Karin Schleider

Lese- und Rechtschreibstörungen


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geht davon aus, dass diese in allen Sprachgemeinschaften vorkommende Teilleistungsstörung im Schriftspracherwerb genetisch bedingt ist und nicht Folge von unzureichender Beschulung, Intelligenzminderung oder etwaigen körperlichen, neurologischen oder psychischen Erkrankungen (z.B. Warnke et al. 2002; Schulte-Körne 2002).

      Davon deutlich unterschieden – differentialdiagnostisch abgegrenzt – wird die Lese-Rechtschreibschwäche. Hier geht man von unspezifischen Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb aufgrund von soziokulturellen Bedingungen (z.B. mangelnde Beschulung) oder anderen, etwa organischen Ursachen bzw. Erkrankungen aus (Warnke et al. 2002; Schulte-Körne 2002).

      Auch die Psychologie orientiert sich an der ICD-10 und versteht Legasthenie als eine spezifische Schwäche beim Erlernen des Lesens und / oder Rechtschreibens bei mindestens durchschnittlicher Intelligenz. Damit grenzt sie den Begriff „Legasthenie“ von der durch die Kultusministerkonferenz 2003 eingeführten Bezeichnung „besondere Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens“ ab (z. B. Küspert 142001; Mann 2001). Mann (2001, 192f ) versteht darüber hinaus unter einem Legastheniker eine Person, die anfängliche Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb hat, welche sich dann zu einer Störung verfestigen.

      Ad (2): Im Gegensatz dazu hält die Kultusministerkonferenz an der Bezeichnung „Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben“ fest (KMK 2003). Auch Scheerer-Neumann (2002, 45) wie Valtin (2004, 57) bevorzugen weiterhin diesen von der KMK empfohlenen Begriff der „Lese-Rechtschreibschwierigkeiten“, da dieser ihrer Ansicht nach auf Lernprobleme beim Erwerb einer komplexen kognitiven Fertigkeit hinweist, während die Begriffe „Leseschwäche“ und insbesondere „Legasthenie“ für sie die Konnotation einer überdauernden Eigenschaft haben. Sie halten – trotz der umfänglichen Forschungsergebnisse zur Bedeutung biologischer Bedingungen (Kap. 4) – ein Legastheniekonzept, nach dem normalintelligente Kinder aufgrund ererbter Defekte eine Teilleistungsstörung im Lesen und/oder Schreiben aufweisen, für nicht angemessen.

      Ad (3): Da die Arten von Schwierigkeiten beim Lesen und/oder Schreiben äußerst heterogen und die entsprechenden zugrunde liegenden kognitiven Teilprozesse unterschiedlich beeinträchtigt sind, favorisiert eine Reihe von Autoren die Bildung von Untergruppen nach dem Leistungsprofil der schriftsprachlichen Fertigkeiten. Klicpera et al. (2003) beschreiben die möglichen Kriterien einer solchen Subgruppenbildung :

      • Schwierigkeiten bestehen in verschiedenen Teilbereichen des Lesens und/ oder des Schreibens, z.B. beim Worterkennen bzw. Dekodieren, in der Lesegeläufigkeit, beim Rechtschreiben, beim Leseverständnis oder im schriftlichen Ausdruck;

      • Lesefähigkeit vs. -verständnis: In Anlehnung an die angloamerikanische Unterscheidung zwischen phonologischer und Oberflächendyslexie wird dabei (a) ein phonologischer Subtyp mit Schwierigkeiten bei der phonologischen Informationsverarbeitung (ein Sammelbegriff für Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung von Informationen über die Lautstruktur der Sprache, z. B. Übertragung von einem geschriebenen Wort in eine Kombination von Lauten) und (b) ein orthografischer Subtyp mit Problemen im orthografischen Wissen (also um die korrekte Schreibung) unterschieden;

      • spezifische (zur Intelligenz diskrepante) vs. unspezifische (zur Intelligenz nicht diskrepante) LRS; ferner Defizite in der phonologischen Bewusstheit (d.h. der Fähigkeit, Laute, Silben, Worte und Sätze als 15Bestandteile gesprochener Sprache zu erkennen) bzw. der Benennungsgeschwindigkeit oder ein Defizit in beiden Bereichen (nach Klicpera et al. 2003, 147–157)

      Allerdings ist die Existenz von derlei Kategorien bislang nicht hinlänglich wissenschaftlich belegt. Gegebenenfalls sind dem Phänomen LRS bei der Vielzahl möglicher gestörter Teilprozesse eher neurolinguistische und neuropsychologische Einzelfallanalysen mit entsprechend spezifischen Diagnoseverfahren angemessen – mit dem Vorteil, jeweils einzelfallbezogene, spezifische Trainingsmodule entwickeln zu können. In der Förderpraxis ist dies allerdings kaum umsetzbar.

      Merksatz

      Die im schulischen und pädagogischen Bereich tätigen Fachleute in Forschung und Praxis favorisieren den Begriff der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten oder -schwäche (z.B. Möckel et. al. 2004; Scheerer-Neumann 2002; Thomé 2004). Die im außerschulischen Bereich forschenden und praktisch tätigen Fachkräfte legen ihrem professionellen Handeln zunehmend die Definition der „Lese-Rechtschreibstörung“ (LRS) nach der ICD-10 zugrunde, in der die von der WHO international verbindlichen Diagnosekriterien festgelegt sind. Die Diskussion zwischen beiden Gruppen um die richtige Begriffsdefinition und um das zutreffende Ätiologiemodell dauert indes an.

      Aus Gründen der begrifflichen Eindeutigkeit für die Leser orientiert sich dieser Band an der ICD-10. Die im Folgenden verwendete Abkürzung LRS meint daher nicht die Lese-Rechtschreibschwäche oder Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, sondern die LRS (Lese- und Rechtschreibstörung) nach der ICD-10. Bei Ausführungen zur Lese-Rechtschreibschwäche oder Lese-Rechtschreibschwierigkeiten wird dies entsprechend expliziert bzw. kenntlich gemacht. Eine Untergruppenbildung wird dabei nach unterschiedlichen Aspekten vorgenommen:

      • nach dem Ausmaß der Beeinträchtigung in den beiden wichtigsten Teilprozessen: dem Lesen, insbesondere dem Worterkennen oder der phonologischen Rekodierung, sowie dem Rechtschreiben, insbesondere dem wortspezifischen orthografischen Wissen;

      • nach dem Ausmaß an Schwierigkeiten im Rechtschreiben im Vergleich zum mündlichen Lesen und Leseverständnis bzw. in der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit (Klicpera/Gasteiger-Klicpera 1998).

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