Hynek Burda

Humanbiologie


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die europäische Solutréen-Kultur war nicht maritim. Präkolumbische Kontakte Europas und Amerikas sind unbestritten. Auch wenn eine dauerhafte Wikinger-Besiedlung von Grönland, Neufundland und Labrador (Vinland) letztendlich gescheitert ist, dauerten die Kontakte zwischen Nordeuropa und Nordamerika ca. 400 Jahre an. Bis heute werden sie durch die Existenz des amerikanischen mitochondrialen Haplotyps C1 auf Island belegt.

      Das neu entschlüsselte Genom eines Jungen, der vor 24000 Jahren in der Lokalität Mal’ta am Baikalsee begraben wurde (es handelt sich um das älteste komplett gelesene Genom des modernen Menschen), verbindet die Eigenschaften der Europäer und Westasiaten mit Genomen ursprünglicher Amerikaner, also nicht mit gegenwärtigen ostasiatischen Genomen – dies würde an die gemischte Herkunft heutiger Amerikaner deuten: Genetische (im Mal’ta Genom erhaltene) westeurasiatische Elemente sind mit den ostasiatischen verbunden. Der alte Weg von Europa nach Amerika führte ja über Sibirien und Beringia, nicht über den Atlantik.

      Wir kennen auch Indizien, die Südamerika mit Polynesien verbinden (präkolumbische Bataten südamerikanischer Herkunft, verschiedene kulturelle Übereinstimmungen), aber nichts deutet darauf hin, dass die Bevölkerung dieser Regionen auch genetische Übereinstimmungen aufweisen würde.

      Der „polynesische“ mitochondriale Haplotyp, neulich bei den ausgestorbenen Botokuden in Ostbrasilien gefunden, bleibt rätselhaft – die Botokuden lebten zu weit östlich, um direkte Kontakte mit den Polynesiern anzunehmen; das polynesische Motiv ist aber auch zu jung und wenig variabel um ihr Einwandern über die klassische Route durch asiatische Vorfahren der Polynesier über die Paläoindianer asiatischer Herkunft bis nach Brasilien anzunehmen, sodass nur noch die Variante einer rezenten Ankunft der „polynesischen DNA“ aus Madagaskar nach Brasilien mit Sklavenhalterschiffen infrage kommt.

      Die ursprüngliche amerikanische Population ist genetisch sehr verarmt, wobei die genetische Variabilität südwärts und ostwärts weiter sinkt. Das Alter der amerikanischen Population ist schwer einzuschätzen. Die älteste, gut bekannte nord- und mesoamerikanische Kultur ist die Clovis-Kultur (11–13 tya), aber die ältesten bekannten Siedlungen sind noch etwas älter (Monte Verde in Chile und Buttermilk Creek in Texas, ca. 15 tya; Meadowcroft in Pennsylvanien, 16 tya), was auf die Ankunft von Menschen in Amerika 16–20 tya hinweisen würde. Ältere Funde (bis 40 tya) sind eher unglaubwürdig. Die molekulare Uhr indiziert zwar eine ältere Trennung amerikanischer und asiatischer Haplotypen (40 tya), sagt aber nichts darüber aus, wo diese Trennung stattgefunden hat. Die fossile DNA eines Menschen der Clovis-Kultur in der nordamerikanischen Lokalität Anzick (Montana), 12000 Jahre alt, zeugt von einer eindeutigen Zugehörigkeit zu den heutigen amerindischen Populationen, wobei sie den heutigen südamerikanischen Amerinden näher steht. Dies zeigt, dass in dieser Zeit die amerindische Population schon ausgeprägt strukturiert war, was der Vorstellung von der Besiedlung Amerikas durch die Vorfahren heutiger Amerinder schon mehrere Tausend Jahre vor der Clovis-Kultur entspricht.

      Die Amerinden (einschl. DNA aus Anzick) stellen eine genetisch spezifische, isolierte und homogene Population dar, während wir bei den mit eskimo-aleutischen und Na-Dené Sprachen sprechenden Ethnien einen ausgeprägten (und südwärts steil sinkenden) Anteil von Genen finden, die diese sich mit den Bewohnern Sibiriens und insbesondere den arktischen Regionen Nordostasiens (Kamtschatka, Tschukotka) teilen. Die Vermischung amerindischer und arktischer Populationen im Norden Nordamerikas ist offensichtlich ziemlich rezent: Eine alte, aus einem 4000 Jahre alten in Westgrönland gefundenen Haar (Saqqaq-Kultur) isolierte DNA zeigt eine viel nähere Verwandtschaft mit den heutigen Bewohnern aus der Tschuktschen-Halbinsel und Kamchatkas, als mit den heutigen Inuit aus demselben Gebiet. Auch unter dem sprachlichen Gesichtspunkt repräsentieren die ursprünglichen Amerikaner mindestens drei selbstständige Kolonisationen: amerindische Sprachen unklarer Herkunft, eskimo-aleutische Sprachen, vielleicht entfernt eurasiatischen Sprachen verwandt, und die Na-Dené Sprachen, die nah den Jenissei-Sprachen und fern den sino-tibetischen Sprachen anzusiedeln sind (Kapitel 4.7.2 und 4.7.4).

      Die Quelle aller Wellen der Besiedlung Amerikas war Beringia, eine durchgängige Landbrücke am Nordrand des heutigen Beringmeers, also zwischen Nordamerika und Sibirien während des letzten Glazialmaximums (Abb. 3.9, 3.10 und 3.14). Beringia war ein bedeutendes Refugium von Grastundra, das von Asien und Amerika durch Gletscher getrennt wurde. Von dort aus verbreiteten sich die Menschen wahrscheinlich durch zwei Migrationskorridore nach Nordamerika und weiter nach Süden – einer führte entlang der Pazifikküste, der andere durch das nicht vereiste Inland zwischen dem Kordilleren- und dem Laurentidischen Eisschild.

      Abb. 3.14: Beringia. Dunkelgrün dargestellt ist das Ausmaß des heutigen Festlands. Heller gefärbt sind die Küstenlinien während der glazialen Kältezeiten (nach Balter et al. 2013).

      Nach dem Verlassen von Beringia gelang die Kolonisierung Amerikas ziemlich schnell – für den Weg vom fernsten Norden (Alaska) bis zum fernsten Süden (Feuerland) über eine Fülle von diversen Habitaten benötigten die ersten Amerikaner weniger als 2000 Jahre. Die amerikanische Population ist genetisch verarmt und sehr homogen, wobei die genetische Variabilität süd- und ostwärts weiter sinkt. Genomische Daten zeigen eine ansehnliche Korrelation der genetischen und sprachlichen Beziehungen (Amerinden × Na-Dené × Eskimo-Aleuten, vergleiche Kapitel 4.7.2 und 4.7.4; siehe auch Box 3.7.

      Box 3.7

      Spätere Migrationen

      Bis jetzt haben wir uns damit beschäftigt, was auf Englisch als „peopling“ bezeichnet wird, also der Besiedlung der durch Homo sapiens noch nicht bewohnten Areale. Dieser Prozess kulminierte mit der Besiedlung von Madagaskar (um die Jahreszahlwende, wahrscheinlich ca. 400 n.Chr.), Hawaii (300–500 n.Chr.) oder Neuseeland (1200–1300 n.Chr.). Die Ausbreitung der Menschheit über die Erde ist dadurch aber nicht zum Stoppen gekommen. (Es ist etwas absurd von der „Entdeckung Amerikas“ durch Christoph Columbus 1481 zu sprechen – analog hat der Autor dieser Zeilen 2012 Leipzig entdeckt – in beiden Fällen war der „Entdecker“ vorher nie dort, aber einige Menschen hatten dort vorher schon gewohnt.) Manche der bedeutenden Migrationen wurden hier schon erwähnt (Bantu-Expansion nach Ost- und Südafrika, austronesische Expansion nach Indonesien, Ozeanien und Madagaskar, außerordentlich komplizierte Geschichte der Bevölkerung vom Mittelmeerraum bis nach China, die durch die Populationspulse von zentralasiatischen Hirtenethnien getrieben wurde). Die Mechanismen der Expansionen können ganz unterschiedlich sein – erwähnenswert ist die ganz wesentliche Änderung der genetischen und Kulturkarte der Welt in den letzten 500 Jahren, die mit dem Kolonialismus (Besiedlung europäischer Herkunft in Amerika, Australien, Neuseeland, Südafrika) oder mit der Sklaverei zusammenhängt. (Die unfreiwillige Bantu-Expansion nach Amerika war – aus dem evolutionären Gesichtspunkt eigentlich sehr „erfolgreich“: Im 16.–19. Jahrhundert wurden dorthin 10–12 Millionen Bantus verfrachtet, vor allem aus Westafrika, vom Senegal bis nach Angola, obwohl aus Afrika angeblich ursprünglich 40–100 Millionen Menschen verschifft wurden, was sich in der Populations- und möglicherweise auch technologischen Stagnation von Subsahara-Afrika bemerkbar gemacht hat.)

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