Nenner zu bringen (Golb). Allerdings wurden frühmittelalterliche Handschriften von nur aus Qumran bekannten Texten in der Geniza der Kairoer Ben Ezra-Synagoge gefunden. Die Geniza ist das fünfte Zeugnis für frühere Handschriftenfunde.
|14|Die Geniza der Kairoer Ben Ezra SynagogeGeniza der Kairoer Ben Ezra Synagoge ist die bekannteste und für die Qumranforschung wichtigste Geniza. Im Gegensatz zu anderen Genizot wurde sie über 900 Jahre lang nicht entsorgt. Auch wurde die Synagoge nie zerstört. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich hier Hunderttausende von Dokumenten, Rechnungen, Bücherlisten, Heiratsurkunden, Einkaufslisten, Verträgen, Briefen, Notizen, kleinen und großen Fragmenten von Handschriften der Bibel, der Mischna, der Talmudim, Midraschim oder anderer theologischer, philosophischer, exegetischer, mystischer, medizinischer oder anderer wissenschaftlicher und unwissenschaftlicher Werke angesammelt. Selbst Autographen von Maimonides fanden sich hier.
Verschiedene europäische Handschriftensammler reisten im 19. Jahrhundert nach Kairo und brachten aus dieser und anderen Genizot Handschriften nach Hause. Zu ihnen gehörte Abraham Harkavy, der Karäer Abraham Firkovitch und die gelehrten Zwillingsschwestern Agnes Lewis und Margaret Gibson. Letztere machten den Cambridger Talmuddozenten Solomon Schechter auf den großen historischen Wert der Kairoer Dokumente aufmerksam. Schechter ging daraufhin nach Kairo und brachte Hunderttausende Fragmente nach Cambridge, in die größte Sammlung (heute: „Taylor-SchechterTaylor-Schechter“, abgekürzt T.-S.T.-S.). Andere besonders wichtige Kollektionen sind in St. Petersburg, Oxford, New York (Jewish Theological Seminary) und Manchester. Viele ursprünglich zusammenhängende Schriften wurden leider auf unterschiedliche Sammlungen aufgeteilt. Diese riesige Abfallhalde gibt Judaisten, Wirtschaftshistorikern, Religionswissenschaftlern, Philosophen, etc. einen unvergleichlich detaillierten Einblick in die Denkwelt, die soziale Struktur und die internationale Vernetzung einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden des 10.–13. Jahrhunderts. Seit jüngstem bietet das Friedberg Genizah Projekt (http://www.genizah.org) Interessierten Zugang zu Fotos, Katalogen und Transkriptionen von Fragmenten fast aller Sammlungen.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden in dieser Kairoer Geniza einige mittelalterliche Handschriften von vier Texten gefunden, die nicht in der Hebräischen Bibel stehen und schnell den Verdacht erregten, Abschriften antiker Texte zu sein: die Damaskusschrift (CD), das Aramäische Levi Dokument (ALD), Sirach und die Genizapsalmen. Die Damaskusschrift ist sonst nur aus Qumran bekannt und daher Kronzeuge dafür, dass einige Vorlagen dieser Genizatexte vielleicht aus Handschriftenfunden aus der Zeit des Timotheos stammen.
Zum Aramäischen Levi Dokument (ALD) s.u. S. 226 und 283f Zu den beiden Handschriften der Damaskusschrift (CD), s.u. Teil 4, S. 240f Sirach, eine Weisheitsschrift, die bis dato nur aus christlichen Bibeln bekannt war (s.u. S. 180 und 340f) wird auch hier und da im Talmud zitiert. Für die nicht nur aus Qumran bekannten Texte ist daher unklar, ob die Genizafragmente auf Handschriftenfunden in Höhlen bei Qumran basieren oder ob die Texte kontinuierlich weiter überliefert worden waren. Das Alter der Genizapsalmen (s. Stec) ist umstritten, denn unter den Qumranrollen wurden keine Paralleltexte gefunden.
|15|1.4 Weitere Entdeckungen der ersten Jahre (1949–1952)
Mit dem WaffenstillstandWaffenstillstand am 7. Januar 1949 befinden sich Qumran, die Beduinen um den Nordteil des Toten Meeres, Bethlehem mit den Geschäften Kandos und Salahis und die westlichen Forschungsinstitutionen Jerusalems unter jordanischer Verwaltung. Schließlich gelingt es Captain Akkash al-Zebn von der arabischen Legion die Höhle zu lokalisieren. Sogleich organisiert der Direktor der jordanischen Antiquitätenbehörde, der Engländer Gerald Lankester Harding (1901–1979), zusammen mit Roland de Vaux (1903–1971), dem Direktor der französischen École Biblique et Archéologique in Jerusalem, eine archäologische Expedition. Sie finden einige Objekte, antike Keramikscherben auch von Krügen und zahlreiche Fragmente, von denen einige zu den Rollen Sukeniks gehören. Fundort und ungefähres Alter sind damit bestätigt (s.u. Archäologie). Als später noch weitere Höhlen entdeckt werden, erhält diese Höhle das Sigel „Höhle 1Höhle 1“.
Auch wenn die Rollen nun nicht mehr für Fälschungen gehalten werden können, kommen immer wieder Zweifel über das AlterZweifel über das Alter der Handschriften auf, auch unter Experten von Weltruf. Der Editor des Jewish Quarterly Review Solomon Zeitlin (1886–1976) hält sie aufgrund der Ähnlichkeiten mit der Damaskusschrift der Geniza für Reste einer mittelalterlichen karäischen Bibliothek. Der eminente Oxforder Semitist Godfrey Driver (1892–1975) datiert sie zunächst um 500 n. Chr., später ordnet er sie Zeloten des jüdischen Aufstandes um 70 n. Chr. zu. Auch der weltbekannte Genizaspezialist Paul Kahle (1875–1964) hält frühchristliche Zeiten für die wahrscheinlichste Abfassungszeit. Jacob Teicher (1904–1981) aus Cambridge, Begründer des Journal of Jewish Studies, identifiziert die Besitzer der Rollen mit der judenchristlichen Gruppierung der Ebioniten, also auch in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten. Um Zweifel bezüglich der Richtigkeit der paläographischen Datierung aus der Zeit des Zweiten Tempels aus dem Weg zu räumen, werden schon 1950 die ersten physikalischen Untersuchungen durchgeführt, die frisch entwickelten 14C Tests (s.u. S. 43). Der Preis ist hoch. Für die Tests wird das größte der Leinentücher, in das eine der Rollen eingewickelt war, geopfert. Aber das Ergebnis 30 n. Chr. ± 200 Jahre widerlegt die These einer mittelalterlichen Provenienz.
In der Zwischenzeit schmuggelt Mar Samuel „seine“ vier Rollen auf verschlungenen Wegen in die USA. Er hat großen Erfolg damit, sie in Ausstellungen zu präsentieren, aber – wegen der unsicheren Rechtslage – weit weniger, sie zu verkaufen. Schon im März 1950März 1950 kann Burrows erste Editionenerste Editionen des Habakukkommentars und der „großen“ Jesajarolle, und 1951 dann auch von der Gemeinschaftsregel |16|vorlegen. Allerdings senken diese Veröffentlichungen das Interesse, die Rollen zu erwerben, denn mit Ausnahme der letzten ungeöffneten Rolle (dem späteren Genesisapokryphon) ist ihr Inhalt ja nun bekannt. Erst im Juli 1954 sollte es Yigael Yadin, der Sohn Eliezer Sukeniks, inzwischen selbst einer der führenden israelischen Archäologen, schaffen, über Mittelsmänner die in New York zum Verkauf angebotenen Rollen für die immense Summe von 250000 Dollar zu erwerben und nach Israel zu bringen.
Für die fragmentarischen Texte aus Höhle 1 stellt Roland de Vaux zügig ein Editorenteam zusammen. Mit dem Polen Józef Milik (1922–2006) und dem Franzosen Dominique Barthélemy (1921–2002) gewinnt de Vaux zwei junge katholische Priester und phantastisch begabte Wissenschaftler.
Ende November 1951 führen sie archäologische Sondierungen in der nahe der Höhle 1 gelegenen Siedlung durch. Während der Arbeit tauchen auf dem Schwarzmarkt neue, andersartige Fragmente auf. De Vaux schließt schließlich einen Handel mit den Beduinen, „gemeinsame Ausgrabungen“ an ihrem Ursprungsort zu führen, Höhlen im Wadi MurabbaatWadi Murabbaat, ca. 18 km südlich von Qumran. Doch kaum haben die Archäologen ihre Ausgrabungen ins Wadi Murabbaat verlagert, kehren die Beduinen nach Qumran zurück und entdecken dort eine weitere Höhle („Höhle 2Höhle 2“) mit Fragmenten von ca. 30 Rollen. Als das den Wissenschaftlern bekannt wird, durchkämmen sie in einer zweiwöchigen Suchexpedition – natürlich mit Beduinen als Assistenten – unzählige Löcher und Höhlen in den Klippen über Qumran (s.u. S. 124–127). Nur eine Höhle (Höhle 3Höhle 3), wesentlich weiter im Norden, enthält auch einige wenige Fragmente und einen bis heute einzigartigen Fund: zwei Teile einer beschriebenen Kupferrolle.
Ende März wird es so heiß und die „Krankheitsfälle“ und Absenzen der Beduinen so häufig, dass die Wissenschaftler ihre Weiterarbeit auf den Herbst verschieben müssen. Die schnell wieder gesundeten Beduinen hingegen finden im September Höhle 4 mit tausenden Fragmenten„Höhle 4“ mit tausenden Fragmenten nicht in den Felswänden, sondern in einem der fingerartigen Ausläufer des Mergelplateaus nur 70 m neben den Ruinen der Siedlung, wo die Archäologen schon mehrere Wochen gegraben haben. Was für ein Pech! Die Archäologen entdecken zwar direkt daneben Höhle 5Höhle 5 mit einigen wenigen Texten, doch nur um zu erfahren, dass die Ta‘amire kurz zuvor im Felsabhang noch eine Höhle 6(sechste)