Buch zugrundeliegenden sozialwissenschaftlichen Modelle sind der Volks- und Betriebswirtschaftslehre entnommen, sodass grundlegende Kenntnisse dieser Disziplinen für das Verständnis des Buches sicherlich hilfreich, aber keinesfalls notwendig sind, da die zentralen theoretischen Konzepte im Text erläutert werden.
Der wirtschaftswissenschaftliche Ansatz bedingt, dass die beiden zentralen ökonomischen Aktivitäten – Produktion und Konsum – im Zentrum des Buches stehen. Aus den primären Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Land werden mit Hilfe verschiedenster Produktionstechnologien Güter erzeugt, die ihrerseits entweder als Zwischengüter im weiteren Produktionsprozess untergehen, als Investitionsgüter in den Kapitalstock der Wirtschaft eingehen oder als Konsumgüter der Bedürfnisbefriedigung zugeführt werden.
Dementsprechend behandelt der erste Hauptteil des Buches, bestehend aus den Kapiteln III bis V, die großen Strömungen von Produktion und Konsum zwischen 1871 und 1918. Wie entwickelten sich das deutsche Sozialprodukt und seine Komponenten? Können wir genau abschätzen, wie sich die Gütererzeugung,|11◄ ►12| die Verteilung der Einkommen auf die primären Produktionsfaktoren und die Einkommensverwendung in diesem Zeitraum veränderten? Wie stellten sich Niveau und Verlauf der deutschen Wirtschaftsentwicklung in international vergleichender Perspektive dar? War Deutschland ein Nachzügler der industriellen Revolution, der zur Jahrhundertwende zur Wirtschaftslokomotive Europas oder der Welt wurde? Schließlich stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft gleichmäßig wuchs oder ob der Wachstumsprozess von markanten konjunkturellen Zyklen überlagert wurde.
Der zweite Hauptteil des Buches umfasst die Kapitel VI bis VIII und beinhaltet Darstellungen zentraler Felder der Wirtschaftspolitik. Steuern, Zölle, Staatsausgaben und Geldversorgung setzen den Rahmen, in dem Wirtschaftssubjekte handeln und sie stellen die Infrastruktur bereit, die ökonomisches Interagieren ermöglicht. In Kapitel V, das sich mit der Fiskalpolitik beschäftigt, wird zunächst der Frage nachgegangen, in welchem Umfang der Staat Einkünfte erzielte und welche Leistungen er dafür dem Bürger zur Verfügung stellte. Des Weiteren werden die politischen Prozesse untersucht, die die Gestaltung von Steuer- und Leistungssystemen determinierten. Schließlich werden einige Folgen der Fiskalpolitik, insbesondere die steuerliche Belastung unterschiedlicher Einkommen und der Steuerwettbewerb zwischen Regionen und Städten beleuchtet. Eng mit der Fiskalpolitik verknüpft war die Zoll- und Außenhandelspolitik des Deutschen Reichs, die in Kapital VII dargestellt wird. Die Zollpolitik war eines der wichtigsten Politik- und Konfliktfelder im Deutschen Reich. Einerseits gab es Konflikte zwischen dem Zentralstaat und den Bundesstaaten über die Aufteilung der Zolleinnahmen. Andererseits wurden Konflikte auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ausgetragen, wie die aus Zöllen resultierenden Lasten auf inländische Konsumenten und Produzenten zu verteilen wären. Schließlich folgt in Kapital VIII ein Abschnitt über die Geld- und Währungspolitik, ein relativ konfliktarmes Politikfeld, dem jedoch eine zentrale ökonomische Funktion zukommt. Ein stabiles Geldsystem ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für wirtschaftliche Prosperität. Daher gilt es darzustellen, wie stabiles Geld im Deutschen Reich geschaffen und erhalten wurde.
Der dritte Hauptteil des Buches, der die Kapitel IX bis XII umfasst, widmet sich Unternehmen und Märkten. Güter werden in Unternehmen erzeugt, dort werden die Einkommen auf Unternehmenseigentümer und Arbeitnehmer verteilt. Über Gütermärkte fließen die Waren von den Firmen zum Konsumenten und über Finanzmärkte fließen nicht für Konsum verwendete Haushaltseinkommen den Unternehmen oder dem Staat als Kredit zu. In Unternehmen und auf Märkten finden somit die Basisprozesse statt, die die Grundlage für Produktion und Konsum sind. Kapitel IX stellt den Aufstieg der zumeist als Aktiengesellschaft organisierten Großunternehmen in den Mittelpunkt. Es wird unter anderem untersucht, welchen Bedeutungszuwachs diese Unternehmen in verschiedenen|12◄ ►13| Branchen im Zeitablauf hatten, wie innerbetriebliche Informations- und Organisationsschwierigkeiten angegangen wurden und wie sich die Beziehungen zwischen Unternehmensleitung, Eigentümern und Arbeitnehmern gestaltet haben. Ein Teilaspekt der Beziehungen zwischen Unternehmen bildet den Mittelpunkt von Kapitel X, das sich mit Unternehmenskonzentration und Kartellen beschäftigt. Insbesondere wird den Fragen nachgegangen, inwieweit horizontale und vertikale Unternehmenszusammenschlüsse, internes Wachstum und Kartellabsprachen die Unternehmensentwicklung im Kaiserreich mitbestimmten und welche Auswirkungen Konzentration und Kartellierung auf die Performanz von Unternehmen und die Gesamtwirtschaft hatten. Kapitel XI widmet sich schließlich einer wichtigen Teilmenge von Unternehmen und Märkten, nämlich Banken und Börsen. Die klassische Historiographie zur Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreichs hat vor allem die wichtige Rolle von großen Aktienkreditbanken für die deutsche Wirtschaftsentwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert herausgestellt. Diese Sichtweise wird in dieser Monographie kritisch beleuchtet: Hatten die großen Aktienkreditbanken tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung? Welche Relevanz hatten andere Kreditinstitute und der Wertpapiermarkt für die Unternehmensfinanzierung? Welche Interaktionen bestanden zwischen Banken und Börsen?
Kapitel XII widmet sich der Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Auch in diesem Kapitel stehen die zentralen ökonomischen Kategorien Produktion und Konsum im Zentrum: Wie haben sie sich während des Krieges verändert? Welche Verteilungswirkungen hatte die Kriegswirtschaft? Wie reagierte die Wirtschaftspolitik auf die Herausforderung eines langwierigen und materialintensiven Stellungskriegs? Die Kriegswirtschaftsgeschichte als integralen Bestandteil der Wirtschaftsentwicklung des Kaiserreichs zu betrachten hebt die vorliegende Monographie von vielen anderen ab – unter anderen Knut Borchardt, Friedrich-Wilhelm Henning, Hans-Ulrich Wehler, Karl-Erich Born sowie Hubert Kiesewetter sehen eine Zäsur im Jahre 1914.1 Da der Erste Weltkrieg sowohl Kontinuitäten zur Wirtschaftsgeschichte