Tanja Sturm

Lehrbuch Heterogenität in der Schule


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erheblichen Einfluss auf die Praxis der Differenzherstellung und -bearbeitung im Unterricht haben. Dass diese Punkte nicht in allen Einzelheiten in diesem Buch diskutiert und miteinander verglichen werden können, gibt der begrenzte Rahmen einer grundlegenden Einführung vor. Zugleich fordert eben dieser zu einer abstrakteren Betrachtung heraus, in der Gemeinsamkeiten deutlich werden. An jenen Stellen, an denen die konkreten Rahmenbedingungen ausgeführt werden, wird dies explizit angeführt.

      Das Ziel des Buches, Reflexionsebenen und -inhalte darzustellen und in ihrem Zusammenspiel vorzustellen, findet sich in seinem strukturellen Aufbau wieder, der in aufeinander aufbauenden Einheiten konzipiert ist: Im Anschluss an diese Einleitung wird im zweiten Kapitel eine allgemeine Definition von Heterogenität gegeben, die auf die Perspektive der praxeologischen Wissenssoziologie aufgebaut, und um die Theorie sozialer Felder erweitert wird. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden entsprechend von Milieus gedacht, deren Angehörige bei der Strukturierung ihres Alltags auf vergleichbare Erfahrungen zurückgreifen. Das Kapitel endet mit der Einführung in die Spezifität, mit der sich Milieus in gesellschaftlichen Organisationen begegnen und ihre gemeinsame Praxis gestalten.

      Im dritten Kapitel wird dies für die Bildungsorganisation Schule konkretisiert. Die Funktionen, welche die Schule in der Gesellschaft übernimmt, werden vorgestellt, ebenso der historische Prozess, in dem sich diese Funktionen in ihrer heutigen Konkretheit herausgebildet haben. Diese Betrachtung der formalen Seite der Schule nimmt deren strukturelle Verfasstheit in den Blick, die eine Rahmenbedingung innerschulischer Herstellung und Bearbeitung von Heterogenität darstellt. An der Vergabe von Noten wird dies konkretisiert.

      Das vierte Kapitel zeigt entlang von vier ausgewählten Differenzdimensionen auf, wie sich Benachteiligungen in Schule und Unterricht zeigen. Das Zusammenspiel struktureller und kultureller Bearbeitung wird entlang der sozialen Gruppen sozio-ökonomisch bedingter, migrationsbedingter, geschlechtsbedingter und behinderungsbedingter Heterogenität konkretisiert, unter besonderer Berücksichtigung von Benachteiligungen, die mit ihnen einhergehen. Diese vier Kategorien wurden ausgewählt, da sie besonders aussagekräftig in der Reproduktion von Ungleichheit in und durch Schule und Unterricht sind, und um die der Leistung ergänzt. Letztere stellen schul- und unterrichtsspezifische Formen von Differenz dar.

      Das fünfte Kapitel widmet sich einer perspektivisch ausgerichteten Zusammenfassung, indem Inklusion als Möglichkeit für Reflexion über Heterogenität und Bearbeitung von Heterogenität in Schule und Unterricht insgesamt aufgeworfen wird. Das Konzept der Inklusion wird anhand erziehungswissenschaftlicher Orientierungen veranschaulicht. Eine konkrete Reflexionsfolie für das Erkennen und die Bearbeitung von Heterogenität im Unterricht, die an der Überwindung von Benachteiligung orientiert ist, wird aufgegriffen. In dem Kapitel fließen die Darstellungen der vorangegangenen Kapitel zusammen, da Unterricht jener Interaktionsraum ist, in dem die sozialen Milieus der Schüler / -innen und Lehrpersonen aufeinandertreffen – mit dem Ziel von Erziehung und Bildung im organisatorischen Kontext der Schule. Entlang dieses Ziels wird zunächst zusammengefasst vorgestellt, was Lern- und Bildungsprozesse charakterisiert. Anschließend wird deren Spezifität im schulischen Kontext beleuchtet und schließlich vorgestellt, wie sich Lehrpersonen diesen Prozessen systematisch annähern können. Darauf aufbauend werden Bezüge für die Reflexion von Heterogenität im Unterricht, aus der Perspektive von Lehrkräften, betrachtet.

      Die Gestaltung einer inklusiven Schule, die perspektivisch formuliert wird, stellt zugleich die Chance und Herausforderung für angehende Lehrer / -innen dar, diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Die Möglichkeit besteht, eine schulische Lernkultur zu gestalten, die zwar im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion angesiedelt ist, jedoch die Mitgliedschaft und Verteilung von Privilegien nicht in vergleichbarer Weise reproduziert, wie es aktuell zu beobachten ist. Ziel dieses Buches ist es, einzuladen, an dieser Gestaltungsaufgabe zu partizipieren.

      Mit diesem Vorhaben möchte dieses Buch dazu anregen, Heterogenität als Chance für Schul- und Unterrichtsentwicklung zu begreifen, ihren Anteil an der systematischen Benachteiligung sozialer Gruppen zu erkennen und Alternativen zu entwickeln. Dies erfordert, dass die Leser / -innen sich zuweilen darauf einlassen, ihre bisherigen Vorstellungen von Schule und Unterricht irritieren zu lassen. Es sollen Perspektiven aufgeworfen und Neugierde geweckt werden, sich weitergehend mit der Thematik auseinanderzusetzen; hierfür werden Literaturhinweise gegeben und Übungsaufgaben bereitgestellt. Letztere sollen zum Diskutieren anregen und so gleichermaßen eine vertiefte Auseinandersetzung herausfordern. Das Buch möchte einen Anlass für eine reflektierte Auseinandersetzung und Bearbeitung von Heterogenität in Schule und Unterricht schaffen.

      Basel, im August 2015

      2 Differenzen in Schule und Unterricht

      „Heterogenität“ ist etwa seit dem Jahr 2000 zu einem zentralen Begriff geworden, wenn es um die Beschreibung schulischer und unterrichtlicher Realität geht (Budde 2012). Dieser Abschnitt möchte in das Verständnis von Heterogenität und Homogenität respektive von Differenz und Gleichheit einführen. Ziel dieser einleitenden Überlegung ist es, eine Analysefolie bereitzustellen für pädagogische, v. a. für unterrichtliche Zusammenhänge, zu denen Bildungs-, Lern-, Erziehungs- und Sozialisationsprozesse zählen. Die aufzuführenden theoretischen Konzepte sollen dabei helfen, den Blick für Heterogenität in Schule und Unterricht zu schärfen.

      Im ersten Abschnitt wird eine allgemeine Definition von Heterogenität vorgenommen. Diese Perspektive wird im darauffolgenden Abschnitt um eine sozialkonstruktivistische und wissenschaftssoziologische Perspektive, die wesentlich auf der Konzeption der „Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten“ Arnd-Michael Nohls (2010, 145) aufbaut, differenziert und anhand der Überlegungen zu Milieus als Felder im sozialen Raum erweitert.

      Heterogenität hat sich etwa seit der Jahrtausendwende zu einem zentralen Bezugs- und Erklärungspunkt in (schul-)pädagogischen Zusammenhängen entwickelt (Budde 2012; Schroeder 2007, 33). In diesem Abschnitt soll Heterogenität als Beschreibungsansatz im schulischen und unterrichtlichen Kontext in allgemeiner Hinsicht erklärt werden. Die Definition orientiert sich an einem sozial-konstruktivistischen Verständnis und unterscheidet sich folglich von Perspektiven, die aus anderen theoretischen Positionen heraus Heterogenität definieren. So verweist diese Definition, im Gegensatz zu kognitionspsychologischen Überlegungen darauf, dass Differenzen nicht aufgrund von Dispositionen bestehen, die sich in verschiedenen Merkmalen verdichten, sondern in sozialen Interaktionen hergestellt und bearbeitet werden (Trautmann / Wischer 2011, 42 f).

      Sozial-konstruktivistische Überlegungen definieren Heterogenität mehrheitlich, z. T. auch mithilfe anderer Begriffe, anhand der folgenden vier Punkte: relativ, sozial-kulturell eingebunden, sozial konstruiert und partial (Lang et al. 2010, 315 f; Prengel 2006, 30 ff; Wenning 2007). Sie werden nachfolgend für die Definition herangezogen. Die Kriterien werden hier zwar analytisch voneinander getrennt, sind jedoch aufeinander bezogen und erlangen im Zusammenspiel einen definitorischen Charakter.

      relativ

      „Heterogenität“ kommt aus dem Griechischen, bedeutet übersetzt „Ungleichartigkeit“ und bezeichnet somit Unterschiede oder Differenzen. Diese können dann erkannt und beschrieben werden, wenn mindestens zwei Aspekte oder Eigenschaften miteinander in Beziehung gesetzt, also verglichen werden. Dies erfolgt mithilfe eines Maßstabs, der an die zu vergleichenden Aspekte angelegt wird und so ihre Relation zueinander beschreibbar macht. Das Ergebnis dieses Vergleiches lautet dann gleich oder ungleich respektive homogen oder heterogen.

      Eine Differenz beschreibt also die Relation von mindestens zwei zueinander in Beziehung gesetzten Eigenschaften oder von anderen verglichenen Aspekten. Das Resultat des Vergleiches ist eine Relation (Lang et al. 2010, 315).

      der Vergleichsmaßstab

      Ein Aspekt wie die schulisch erbrachte Leistung kann folglich nicht per se heterogen sein. Erst der Vergleich konkretisiert, auf welchen Aspekt schulischer Leistung genau Bezug genommen wird und worin die Verschiedenartigkeit besteht. In der Schule wird die Relation häufig zwischen den Leistungen eines Schülers zu unterschiedlichen Zeitpunkten bestimmt, gegenüber der Klasse oder Lerngruppe (soziale Bezugsnorm), oder gegenüber einer formalen, objektiven