Tanja Sturm

Lehrbuch Heterogenität in der Schule


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jemand besitzt, wie Immobilien, Kunstwerke, Aktien u. v. m. In Marktwirtschaften können diese unkompliziert mithilfe von Geld getauscht und / oder in Geld verwandelt werden. Die Umwandlung zwischen den unterschiedlichen Kapitalsorten macht einen wesentlichen Bestandteil menschlichen Zusammenlebens aus. Hierbei nimmt das ökonomische Kapital eine Art Schlüsselstellung ein, da mit seiner Hilfe andere Kapitalsorten verhältnismäßig leicht erworben werden können; oder es kann für notwendige Transformationsprozesse eingesetzt werden (Bourdieu 1992, 52).

      Mirkos Eltern verfügen über eine vergleichsweise große Menge ökonomischen Kapitals. Als seine schulischen Leistungen immer schlechter werden, finanzieren sie ihrem Sohn Nachhilfeunterricht. Eine Nachhilfelehrerin soll Mirko helfen, die schulisch von ihm erwarteten Ziele zu erreichen, damit er in die nächste Klassenstufe versetzt wird. Mirkos Eltern sind selbst Lehrer von Beruf und verfügen über das kulturelle Kapital, ihn selbst beim schulischen Lernen zu unterstützen. Sie haben sich aber entschieden, Mirko eine Nachhilfelehrerin zu finanzieren, da sie selbst wenig (Frei-)Zeit zur Verfügung haben; und diese wenige Zeit wollen sie lieber Tennis spielend mit ihren Kindern verbringen.

      Stefans schulische Leistungen sind vergleichbar mit denen Mirkos. Seine Familie verfügt jedoch weder über das ökonomische noch über das kulturelle Kapital wie Mirkos Familie. Stefans Mutter bittet ihre Schwester, ihren Sohn bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Im Gegenzug möchte sie für die Schwester Hausarbeit erledigen. Stefans Mutter greift auf soziales, familiäres Kapital zurück und bietet zugleich eine Tauschleistung an.

      Anerkennung

      Symbolisches Kapital: Die vierte Kapitalform, das symbolische Kapital, unterscheidet sich von den drei anderen dadurch, dass sie ihnen innewohnt. Symbolisches Kapital stellt die wahrgenommenen und anerkannten Eigenschaften der drei anderen Kapitalsorten dar. Erst durch das symbolische Kapital erhalten die anderen Kapitalsorten ihren Wert, ihre Anerkennung. Die Allgemeine Hochschulreife, das Abitur, der Realschul- und / oder Hauptschulabschluss sind anerkannte Bildungsabschlüsse. Zugleich entstehen durch das symbolische Kapital Relativierungen und Unterscheidungen. So ist der Hauptschulabschluss zwar ein anerkannter Bildungsabschluss, er verfügt im Vergleich zur Hochschulreife über weniger Prestige und eröffnet ihr gegenüber einen eingeschränkteren Spielraum für weitere Bildungswegentscheidungen (Bourdieu 1998, 108 f).

      Es ist festzuhalten, dass die jeweils zur Verfügung stehenden Kapitalien in Art und Umfang den Habitus von Menschen prägen, d. h. ihre „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1978, 101), mit denen sie die materielle Welt und das soziale Miteinander betrachten und bewerten und die gleichzeitig ihre Handlungen in dieser materiellen Welt strukturieren. Die praktischen Lebensvollzüge von Milieus stehen in ihrer Genese mit diesen Rahmenbedingungen in Zusammenhang.

      Soziale Felder und Feld der Macht: Soziale Felder stellen Räume dar, die sich aus einem Netz relativ zueinander stehender Positionen aufspannen und in Relation zu deren Kapitalvolumen stehen. Hierfür wird auf das kulturelle und das ökonomische Kapital Bezug genommen. Dies lässt sich in einem zweiachsigen Raum abbilden (siehe Abbildung 1).

      Struktur des sozialen Raums

      Die vertikale Achse beschreibt das Gesamtvolumen an kulturellem und ökonomischem Kapital einer Gesellschaft und die horizontale die Struktur des Kapitals. Letztgenannte verweist auf die Relation von ökonomischem zu kulturellem Kapital über die jemand (respektive ein Milieu) verfügt. Innerhalb des sozialen Raums, der die Gesellschaft beschreibt, können unterschiedliche Positionen als unterschiedliche Milieus – im Sinne der Annahmen der praxeologischen Wissenssoziologie – gefasst werden. Milieus, die insgesamt über viel Kapital verfügen, sind beispielsweise Hochschullehrkräfte und Unternehmer / -innen. Die zwei Gruppen unterscheiden sich jedoch in der Zusammensetzung, der Struktur des Kapitals: Während erstgenannte über mehr kulturelles als ökonomisches Kapital verfügen, ist dies bei der zweitgenannten Gruppe andersherum. Hilfsarbeitende und Personen, die in der Landwirtschaft tätig sind, verfügen im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen über wenig ökonomisches und / oder kulturelles Kapital (Bourdieu 1998, 16 ff).

      soziale Felder

      In differenzierten Gesellschaften gibt es innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Raums zahlreiche Felder, wie z. B. die Schule als Bildungsorganisation, die über relative Freiheiten bzw. Autonomien verfügen und zugleich in relationaler Weise mit den anderen Feldern verbunden sowie in das gesellschaftliche Feld der Macht eingebunden sind (Bourdieu 1998). Das Schul- und Bildungssystem kann als ein solches Feld verstanden werden. Bourdieu (1993) vergleicht Felder mit Spielfeldern, in denen Spielende entlang je feldspezifischer Regeln um einen oder mehrere Gegenstände, Werte oder Güter sowie um deren Definitionsmacht kämpfen. Die Spielenden verfügen über unterschiedliche Ressourcen – Kapitalien – die sie im Spiel zum Einsatz bringen (können), um ihre jeweilige Position im Feld gegenüber den anderen Spieler / -innen zu erhalten bzw. zu verbessern.

      Positionen im Feld

      Bourdieu (1993) verbindet die Möglichkeit, sich an dem Spiel zu beteiligen mit dem jeweiligen Kapitalbesitz.

      Soziales Feld als Spielfeld

      Innerhalb der Spielmetapher bleibend, lassen sich die Kapitalsorten mit Jetons in einem Roulettespiel vergleichen: Für die Beteiligung am Spiel, das die Vermehrung von Kapital – und damit verbundene Annehmlichkeiten im Leben – verfolgt, ist das Ziel, möglichst viele und unterschiedliche Jetons zu erhalten (Bourdieu 1993, 110 ff). Je weniger Kapital ein Mensch im Vergleich zu anderen besitzt, umso weniger kann er an dem Spiel teilnehmen bzw. für ihn ist dann das Risiko des Spieleinsatzes erheblich höher als für jemanden, der über viele Kapitalien verfügt. Menschen, denen viel Kapital zur Verfügung steht, sind es beispielsweise gewohnt, auswählen zu können. So können sich reiche Menschen (also jene, die über viel Kapital verfügen) überlegen, was sie gerne essen oder wie sie sich gerne kleiden möchten. Der Preis stellt für sie kein Auswahlkriterium dar. Verfügen Menschen hingegen über wenig ökonomisches Kapital, so schränkt der Preis von Lebensmitteln und Kleidung auch deren Auswahl ein.

      Kinder und Jugendliche, die in ein Milieu einsozialisiert werden, in dem allein der Geschmack und nicht der Preis entscheidend sind, lernen, quasi nebenbei und unter der Bedingung ihrer Lebenssituation, Entscheidungen zu treffen. Menschen, die nicht über vergleichbares Kapital verfügen, müssen z. B. jene Lebensmittel kaufen, die am preisgünstigsten sind, das Gleiche gilt für die Kleidung. Diese Menschen handeln aus der Notwendigkeit heraus. Neben den unterschiedlichen Stilen im Auftreten, die sich so herausbilden, ist das Milieu jener Personen, die über viel ökonomisches Kapital verfügen, von der Erfahrung geprägt, auswählen zu können, ohne durch das Kapitalvolumen (einer oder mehrerer Kapitalien) eingeschränkt zu werden. Diese Erfahrung wird – wie es häufig im offenen Unterricht zu beobachten ist – von der Schule bzw. den Lehrpersonen erwartet.

      Charakteristisch für Felder sind mindestens zwei unterschiedliche und miteinander konkurrierende Positionen um die Herrschaft bzw. Definitionsmacht im Feld. Diese werden als „orthodox“ und „häretisch“ oder als „konservativ“ und „subversiv“ bezeichnet (Bourdieu 1993, 110 f). Gemeinsam ist den unterschiedlichen Positionen die Anerkennung des Spielgegenstandes, d. h. die Anerkennung der Wichtigkeit einer Sache, für die es sich zu kämpfen lohnt. Bourdieu nennt dies auch die „illusio“, also eine zentrale materielle oder soziale Bedeutung eines Feldes, die von allen anerkannt wird (Bourdieu 1998, 142).

      Im Fall der Schule ist dies zunächst die Tatsache, dass Bildung, Erziehung und Lernen fundamentale Prozesse der Gesellschaft sind, die an die nächste Generation weitergegeben werden sollen. Wie dies in der Schule geschehen soll, welche Aspekte zu Bildung zu zählen sind, wie die pädagogische Organisation prinzipiell zu verstehen ist, kommt in unterschiedlichen Positionen des