erfordern (vgl. Tomczak 1992 oder Ulrich 1984). Typischerweise war dies, wie später zu zeigen sein wird, gerade auch bei der Definition des Begriffes Tourismus der Fall: Die |19◄ ►20| Notwendigkeit, exakte Definitionen für die Erforschung beispielsweise der wirtschaftlichen Effekte des Tourismus zu haben, führte zur Notwendigkeit, die Definition von „Tourismus“ laufend zu verfeinern.
Bei der Modellbildung im Tourismus stand immer der Systemansatz im Vordergrund (vgl. auch Kaspar 1996, 11ff.; zur Systemtheorie allgemein Ulrich 1968, 105ff., Goeldner/Ritchie 2008, Müller 2007, Kozak/Gnoth/Andreu 2009). Waren die ersten Arbeiten zur Tourismusforschung von einfachen Ursache /Wirkungsparadigmen geprägt, wurde aufgrund der Komplexität des Phänomens und seiner breiten Definition schon bald eine Darstellung als Netzwerk Standard. Wesentliche Erweiterung fand dieses Modell durch seine Dynamisierung mit der quantitativen Analyse dieser Wechselwirkungen inkl. Selbstverstärkungseffekten in Form von Papiercomputern (vgl. u.a. Müller 1986) oder Sofware zur Berechnung von systematischen Wechselwirkungen wie im Bereich der sozialen Netzwerkanalyse (vgl. u.a. Scott et al. 2008).
EVOLUTION DER TOURISMUSFORSCHUNG
Aufgrund der vielschichtigen Bedeutung des Tourismus und seiner wichtigen didaktischen Funktion als Studienobjekt sind schon früh Standardwerke für die „Tourismuslehre“ entstanden. Mit der gleichzeitigen, 1942 erfolgten frühen Gründung von zwei Forschungsinstituten an den Universitäten Bern und St. Gallen nahm die Schweiz eine gewisse Pionierfunktion ein. Obwohl im englischsprachigen Raum (vgl. u.a. Goeldner/Ritchie/McIntosh 2000) und auch im deutschsprachigen Raum (vgl. Freyer 1993) Standardwerke zum Thema Tourismus erschienen sind, lassen sich aufgrund der lückenlosen Historie die Entwicklungsschritte der Tourismusforschung idealtypisch an den in der Schweiz erschienenen Standardwerke nachvollziehen:
• Hunziker/Krapf 1942: Grundriss der Allgemeinen Fremdenverkehrslehre: Wesentlicher Beitrag zur Definition und zur Strukturierung des Phänomens Tourismus, erste moderne Tourismusdefinition und Strukturierungsansätze zur Nachfrage und zum Produkt.
• Kaspar 1975: Die Fremdenverkehrslehre im Grundriss: Wesentlicher Beitrag zur Modellbildung im Tourismus auf der Basis der Systemtheorie, Entwicklung der Grundlagen für eine systemorientierte Betrachtung des Phänomens Tourismus.
• Krippendorf 1986: Alpsegen – Alptraum: für eine Tourismus-Entwicklung im Einklang mit Mensch und Natur: Wesentlicher Beitrag im Sinne eines explorativen bis präskriptiven Ansatzes, Aufzeigen der Entwicklung im Tourismus unter Nutzung systemorientierter Modelle mit Warncharakter |20◄ ►21| und Ansätzen für eine neue Tourismusentwicklung. Zudem werden die Tourismussysteme dynamisiert.
• Müller 1997: Freizeit und Tourismus – Einführung in Theorie und Politik: Wesentlicher aktualisierter Beitrag unter Einbezug des Phänomens Freizeit.
Abbildung 1: Differenzierung des vorliegenden Buches – Entwicklung der Tourismusforschung
Das hier vorgelegte Buch folgt diesen Entwicklungslinien. Im Sinne der St. Galler Tradition soll auf systemischen Grundlagen ein Fach- und Lehrbuch für Praxis und Unterricht geboten werden. Mit einer überblickbaren Zahl von Konzepten, Modellen und Strukturen soll eine Grundlage für die wissenschaftliche Analyse und Interpretation der Erscheinungen der Praxis geschaffen werden. Gleichzeitig legt es jedoch Wert auf den Einbezug moderner theoretischer Grundlagen.
In diesem Sinne versucht es, an die Tourismuslehre im Grundriss von Prof. Dr. h.c. C. Kaspar, die im Zeitraum von 1975 und 1996 in fünf Auflagen erschienen ist, anzuknüpfen. Es unterscheidet sich von seinem „Vorgängerwerk“ durch
• den Fokus auf die immer wichtigeren Veränderungs- und Transformationsprozesse,
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• die in der Folge theoretische Orientierung an der Systemlehre der „dritten Generation“ mit dem Konzept der selbstreferentiellen Systeme, die sich in ihrer Struktur ständig verändern,
• die Betonung des wissenschaftlichen Arbeitens im Tourismus.
Die entsprechende Positionierung des Buches ist auf dem Hintergrund der Entwicklung der Systemtheorie (vgl. Abschnitt 3.5) zu sehen. Es will in diesem Sinne die Grundlagen für ein neues konzeptionelles Verständnis für die Tourismusforschung und Tourismuspraxis legen und eine neue, aktualisierte modelltheoretische Grundlage für den Tourismus schaffen.
1.2. Aufbau des Buches
Dieses Buch legt großen Wert auf die Modellbildung und deren forschungsbasierte Überprüfung. In dieser Einführung wird deshalb bereits auch eine vereinfachte Übersicht zur Methodik in der anwendungsorientierten Forschungsarbeit gegeben. Danach soll in Kapitel 2 das Phänomen Tourismus sauber definiert und in seinem Wirkungsrahmen in Praxis und Theorie abgegrenzt werden. Kapitel 3 legt die Modellgrundlage in Form eines „selbstreferentiellen“ Tourismussystems dar. Die nachfolgenden Kapitel behandeln die einzelnen Subsysteme mit ihren Wechselwirkungen.
Kapitel 8 aggregiert die Erkenntnisse der Analyse der einzelnen Subsysteme, indem die Wechselwirkungen des System Tourismus als ganzes zu seinen Umwelten beschrieben werden. In Kapitel 9 werden auf dieser Grundlage Erkenntnisse zur Entwicklung des Tourismus und zu deren Steuerung mit den Instrumenten der Tourismuspolitik aufgezeigt.
Im Sinne eines forschungsorientierten Buches werden in jedem Kapitel in Form eines Kurzfalles konkrete, anwendungsorientierte Forschungsprojekte dargestellt. Diese sollen die Praxis zu Anwendung wissenschaftlicher Methoden animieren und relevante Resultate aufzeigen. Für den Unterricht und die Theorie sollen sie Beispiele für den Aufbau eigener Projekte, beispielsweise auch für Seminar- und Diplomarbeiten sein.
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Abbildung 2: Aufbau des Buches
1.3. Wissenschaftliche Methoden der Tourismusforschung und des Tourismusmanagements
Die Tourismuspraxis ist in den traditionellen Tourismusländern Europas durch eine außerordentliche Kleinstrukturiertheit geprägt. Entsprechend fehlten die notwendigen konzentrierten Mittel für die Entwicklung von modernen Managementkonzepten, die Durchführung von professionellen Forschungsarbeiten beispielsweise zu Fragestellungen des Konsumentenverhaltens oder auch für die Anstellung wissenschaftlich ausgebildeter Manager (zu den typischen KMU-Spezifika vgl. u.a. Pleitner 1991 oder im Tourismus Weiermair/ Wöhler 1998, aktuell auch Fueglistaller 2008). Wie in vielen ähnlichen Branchen (vgl. Landwirtschaft oder vor ca. einer Generation der Finanzbereich) entwickelte sich deshalb eine gewisse Skepsis der Praxis gegenüber wissenschaftlicher Vorgehensweise und Arbeitsweise. Oft wurde sogar bewusst in der politischen Diskussion eine Kluft zwischen Theorie und Praxis postuliert (vgl. auch Bieger 2000b).
Eine ganz andere Entwicklung nahm die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis z.B. in Nordamerika. Die schwächere Bindung zum Standort|23◄ ►24| und zum Wohnort und entsprechend die geringere Bereitschaft der Unternehmer, an wenig einträglichen Tourismusanlagen festzuhalten, erleichterte die Konsolidierung einer fragmentierten Branche. So wurden in den 90er Jahren beispielsweise eine große Zahl von Skigebieten von den Gründern aufgrund der lukrativen Angebote der damals auftauchenden Skigebietskonzerne, wie der American Skiing Company oder Intrawest, verkauft. Oft wurden auch die Tourismusanlagen erst später und damit bereits von großen Konzernen entwickelt. Weniger geeignete Standorte werden oft schlicht aufgegeben. Dies führt zu einer fortschreitenden Professionalisierung und größeren Unternehmensstrukturen. Dies wiederum erlaubt grössere Investitionen in Konzepte, in Forschung und Management. Die große Zahl von Universitäten und Colleges, die im Tourismus aktiv sind, sind ebenfalls Zeichen dieser Entwicklung. Wissenschaftliches Arbeiten ist nicht Selbstzweck. Wissenschaftliches Arbeiten ist eine Arbeitsweise, die sich auszeichnet durch (vgl. u.a. auch Booth/Colomb /Williams 1995; Theisen 1998, Yin