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Qualitative Medienforschung


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und Aneignung in der Lebenswelt und um die Rolle, die sie im Alltag der Menschen spielen. Denn: »Nicht das Medium ist die Message, sondern seine Rolle in der sozialen Anwendung« (Hienzsch/Prommer 2004, S. 148). Medien leisten einen wesentlichen Beitrag »zur gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit« (Peltzer/Keppler 2015, S. 14). Sie sind Teil der sozialen und kulturellen Praxis der Menschen. Qualitative Medienforschung folgt damit dem Anspruch, den Flick, von Kardorff und Steinke (2015, S. 14) generell für qualitative Forschung markiert haben: »Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten ›von innen heraus‹ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen.« Die Offenheit für die Erfahrungen der Menschen ist ein wesentliches Merkmal dieser Forschung. Das unterscheidet sie von der quantitativen Forschung, die auf generalisierbare Merkmale Wert legt und nicht in die Tiefenstruktur sozialer Wirklichkeit eindringt.

      Qualitative und quantitative Medienforschung werden von uns jedoch nicht als Gegensätze begriffen, die sich ausschließen. Beide Verfahrensweisen haben ihre erkenntnistheoretischen und empirischen Möglichkeiten und Grenzen. Daher ergänzen sie sich (→ Flick, S. 18 ff.). Während die quantitative Forschung in der Lage ist, statistisch verwertbare Daten zu liefern, z. B. über den Medienkonsum in Form des Marktanteils von Fernsehen, Zeitungen oder Zeitschriften, kann die qualitative Forschung Auskunft über tieferliegende Motive und Strukturen der Mediennutzung liefern, da sie mit ihren Verfahren den Alltag und die Lebenswelt der Mediennutzer »von innen heraus« zu verstehen sucht. Sie hat ihren eigenen Stellenwert. Qualitative Forschung passt die Methoden ihren Fragestellungen und zu untersuchenden Gegenständen an. Bei ihr stehen nicht große Zahlen und Datenmengen im Mittelpunkt, sondern sie sieht ihre Aufgabe darin, kleinere Fallzahlen intensiv auszuwerten (→ Baur/Lamnek, S. 290 ff.). Die Reflexivität bezüglich der Methoden, der Subjektivität des Forschers, des Forschungsprozesses und der Darstellung der Ergebnisse zeichnet sie aus. Charakteristisch für die qualitative Medienforschung ist nicht nur ein häufig theoretisch interdisziplinärer Ansatz, sondern ebenso methodische Integration. Die Begrenztheit bzw. Reichweite ihres methodischen Ansatzes ist qualitativen Forschern bewusst, eine Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren schließen sie in ihren Untersuchungen von komplexen Kommunikations- und Medienphänomenen nur selten aus.

      Die qualitative Medienforschung hat seit den 1980er Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Zwar werden qualitative Methoden der Datenerhebung und Datenauswertung in zahlreichen Studien, die sich mit der Nutzung und Aneignung von Medien befassen, eingesetzt, doch können sie weder in der traditionellen Publizistik- und Kommunikationswissenschaft noch in der sich weitgehend analytisch und theoretisch definierenden Medienwissenschaft als etabliert gelten. Ihr umfassender Einsatz findet eher in Disziplinen wie Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sprachwissenschaft und Soziologie statt, die auf eine längere Tradition qualitativer Forschung zurückblicken können. Erst in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts haben sich einige Vertreter der Kommunikationswissenschaft mit qualitativen Methoden auseinandergesetzt (vgl. Averbeck-Lietz/Meyen 2016; Meyen/ Löblich/Pfaff-Rüdiger/Riesmeyer 2011).

      Wie sinnvoll qualitative Verfahren in der Medienforschung sind, zeigt sich beispielsweise im Rahmen medienpädagogischer Forschung, die sich mit der Untersuchung kindlicher Mediennutzung beschäftigt (→ Paus-Hasebrink, S. 276 ff.). Hier kommt man mit standardisierten Untersuchungen nicht weit, methodische Kreativität ist gefordert. Eine wichtige Methode bei der Untersuchung von kindlichem Medienumgang und kindlicher Mediennutzung sind neben teilnehmender Beobachtung und verschiedenen Spielformen, in denen Themen aus den Medien, insbesondere dem Fernsehen, zum Gegenstand gemacht werden, vor allem Kinderzeichnungen (→ Neuß, S. 380 ff.). Wenn Kinder ihre Medienerlebnisse und -erinnerungen bildlich darstellen, haben Forscher manchmal Schwierigkeiten, sie auf den ersten Blick zu verstehen. Denn für die Kinder sind an den Bildern auch Dinge wichtig, die dem Auge des erwachsenen Betrachters ohne Erklärung verborgen bleiben. Ist einmal mithilfe der Kinder ein Zugang gefunden, lassen sich zahlreiche Hinweise auf den Medienalltag der Kinder, ihre häusliche Umgebung sowie die Strukturen der Familien, in denen die Kinder aufwachsen, finden.

      Qualitativer Medienforschung geht es vor allem darum, das Medienverhalten und den Umgang mit Medien in seiner ganzen Komplexität zu erfassen oder, wie es Dieter Baacke und Hans-Dieter Kübler einmal formuliert haben, »die Ganzheit einer Kommunikationssituation ins Auge zu fassen«, denn: »Nicht die präzise Isolation von Variablen zur methodisch sauberen Erfassung ist das primäre Ziel dieses Ansatzes, sondern eine möglichst angemessene Annäherung an die Wirklichkeit« (Baacke/Kübler 1989, S. 5). Dazu dürfen keine künstlichen Laborwelten geschaffen werden, sondern die Forscher gehen in den Alltag der Menschen, um die dort vorhandenen Muster und Strukturen zu beschreiben, zu analysieren und zu erklären.

      Qualitative Medienforschung ist nicht gleich qualitative Medienforschung. So unterscheiden sich in den entsprechenden Studien nicht nur der Bezug zu den Medien und die Methoden der Datenerhebung, die Arten der Datenaufzeichnung und die Strategien der Auswertung. Auch der Forschungskontext und die damit verbundene Absicht divergieren. Drei Arten können in diesem Sinne idealtypisch unterschieden werden:

      Angewandte Medienforschung, die von zahlreichen Instituten im Auftrag von Fernsehsendern oder anderen Medieninstitutionen durchgeführt wird. Sie ist im Wesentlichen auf schnelle Verwertung angelegt, steht sie doch im Dienste der Programmplanung. Moderationsformen, Sendungskonzepte und Serien werden mit qualitativen Methoden getestet. Dabei bleibt selten Zeit, sich grundlegenderen Forschungsfragen zu widmen.

      Grundlagenforschung, die sich im Wesentlichen auf grundsätzliche Fragen der Mediennutzung konzentriert und von Universitäten und Forschungseinrichtungen wie zum Beispiel dem Deutschen Jugendinstitut oder dem Hans-Bredow-Institut geleistet wird.

      Angewandte medienpädagogische Forschung, die von einigen Instituten wie zum Beispiel dem Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF) in München sowie von einigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Auftrag vor allem der Landesmedienanstalten durchgeführt wird. Daher konzentriert sich das Forschungsinteresse hier auf medienpädagogische Probleme und Fragen des Jugendschutzes.

      In der Medienforschung haben qualitative Verfahren ihren eigenen Stellenwert, der sich nicht aus der Konkurrenz zur quantitativen Forschung ergibt, sondern aus den ihnen zugrunde liegenden Forschungsfragen und den je spezifischen Forschungsabsichten, die lebensweltliche Einbindung und sinnhafte Deutung zu entdecken versuchen. Und sie haben ihre eigenen Gesetze von Repräsentativität, die sich weniger an großen Fallzahlen orientieren als vielmehr an der Intensität des Forschungsprozesses und der Überprüfbarkeit der Ergebnisse. Qualitative Medienforschung erschöpft sich nicht allein in der Anwendung so genannter qualitativer Forschungsmethoden. Dahinter steht vielmehr eine grundsätzlich andere Haltung dem Forschungsprozess und den erforschten Menschen gegenüber. Denn es geht in erster Linie darum, das Medienhandeln der Menschen in alltäglichen Strukturen zu verstehen und seine Bedeutung in lebensweltlichen Zusammenhängen nachzuzeichnen (→ Sander/Lange, S. 183 ff.; → Eichner, S. 112 ff.; → Hasebrink/Hepp, S. 164 ff.; → Mikos, S. 146 ff.; → Röser/Müller, S. 156 ff.). Dazu gehört, dass man die Zuschauer, auch die kindlichen und jugendlichen Zuschauer, in ihrem alltäglichen Verhalten ernst nimmt und sich auf sie einlässt. Denn in der qualitativen Forschung können Ergebnisse nur gemeinsam mit den Untersuchten erzielt werden.

      Qualitative Medien- und Kommunikationsforschung ist nicht der »Königsweg«. In Zeiten pluraler Lebenswelten kann es den auch nicht geben – sie bietet aber verschiedene Möglichkeiten und Wege, sich der Wirklichkeit gesellschaftlicher Kommunikationsverhältnisse und dem alltäglichen Medienumgang zu nähern. Qualitative