Daniel Stökl Ben Ezra

Qumran


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Geniza angesammelten Schriften nach einiger Zeit auf einem Friedhof beerdigt. Seit wann diese Institution besteht, ist unklar. Die ältesten schriftlichen Erwähnungen sind talmudisch (bShab 115a). In der mittelalterlichen Kairoer Geniza wurden Dokumente gefunden, die sonst nur in Qumran belegt sind (s.u. S. 14).

      In den ersten beiden Monaten des Jahres 1948 verhandelt Sukenik erfolglos auch mit Mar Samuel, dessen vier Rollen er ebenfalls erwerben möchte. Die Amerikaner sind schneller. Am 19. Februar 1948, etwa ein Jahr nach ihrer Entdeckung, werden Samuels Rollen zur American School of Oriental Research gebracht, dem heutigen Albright-Institut nördlich der Altstadt. Ein Postdoktorand, John TreverJohn Trever (1916–2006), vertritt dort den gerade auf Forschungsreise im Irak weilenden Direktor, Millar Burrows. Er erkennt, dass die große Rolle eine Jesajahandschrift ist. Außerdem hat er eine Sammlung mit Dias zur Geschichte des Bibeltextes bei sich, unter denen auch ein Foto des Nash-Papyrus ist, so dass auch er das mögliche hohe Alter der Qumranrollen erkennt.

      Ein glücklicher Zufall will, dass Trever ein talentierter Fotograf ist und die Erlaubnis aushandeln kann, die Rollen zu fotografieren. Bis heute gehören seine Fotos zu den wichtigsten Urkunden, denn im Laufe der Geschichte haben auch diese „großen“ Rollen immer wieder unter abbrechenden Fragmenten gelitten. Trevers Fotos werden zum führenden amerikanischen Experten William Albright geschickt, der das hohe Alter der Schrift bekräftigt. Am 12. April 194812. April 1948 informiert Burrows die Weltöffentlichkeit mit einer PressemitteilungPressemitteilung zum ersten Mal über die Entdeckung der ältesten biblischen Handschrift aus dem ersten Jahrhundert v. Chr., der „großen“ Jesajarolle (1QIsaiaha = 1QIsaa), eines Habakukkommentars (1QPesher Habakuk = 1QpHab), des „Manual of Discipline“ einer unbekannten Sekte, „möglicherweise der Essener“ (Gemeinschaftsregel = 1QSerekh Hayahad = 1QS) und einer vierten nicht identifizierten Rolle (des späteren Genesisapokryphons), „entdeckt im Kloster St. Markus“. Kurz darauf publiziert auch Sukenik eine Pressemitteilung über die Rollen im Besitz der Hebräischen Universität.

      Am 14. Mai 1948 ruft David Ben Gurion die Gründung des Staates IsraelsGründung des Staates Israels aus. Die arabischen Nachbarstaaten reagieren mit offenem KriegKrieg, und es wird nach einer ohnehin schon unsicheren Zeit nun völlig unmöglich, offizielle archäologische Expeditionen durchzuführen. Dennoch wagen es einige der involvierten Mittelsmänner, illegale Erkundigungen in der Höhle fortzusetzen und weitere Fragmente zusammenzutragen. Während der Belagerung Jerusalems bringt Sukenik das Kunststück zustande, die erste wissenschaftliche Studie über die Rollen zu veröffentlichen.

      Die kulturpolitische Bedeutung der KoinzidenzBedeutung der Koinzidenz der Entdeckung der letzten Überreste einer jüdischen Bibliothek mit hebräischen Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels inmitten der Geburtswehen des neuen Staates Israel ist kaum zu überschätzen. Sie kommt einem Telefonanruf aus der Vergangenheit nahe. In einem Staat |12|mit neugegründeten Städten wie Tel Aviv ohne antike Gebäude, mit einer sehr jungen Bevölkerung und wenig alten Leuten, gab es plötzlich Texte aus der Zeit des letzten jüdischen Staates 2000 Jah re zuvor, von denen viele ohne größere Schwierigkeiten von Schulkindern entziffert werden konnten! Nicht von ungefähr sollte der junge Staat später viele Kräfte daran setzen, die Rollen in Jerusalem zusammenzutragen und auszustellen. Sie waren immer auch ein politisch unschätzbares Zeugnis der jüdischen Alteingesessenheit im Heiligen Land, eine Verbindung des wiedergeborenen Staates zu den letzten jüdischen Regenten im Lande.

      1.3 Schriftrollenfunde am Toten Meer vor 1947

      Die Entdeckungen von 1946 oder 1947 waren keinesfalls die ersten Handschriftenfunde vom Toten Meer. Der Kirchenvater Eusebios von Cäsarea in Palästina (ca. 260–340) gibt einen Bericht des OrigenesOrigenes (ca. 184–254) wieder:

      In den Hexapla setzte er (Origenes) bei den Psalmen neben die bekannten vier Ausgaben nicht nur eine fünfte, sondern auch eine sechste und siebte Übersetzung und bemerkt, daß eine derselben zu Jericho in einem Krug (en pithō) zur Zeit des Antoninus (188–217), des Sohnes des Severus, aufgefunden worden sei. (Eusebios, Kirchengeschichte, VI 16, modifizierte Übers. von Kraft 1967, zur Hexapla, s.u. S. 195)

      Der aus Palästina stammende Epiphanios von SalamisEpiphanios von Salamis (310–403) berichtet vielleicht vom selben Vorfall und einem anderen, wenn er schreibt:

      Und in der Zeit des Severus wurde eine fünfte Übersetzung in einem Krug versteckt in Jericho gefunden, und in den Zeiten des Antoninus eine sechste Übersetzung in Emmaus, ebenfalls in einem Krug versteckt. (Nach M. Stone und R. Ervine, The Armenian Texts of Epiphanius of Salamis De Mensuris et Ponderibus 17–18 (CSCO 583, tomus 105, Leuven, 2000, 87).

      Von anderen Handschriftenfunden am Toten Meer berichtet um 800 n. Chr. Timotheos I. von Seleukia KtesiphonTimotheos I. (727/729–823), Patriarch von Seleukia Ktesiphon / Bagdad in einem Brief an seinen Korrespondenten Sergius, Metropolit von Elam:

      Wir erfuhren von glaubwürdigen Juden, die eben als Katechumenen im Christentum unterrichtet wurden, daß vor zehn Jahren in der Nähe von Jericho in einem Felsenhause Bücher gefunden wurden. Es heißt nämlich, daß der Hund eines jagenden Arabers einem Thiere folgend eine Höhle betrat und nicht zurückkam. Sein Herr folgte ihm und fand im Felsen ein Häuschen und darin viele Bücher. Der Jäger ging nach Jerusalem und teilte es den Juden mit. Sie kamen in Menge heraus und fanden die Bücher des alten (Testamentes) und andere in hebräischer Schrift. Und da der Erzähler |13|ein Schriftkundiger und Schriftgelehrter war, fragte ich ihn um manche Stellen, die in unserem neuen Testamente als aus dem alten angeführt, aber dort nirgends erwähnt werden, weder bei uns Christen, noch bei den Juden. Er sagte: sie sind vorhanden und finden sich in den dort gefundenen Büchern. […] Es sagte aber jener Hebräer zu mir: „Wir fanden in jenen Büchern mehr als 200 Psalmen Davids“. Ich schrieb nun an jene darüber. Ich denke jedoch, dass diese Bücher niedergelegt wurden von dem Propheten Jeremias, oder von Baruch, oder von einem andern aus denen, welche das Wort Gottes hörten und davon bewegt wurden. Als nämlich die Propheten in göttlichen Offenbarungen die Eroberung, Plünderung und Verbrennung, die über das Volk wegen seiner Sünden kommen sollten, erfuhren, da verbargen sie, fest überzeugt, daß keines der Worte Gottes zu Boden fällt, die Schriften in Felsen und Höhlen und versteckten sie, damit sie nicht im Feuer verbrennen, noch von den Plünderern geraubt werden sollten.

      Oskar Braun, „Ein Brief des Katholikos Timotheos I. über biblische Studien des 9. Jahrhunderts“, Oriens Christianus 1 (1901) 299–313, hier 301–305.

      Als viertes Zeugnis gelten die in mittelalterlichen Sektenkatalogen erwähnten „MagharierMagharier“ (wörtlich „Höhlenmenschen“). Der Karäer Jaqub Qirqisani aus dem frühen zehnten Jahrhundert führt ihren Namen darauf zurück, dass sie nach ihren in einer Höhle gefundenen Büchern heißen (arab. maġariya, dt. Höhle, vgl. hebr. me‘ara). Es ist nicht ganz klar, ob Qirqisani sie der Gegenwart oder der Vergangenheit zurechnet, doch stehen sie in seinem Sektenkatalog zwischen den ṣaduqiya (Sadduzäern/Zadokiten) und den Nachfolgern Jesu. Nach einer zweiten Quelle, Muhammad asch-Schaharastani (1086–1153), lebten die asketischen Magharier vierhundert Jahre vor Arius, dem „Gründer“ der Arianer (ca. 250–336 n. Chr.). Die Magharier würden also aus der Zeit des Zweiten Tempels stammen. Nach dem berühmten muslimischen Gelehrten Muhammad Al Biruni (973–1048) feierten die Magharier Neujahr und Pessach (Mazzotfest) immer an einem