Tanja Sturm

Lehrbuch Heterogenität in der Schule


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/ oder Klassenzielen festgeschrieben. Je nachdem, wie verglichen wird, kann die Relation anders ausfallen.

      Der Grundschüler Paul verfügt zu Beginn des dritten Schuljahres über keinerlei Englischkenntnisse. In der dritten Klasse beginnt der Englischunterricht. Zu den Herbstferien, also etwa zwei Monate später, kann Paul einige Obstsorten und die Farben auf Englisch bezeichnen. Ein Vergleich seiner Englischkenntnisse zu den zwei Zeitpunkten zeigt, dass diese different sind.

      Seine Lehrerin, Frau Ackermann, vergleicht Pauls englischsprachliche Leistungen im Herbst mit denen seiner Mitschüler / -innen – sie nimmt seine Lerngruppe als Vergleichsgruppe (soziale Bezugsnorm). Dabei erkennt sie, dass einige Schüler / -innen zwar die Obstsorten, nicht aber die Farben im Englischen benennen können; zudem stellt Frau Ackermann fest, dass es Kinder gibt, die auch die englische Bezeichnung einiger Tiere kennen. Hier werden, bezogen auf die einzelnen Schüler / -innen einer Schulklasse, heterogene Lernstände im Vergleich ersichtlich.

      Ein Vergleich der Englischkenntnisse Pauls mit denen des Bildungs- und Rahmenplans für den Englischunterricht in der Grundschule kann zeigen, dass er die erwarteten Leistungen erfüllt (objektive Bezugsnorm). Seine Kompetenzen und die schuladministrativ gesetzten Erwartungen sind identisch oder homolog zueinander.

      Wechselspiel von Gleichheit und Verschiedenheit

      Vergleiche setzen ihrerseits Gleichheit voraus. Heterogenität und Differenzen sind nur zu bestimmen und zu erkennen, wenn Homogenität, also Gleichheit, auf einer übergeordneten Ebene vorhanden ist.

      So kann die Feststellung, dass zwei Personen unterschiedliche Sprachen sprechen – Deutsch und Italienisch – nur dann erfolgen, wenn davon ausgegangen wird, dass beide sich linguistischer Symbolsysteme bedienen, um mit anderen Menschen in Interaktion zu treten. Diese Gemeinsamkeit gesprochener Sprachen ist die Basis des Vergleiches, mit dem festgestellt werden kann, dass es sich um unterschiedliche, also differente Sprachen handelt.

      Eine Gleichheit, auf die Bezug genommen wird, ist bei der Feststellung von Heterogenität und Homogenität auf übergeordneter Ebene notwendig. Folglich kann nur Gleiches mit Gleichem verglichen werden. Eigenschaften oder Dinge, die auf abstrakterer Ebene gleich sind, können zueinander in Relation gesetzt werden, die dann als gleich / ungleich beschrieben wird. Homogenität und Heterogenität sind folglich dialektisch aufeinander bezogen und miteinander verbunden, da sich das eine nicht ohne das andere beschreiben lässt. Ein solcher vergleichsinterner und zu bestimmender Maßstab wird auch „tertium comparationis“ genannt (Prengel 2009, 141).

      Im schulischen Kontext besteht Homogenität, also die Vergleichsgrundlage, zunächst darin, dass alle Kinder und Jugendlichen als Schüler / -innen gesehen werden (Wenning 2008, 6). Als solche werden sie miteinander verglichen, zueinander und / oder zu anderen Maßstäben in Relation gesetzt. Diese Form der Homogenisierung hat eine positive und eine negative Seite, die miteinander verbunden sind – wie die zwei Seiten einer Medaille: Positiv ist, dass damit für alle Schüler / -innen das Recht auf vergleichbare Teilhabe an Schule und Unterricht ermöglicht wird – im Vergleich zu einem nach sozialen Ständen differenzierten Schulwesen; negativ ist, dass die Unterschiede, anhand derer sie sich unterscheiden, ausgeblendet werden (müssen). Homogenität und Heterogenität beziehen sich in Schule und Unterricht häufig nicht auf eine absolute Gleichheit, wie im vorherigen Sprachbeispiel. Vielmehr wird Homogenität als Streuung um eine Norm verstanden, die als gleich angesehen wird (Gomolla 2009, 22). Das, was jeweils als homogen verstanden wird, unterscheidet sich je nach dem kulturellen, historischen und sozialen Kontext, in dem eine Aussage formuliert wird.

      soziale und kulturelle Rahmungen

      Vergleiche, deren Ergebnis Gleichheit oder Unterschiedlichkeit darstellt, finden immer in sozialen und historischen Kontexten statt. Als solche sind sie nicht neutral, sondern eingebunden in die Bedeutungen und Werte des jeweiligen Kontextes. Die Vergleiche werden aus einer Perspektive heraus vorgenommen, die durch spezifische kulturelle und soziale Bedeutungen gekennzeichnet ist, in denen die Ergebnisse mit positiverer oder negativerer Bedeutung (Wenning 2008, 6) bzw. mit Rangordnungen und Hierarchien (Prengel 2006, 34) verbunden sind. So ist in der Organisation Schule die Unterscheidung relevant, ob und wie viele Aufgaben ein Schüler / eine Schülerin in einer Klassenarbeit richtig und falsch bearbeitet hat. Dieser Vergleich wird in eine Punktzahl überführt, die anschließend in eine Zensur übersetzt wird. Irgendwo wird eine Grenze als Maßstab und Bedeutung festgelegt, die besagt, ob die Klassenarbeit bestanden wurde oder nicht. Dies ist eine Unterscheidung, die eher im sozialen Rahmen der Schule eine Bedeutung hat und insofern hierarchisch aufgeladen ist, als sie mit einer Besser- / Schlechterstellung im Schulsystem einhergeht.

      Das Ergebnis eines Vergleiches ist verbunden mit Konsequenzen, die im jeweiligen Kontext daraus gezogen werden. Diese Bedeutung ist spezifisch für die Schule; andere Unterschiedlichkeiten, wie die Schuhgrößen einer Schulklasse, sind im Rahmen der Bildungsorganisation nicht relevant. Dass Merkmale, Eigenschaften oder andere Aspekte miteinander verglichen werden, steht in einer Wechselbeziehung zu den Bedeutungen und Werten innerhalb des sozialen Zusammenhangs und der spezifischen Interessen, die in dem kulturellen und sozialen Rahmen bestehen (z. B. der Klärung, ob jemand aufgrund seiner Leistung Teil einer spezifischen Lerngruppe bleiben kann oder nicht); aus den jeweiligen Zusammenhängen gehen sie hervor und bleiben zugleich mit ihnen verbunden. Sowohl die Maßstäbe, die herangezogen werden, um Differenzen zu erkennen und zu beschreiben, als auch die Wertung der Ergebnisse unterscheiden sich in kultureller, sozialer und auch in historischer Hinsicht, und sie sind nicht statisch, sondern wandelbar.

      sozial konstruiert

      Aus kontinuierlich vorgenommenen und in einem sozialen Zusammenhang relevanten Vergleichen heraus können sich feste Begriffe oder Kategorien entwickeln, die zur Beschreibung herangezogen werden. Diese Verdichtungen werden auf sprachlicher Ebene durch Begriffe und Wörter repräsentiert. Auf nonverbaler Ebene stellen Symbole kultureller Repräsentationen solche Verdichtungen dar (Nohl 2010, 146 f).

      So stellt die Beschreibung Geschlecht, die in der Regel zwischen männlich und weiblich unterscheidet, eine begriffliche Verdichtung für Unterschiede bzw. kontinuierlich vorgenommene Vergleiche dar. In unserer derzeitigen Gesellschaft sind mit dieser Unterscheidung diverse kulturelle Repräsentationen verbunden, wie beispielsweise Kleidung und Frisuren.

      In gesellschaftlichen und somit auch in schulischen Zusammenhängen haben Differenzen zugleich eine distinktive Funktion (sie dienen der Abgrenzung gegenüber anderem und anderen) und eine konjunktive, auf Gemeinsamkeiten bezogene Bedeutung (siehe Kapitel 2.2).

      Heterogenität und Homogenität sind Konstruktionen, die perspektivisch gebunden hergestellt und wahrgenommen werden, da sie immer von einem Standpunkt aus, d. h. vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen vorgenommen werden (Seitz 2008, 228). Als solche wirken sie zugleich distinktiv, also abgrenzend, da Differenzen und Unterschiede durch sie sichtbar werden, und konjunktiv, also Gemeinsamkeit stiftend, die durch sie erkennbar wird. Abgrenzungen gegenüber anderem und Zugehörigkeit zu Eigenem bzw. zu Gleichem sind zwei Seiten von Differenzkonstruktionen.

      Differenzen werden aus einer konkreten sozialen Position heraus gesehen, in der die zu erkennende Unterscheidung bedeutsam ist. In dieser Bedeutungszuschreibung wird zugleich die Differenz, da sie als relevant genutzt wird, reaktualisiert und damit auch reproduziert. Dies kommt in den Praktiken, die auf die Unterscheidung folgen und auf sie aufbauen, auch zum Ausdruck.

      Dies erfolgt z. B. in der Art und Weise, wie auf jemanden zugegangen wird: So werden Kinder von Erwachsenen anders adressiert als dies Erwachsene untereinander tun. Die Differenz, die zwischen den Generationen besteht, wird also in einem Gespräch zwischen den Generationen produziert und reproduziert.

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