Θ 038, die Minuskeln 28, 565, die Itala, der Sinai-Syrer und Origenes. Nach der äußeren Bezeugung ist der ersten Lesart eindeutig der Vorzug zu geben.
Innere Bezeugung: Für die sekundäre Hinzufügung von καὶ Σιδῶνος zum ursprünglichen Τύρου spricht einmal, dass Sidon und Tyrus sowohl im Alten Testament (vgl. Jes 23,4; Jer 27,3; 47,4; Joel 13,48; Sach 9,2) als auch im Neuen Testament (Mt 11,21.22; 15,21; Mk 3,8; 7,31; Lk 6,17; 10,13.14) in der Regel zusammen genannt werden und deshalb καὶ Σιδῶνος unter dem Einfluss von Mt 15,21 wahrscheinlich nachträglich hinzugesetzt wurde. Außerdem läge eine Doppelung der Ortsangaben in Mk 7,24 und 7,31 vor, wenn Sidon und Tyrus auch in 7,24 zusammen genannt würden. Schließlich trifft hier die Regel zu, dass die kürzere Lesart die schwierigere ist.
Textkritisches Urteil: Obwohl die äußere Bezeugung eindeutig für die Lesart Τύρου καὶ Σιδῶνος spricht, ist καὶ Σιδῶνος als spätere Hinzufügung anzusehen, die unter dem Einfluss von Mt 15,21 in den Text kam.
4. Variante
Äußere Bezeugung: Anstelle des Imperfekts ἤθελεν lesen
01, Δ 037, die Minuskelfamilie 13, die Minuskel 565 sowie Origenes die Aoristform ἠθέλησεν.Innere Bezeugung: eine inhaltliche Differenz zwischen der Imperfekt- und der Aoristform besteht nicht.
Textkritisches Urteil: Die äußere Bezeugung spricht für die Ursprünglichkeit des Imperfekts ἤθελεν.
5. Variante
Äußere Bezeugung: Die korrekte Aoristbildung ἠδυνήθη wird durch die Majuskeln A 02, D 05, K 017, L 019, N 022, W 032, Γ 036, Δ 037, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln 28.579.700. 892.1241.1424.2542, das Lektionar 2211 sowie den Mehrheitstext bezeugt. Hingegen findet sich im Sinaiticus und im Vaticanus die singuläre Aoristform ἠδυνάσθη. Die Imperfektbildung ἠδύνατο wird nur durch die Minuskel 565 belegt. Die beiden ersten Lesarten sind gleich gut bezeugt, so dass innere Kriterien herangezogen werden müssen.
Innere Bezeugung: Die im Neuen Testament nur hier zu findende Aoristbildung ἠδυνάσθη ist zweifellos die schwierigere Lesart. Es ist zu vermuten, dass sie in das korrekte ἠδυνήθη geändert wurde.
Textkritisches Urteil: Da ἠδυνάσθη die ‚lectio difficilior‘ darstellt und auch äußerlich gut bezeugt ist, muss es als ursprünglich angesehen werden.
Textkritische Analyse von Mk 14,22–25; Lk 22,17–20, 1Kor 11,23–26 sowie Joh 1,1–18 auf der Grundlage von Nestle-Aland28 und Huck-Greeven.
11 Vgl. zur problematischen Methode der Konjektur B. M. Metzger, Der Text des Neuen Testaments, 184–187. – Wer die Begründung einer Konjektur kennenlernen möchte, lese A. v. Harnack, Zwei alte dogmatische Korrekturen im Hebräerbrief, in: Studien zur Geschichte des Neuen Testaments und der alten Kirche I, AKG 19, 1931, 234–252.
12 Der Ausdruck ‚textus receptus‘ geht auf das Vorwort der 1633 erschienenen 2. Auflage der NT-Ausgabe der Familie Elzevier aus Leiden zurück, wo es heißt: »Textum ergo habes, nunc ab omnibus receptum: in quo nihil immutatum aut corruptum damus« (»Du hast nunmehr einen Text, der von allen angenommen ist, in dem wir nichts verändert oder verdorben wiedergeben«).
13 Vgl. zur aufregenden Fundgeschichte Chr. Böttrich, Der Jahrhundertfund, 2011; D. Parker, Der Codex Sinaiticus, 2012.
14 Zu den Einzelheiten der Theorie von Westcott-Hort vgl. B. M. Metzger, a.a.O., 129–138.
15 Vgl. dazu auch A. Wikenhauser – J. Schmid, Einleitung, 170–183.
16 Zur Forschungsgeschichte: R. Kieffer, Au delà des recensions?, CB.NT 3, 1968, 25 ff. – Kritisch zu der Existenz des Cäsarea-Textes äußert sich K. Aland, Bemerkungen zu den gegenwärtigen Möglichkeiten textkritischer Arbeit aus Anlass einer Untersuchung zum Cäsarea-Text der Katholischen Briefe, NTS 17 (1970/71), 1–9.
17 Vgl. K. u. B. Aland, Der Text des Neuen Testaments, 77.
18 Da die 27. Auflage noch von vielen Studierenden benutzt wird und in der 28. Auflage der Text der Evangelien, der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe unverändert ist, lege ich hier beide Ausgaben zugrunde.
19 Dazu H. W. Bartsch, Ein neuer textus receptus für das griechische Neue Testament?, NTS 27 (1981), 585–592; Replik von K. Aland, Ein neuer textus receptus für das griechische Neue Testament?, NTS 28 (1982), 145–153.
20 Vgl. dazu die Auflistung der unter M zusammengefassten Handschriften in Nestle-Aland27, 714.
21 Vgl. hier auch D. Trobisch, Die 28. Auflage des Nestle-Aland, 22–33.
22 Zu den Minuskelfamilien f1 und f13 vgl. B. M. Metzger, Text, 61f.
23 Vgl. zu den Lektionaren K. u. B. Aland, Der Text des Neuen Testaments, 172–178; zu den alten Übersetzungen des NT: a.a.O., 181–221.
4. Texttheorie und Methodenabfolge
Die Textkritik ist die grundlegende Voraussetzung aller weiteren methodischen Arbeit, denn sie legt den zu bearbeitenden Text in seinem Wortlaut fest. Der sich anschließenden Abfolge von Methodenschritten liegt eine bestimmte Texttheorie zugrunde24:
Das Urchristentum war eine charismatische Bewegung, in der die Produktion schriftlicher Texte aller Wahrscheinlichkeit nach erst relativ spät einsetzte. So wie die Verkündigung Jesu von Nazareth mündlich erfolgte, wurden auch die Erzählungen über Jesus von Nazareth zunächst mündlich tradiert, bevor Verschriftungsprozesse in einem größeren Umfang einsetzten (Sammlungen thematisch verwandter Stoffe, Logienquelle). Die Paulusbriefe als älteste literarische Dokumente des Urchristentums (geschrieben zwischen 50 und 61 n.Chr.) setzen noch das mündlich verkündigte Evangelium voraus (vgl. 1Kor 15,1ff) und sind nicht programmatischer, sondern, durch die Missionssituation bedingt, aktueller Ausdruck der Schriftlichkeit. Erst mit dem Markusevangelium (um 70 n.Chr.) etabliert sich das Evangelium als schriftliches Phänomen.
Eine sachgemäße Texttheorie wird deshalb berücksichtigen, dass die ntl. Texte nicht nur von einem einmaligen geschichtlichen Geschehen berichten, sondern selbst eine mündliche/schriftliche Geschichte als Texte durchlaufen haben. Hinter den ntl. Texten steht in der Regel ein Prozess, in dem ältere Texte summiert, verdichtet und in einen neuen Erzählzusammenhang überführt wurden. Die Interpretation auf synchroner Ebene und die diachrone Analyse der Vorgeschichte des Textes müssen sich ergänzen, um Werden und Sosein des Textes gleichermaßen zu erfassen. Es gibt keine Autonomie der Texte gegenüber ihrer eigenen Geschichte, sondern Synchronie und Diachronie sollten in ihrer Interdependenz begriffen werden.
Diesem mehrschichtigen Textmodell entspricht eine Methodenabfolge, die nach der Textfeststellung in der Textkritik auf synchroner Ebene einsetzt (Textanalyse) und wieder dort hinführt (Redaktionsgeschichte), nachdem sie die möglichen Phasen der Vorgeschichte eines Textes analysiert hat (Literar-/Quellenkritik, Formgeschichte, Traditionsgeschichte, Begriffs- und Motivgeschichte, religionsgeschichtlicher Vergleich). Auch wenn die synchrone Ebene Ausgangs- und Zielpunkt der Exegese ist, darf die diachrone Analyse nicht als Umweg aufgefasst werden. Vielmehr stellt der Jetzttext immer nur das Endresultat eines Formungsprozesses dar, dessen bestimmende Faktoren analysiert werden müssen, um den vorliegenden Text zu verstehen.
24 Jedes Textmodell beruht auf einer Setzung, durch die Exegese im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt kommunikabel wird; vgl. W. Iser, Der Akt des Lesens, 31990, 87: »Textmodelle stellen heuristische Entscheidungen dar. Sie sind nicht