Hynek Burda

Humanbiologie


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in sich.) Das Problem ist, dass die Europäer, die mit den Neandertalern langfristig zusammengelebt haben, weniger und nicht etwa mehr Neandertalergene haben als Chinesen, Inder oder sogar Papuaner, die mit ihnen nie zusammengelebt haben. Dies weist auf eine einzigartige (aber trotzdem erfolgreiche) Hybridisierung unserer Populationen im Nahen Osten ca. 100 tya oder eher auf mindestens zwei Hybridisierungsereignisse hin – eine „nahöstliche“ und eine (geografisch unklare: wann?, wo?) „ostasiatische“, aber merkwürdigerweise keine weitere Hybridisierung in Europa. Als vor ca. 40000 Jahren unsere Vorfahren europäischen Neandertalern begegneten, war es bereits unter ganz anderen Umständen: Damals waren die Neandertaler schon nahe am Aussterben und man kann spekulieren, dass die Kreuzung mit diesen späteren, glazialen Formen nicht mehr möglich war. (Obwohl dies eine reine Spekulation wäre, wenn wir auf der anderen Seite zugeben, dass Kreuzungen mit Schimpansen theoretisch nicht auszuschließen sind; siehe Box 2.1.)

      Eine alternative Erklärung des Vorkommens von „Neandertalgenen“ in den heutigen außerafrikanischen Populationen wäre wieder die unvollständige Linientrennung (Abb. 3.7, Kapitel 2.1.1). Wenn wir uns die kompliziert strukturierte afroeuropäische Population des gemeinsamen Vorfahren der Arten H.sapiens und H.neanderthalensis vorstellen, ist es wahrscheinlich, dass die benachbarten Populationen (z.B. europäische und ostafrikanische) einige Allele teilen, die bei der südafrikanischen Population fehlen. Wenn es dann zur Speziation kommt, welche die neue europäische (H.neanderthalensis) von der afrikanischen Art (H.sapiens) abtrennt, finden wir in einigen Populationen der afrikanischen Art Gene, die sonst zur europäischen Art gehören, ohne dass eine Hybridisierung zwischen beiden neuen Arten stattgefunden hat.

      Abb. 3.7: Ein Modell der unvollständigen Linientrennung zur Erklärung des Vorkommens von Neandertalergenen in einigen Populationen von Homo sapiens. Zwei verwandte Arten können Gene haben, die nur ihnen gehören, falls die Entstehung neuer Allele und die Speziation „in richtiger Folge“ verlaufen sind (oben Entstehung von zwei Allelen eines Gens, „gelbes“ und „blaues“ Allel war mehr oder weniger synchron mit der Entstehung von zwei Arten von Menschen und die Allele haben sich folglich in die Tochterarten getrennt). Aber es muss nicht immer so enden, weil die Evolution der Gene auch komplizierter sein kann, und es muss nicht immer mit dem Verlauf der Artbildung übereinstimmen (unten: beim Neandertaler finden wir das „gelbe Allel“, das sonst typisch für den modernen Menschen ist, wobei es sich aber nicht um die Folge einer zwischenartlichen Hybridisierung handelt, sondern um die unvollständige Trennung genetischer Linien in die Tochterarten).

      Der Unterschied zwischen dem vererbten anzestralen Polymorphismus und der Hybridisierung beruht insbesondere in der Datierung der geteilten Allele. Gegenwärtige Evolutionsmodelle bestätigen, dass die geteilten Allele eher jung sind (ca. 35–85 tya), also tatsächlich für eine Hybridiserungsherkunft sprechen. Auch der Anteil archaischer Gene in den gegenwärtigen afrikanischen Populationen korreliert gut mit dem Anteil der Gene nichtafrikanischer Herkunft. Es handelt sich also eher um Neandertalergene, die nach Afrika zurück eingeschleppt wurden, als um die Folgen der Vermischung mit alten, „vor-modernen“ afrikanischen Populationen. Trotzdem ist es sinnvoll, eine langfristige Koexistenz verschiedener Populationen von Menschen in Afrika (z.B. Lokalität Iwo Eleru in Nigeria) und Teilmischung zwischen ihnen anzunehmen. Evolutionsgenetische Modelle weisen auf eine wahrscheinliche Existenz archaischer „vor-khoisaner“ DNA-Abschnitte in heutigen afrikanischen Genomen hin, insbesondere bei den süd- und ostafrikanischen Khoisan und den zentralafrikanischen Pygmäen. Dabei handelt es sich um DNA-Abschnitte, die wirklich sehr alt sind (mindestens 750 tya, aus der Zeit, die am ehestens dem H.antecessor und den Vorfahren von H.heidelbergensis entspricht). Direkte Beweise vermissen wir jedoch, da es bis jetzt nicht gelungen ist, aus den afrikanischen Fossilien DNA zu gewinnen (vergleiche Box 3.4).

      Box 3.4

      Der Haplotyp A00

      Im Jahr 2012 hat ein afroamerikanischer Mann seine DNA-Probe für eine kommerzielle genealogische Untersuchung an die Gesellschaft Family Tree DNA geschickt. Das Ergebnis war sehr überraschend. Auf diesem Weg ist es gelungen, einen ganz neuen Typ des Y-Chromosoms zu entdecken. Der als A00 bezeichnete neue Haplotyp stellt eine Schwestersequenz von allen anderen bisher bekannten Y-Chromosom-Haplotypen dar, welcher sich vor mehr als 300000 Jahren abgespaltet hat. Die Fahndung nach dem Ursprung dieser Sequenz führte nach Kamerun, wo sie in der landwirtschaftlichen Bantu-Ethnie entdeckt wurde. Und so hat sich wieder gezeigt, dass die Diversität der afrikanischen Menschheit sehr tiefreichend ist. Wenn sich die Datierung des Haplotyps A00 bestätigt, würde es sich um eine Sequenz handeln, die älter ist als der anatomisch moderne Mensch und in die heutigen Bantus wahrscheinlich durch eine Introgression* gelangt ist. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass unweit der heutigen Heimat des Bantu-Stammes Mbo noch vor 13000 Jahren archaische Menschen (Iwo Eleru, Nigeria) lebten, deren Erbe dieser Haplotyp sein könnte.

      *Introgression, introgressive Hybridisierung, Bewegung eines Gens (Genfluss) von einer Spezies in den Genpool einer anderen Spezies durch wiederholte Rückkreuzung des Hybrids mit einem der Elternspezies.

      Eine weitere Hybridisierung fand in Ostasien ca. 40 tya statt – Melanesier, Papuaner und Australier tragen 3–6% Gene „denisovaner“ Herkunft. Dies bedeutet zumindest, dass der rätselhafte „Denisovaner“ keine lokale Erscheinung war und nicht nur in Sibirien vorkam. Von Afrika nach Melanesien wanderte man bestimmt nicht über den entfernten und unwirtlichen Altai (nichtsdestoweniger wurden im Genom eines 40000 Jahre alten modernen Menschen aus der Tianyuan-Höhle in der Nähe von Peking zwar Neandertaler- aber keine Denisova-Gene gefunden).

      Kürzlich zeigte sich, dass wir die Denisova-Gene auch in heutigen Populationen aus Südchina und bei „Negriten“ auf den Philippinen, nicht jedoch in Südostasien, auf der malaysischen Halbinsel, den Großen Sunda-Inseln und nicht auf den Andamanen, und nicht einmal bei den dort ansässigen „Negriten-Stämmen“ finden. Es sieht also nach mindestens zwei Hybridisierungsereignissen aus: ein chinesisches und australo-melanesisches (wobei die Denisova-Gene vom Osten her auf die Philippinen gekommen sind, respektierend die sogenannte Wallace-Linie, d.h. die Grenze zwischen der asiatischen und australischen Fauna). Die Verbreitung von Denisova-Menschen in Asien hatte daher sehr weit sein müssen. Möglicherweise gehören einige uns gut bekannte Skelettreste sogar zu den Denisova-Menschen – und wir wissen nur nicht, dass diese Skelette eigentlich den Denisova-Menschen zugeordnet werden müssen.

      Heute kennen wir zwei deutlich unterschiedliche „Populationen“ von Denisova-Menschen: diejenigen aus Altai und diejenigen unbekannter Herkunft, präsent im Genom heutiger Menschen. Alle „Denisovaner“ zeigen Zeichen der Hybridisierung mit unbekannten archaischen Menschen (wahrscheinlich asiatischer H.erectus), „Denisovaner“ aus Altai hatten darüber hinaus ca. 0,5% Gene von Altai-Neandertalern (Abb. 3.8).

      Abb. 3.8: Ein wahrscheinliches Modell der Genflussereignisse im Spätpleistozän. Gezeigt sind die Richtung und geschätzte Größe des Genflusses. Die Länge der Äste, Position der Gabelungen und damit auch die Zeitmessung ist nicht proportional dargestellt. Die gestrichelte Linie indiziert, dass es unsicher ist, ob der „Denisovaner“-Genfluss zu Homo sapiens in Festlandasien direkt oder via Ozeanien stattgefunden hat. D.I. bezeichnet die Intregression bei Denisova-Menschen, N.I. Introgression der Neandertaler. Das Alter der archaischen Genome schließt die Detektion des Genflusses von modernen Menschen zu archaischen Menschen aus (nach Prüfer et al. 2014).

      Die Entdeckung einer von anderen Menschenarten (Arten?) stammenden DNA in unseren Genomen ermöglicht einen ganz neuen Blick auf uns. Wir tragen in uns Stücke lange ausgestorbener Wesen. (In dieser Hinsicht sind wir aber keine Ausnahme. Der europäische Wisent ist wahrscheinlich ein Hybrid vom Auerochsen, also dem wilden Vorfahren unserer Kühe und irgendeinem ausgestorbenen Bison aus der Eiszeit. Dass Wisente in sich Gene von Auerochsen tragen, ist nicht so einzigartig, jeder Kuhstall ist voll von Auerochsgenen, aber Gene glazialer Bisons sind bis heute in keiner anderen Form als im Genom der Wisente erhalten geblieben. In letzter Zeit scheint es, dass sehr viele Arten eigentlich zwischenartliche Hybriden sind, und Homo sapiens gehört einfach in diese Kategorie.) Die einzelnen heutigen