Группа авторов

Qualitative Medienforschung


Скачать книгу

S. 580 ff., → Winter, S. 588 ff.) sowie mit einem Selbstverständnis der Forscher zu sehen, die davon geleitet werden, den Gegenstand ihrer Forschung, die handelnden Subjekte in ihren alltäglichen Lebensäußerungen zu verstehen. Denn der Gegenstand der Forschung ist die subjektive Deutung von medialen Kommunikationsverhältnissen und kulturellen Praktiken, die in ihrem Sinn für die Zuschauer, Nutzer bzw. das Publikum sinnhaft zu verstehen sind. Da generalisierte Medien der Lebenswelt verhaftet bleiben und kulturelle Praktiken nur im Rahmen von Sozialwelten denkbar sind, muss sowohl der Kultur als auch der Alltagsund Lebenswelt der handelnden Subjekte in der qualitativen Medienforschung große Bedeutung beigemessen werden. Qualitative Forschung ist eine Form kommunikativer Praxis.

      Die Geschichte qualitativer Medien- und Kommunikationsforschung in Deutschland zeigt, dass sie – sind diese Prämissen erfüllt – auch eine gewisse Bedeutung erlangt. Noch trifft das kaum auf die klassische Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zu, auch wenn sich dort im Jahr 2016 ein Netzwerk Qualitative Methoden gegründet hat. Größere Bedeutung hat sie in der medienpädagogischen Forschung, der sprachwissenschaftlichen und linguistischen Medienforschung sowie der wissenssoziologischen Medien- und Kulturforschung erlangt. Die Rezeption der so genannten »British Cultural Studies« in der Medienwissenschaft hat einen wesentlichen Beitrag zur qualitativen Wende der Medienforschung geliefert, da ethnographische Verfahren in den Cultural Studies eine wesentliche Rolle spielen. Zugleich gehen die Cultural Studies (→ Winter, S. 86 ff.) von einem theoretischen Selbstverständnis aus, das ähnlich wie in der Handlungs- bzw. Aktionsforschung Partei für die handelnden Subjekte ergreift. Arbeiten der Cultural Studies zielen darauf ab, die kulturellen und sozialen Praktiken der handelnden Subjekte nicht nur sinnhaft zu verstehen und deutend zu interpretieren, sondern diese Praktiken zugleich zu kontextualisieren, d.h. sie in den Zusammenhang von ökonomischen, sozialen, politischen und anderen Strukturen zu stellen. Grundlage ist dabei aber immer, dass es die Forschenden mit symbolischen Äußerungen und Handlungen der Subjekte zu tun haben, mit einem von den Subjekten selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe, das es nicht zu entschlüsseln gilt, wie häufig fälschlich angenommen wird, sondern das es sinnhaft zu verstehen gilt. Der Anthropologe Clifford Geertz hat deshalb für den Prozess der ethnographischen Forschung gefordert, die Bedeutungsstrukturen, in die Menschen verstrickt sind, herauszuarbeiten und anschließend eine »dichte Beschreibung« dieser Strukturen zu liefern (Geertz 1987). Dabei geht es nicht allein darum, die beobachteten kulturellen und sozialen Praktiken in eine konsistente Interpretation und kohärente, ethnographische Erzählung (→ Winter, S. 588 ff.) zu verwandeln, sondern auch die Inkonsistenzen anzuerkennen. In seinem Grundlagenwerk zur interpretativen Soziologie, die viele Gemeinsamkeiten mit dem Projekt der Cultural Studies aufweist, hat Anthony Giddens (1984, S. 181; H. i. O.) auf diesen Aspekt besonders hingewiesen: »Was aber für Konsistenzen innerhalb von Bedeutungsrahmen gilt, trifft auch auf Inkonsistenzen und auf strittige oder umkämpfte Bedeutungen zu, d.h. diese müssen ebenfalls hermeneutisch verstanden werden.«

      Gerade deshalb hat Lawrence Grossberg (1994) für die Cultural Studies auch gefordert, sich durch Theorien nicht den Blick auf die alltäglichen Praktiken der Subjekte verstellen zu lassen, sondern die alltäglichen Praktiken als Anregung für die Theorieentwicklung zu begreifen. Für die qualitative Medienforschung heißt dies, ihre Methoden dem Gegenstand anzupassen, offen für die Erfahrungen der untersuchten Menschen zu sein, um so Anregungen für die Theorieentwicklung zu erhalten und weitere empirische Forschungen zu generieren.

      Das Ziel, kulturelle und soziale Praktiken zu verstehen, oder anders ausgedrückt: das Alltagsleben und die Sozialwelt in ihrem sinnhaften Aufbau für die handelnden Subjekte – und damit die verschiedenen Medienpublika – zu verstehen, bedeutet für die qualitative Forschung eine eigenständige Etablierung und einen gleichberechtigten Platz neben der quantitativen Forschung. Für die Medienforschung heißt dies insbesondere, dass qualitative Forschung nicht nur als methodisches Vorgehen, sondern als sozial- und kulturwissenschaftliches Verfahren der Erkenntnisgewinnung und als theoretisches Selbstverständnis einen besonderen Stellenwert erhält. Dies gilt umso mehr, als Medien und Medienprodukte ihre Bedeutung erst im alltäglichen Handeln und der sozialen und kulturellen Praxis der Menschen entfalten (→ Eichner, S. 112 ff.; → Ganguin/Sander, S. 175 ff.; → Hasebrink/ Hepp, S. 164 ff.; → Keppler, S. 77 ff.; → Krotz, S. 94 ff.; → Meyen, S. 104 ff.; → Mikos, S. 146 ff.; → Röser/Müller, S. 156 ff.).

      Qualitative Medienforschung ist weitgehend mit qualitativer Rezeptionsforschung gleichgesetzt worden (→ Peltzer/Neumann-Braun, S. 122 ff., → Prommer, S. 249 ff.). Die Analyse der Produktion (→ Kübler, S. 237 ff.) sowie von Produkten, Texten und Diskursen erlebt in der Medienforschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung. Das mag damit zusammenhängen, dass insbesondere die strukturalistische Variante der qualitativen Forschung ganz im Sinne quantitativer, aber auch qualitativer Inhaltsanalyse bemüht ist, einen manifesten oder latenten Sinn in medialen Produkten oder Texten ausfindig zu machen (→ Mayring/Hurst, S. 494 ff. und Wegener, S. 200 ff.). In der Folge poststrukturalistischer Debatten und als Konsequenz interaktionistischer Konzepte hat sich in Teilen der Medienwissenschaft und in den Cultural Studies ein anderer Textbegriff durchgesetzt, der davon ausgeht, dass Texte keine freizulegende Bedeutung haben, sondern dass sie erst im Rahmen sozialer und kultureller Diskurse Sinn machen. Daher bedarf die Medienanalyse auch der Erweiterung in eine Diskursanalyse (→ Diaz-Bone, S. 131 ff.).

      Ein Problem ist dabei nach wie vor, dass es die Analyse von medialen und populärkulturellen Texten nicht nur mit diskursiven, sondern auch mit präsentativen Symbolen zu tun hat (→ Bullerjahn, S. 534 ff., Eichner, S. 524 ff., Korte, S. 432 ff.). Es gilt also nicht nur Sprache und Schrift zu analysieren (→ Ayaß, S. 421 ff.), sondern vor allem die Bilder in ihrem Zusammenspiel mit Tönen, Sound, Sprache, Schrift und Musik. Im Ansatz der »struktur-funktionalen Film- und Fernsehanalyse« wird dies miteinander verbunden (→ Mikos, S. 516 ff.). Im Mittelpunkt der Analyse steht nicht die Frage, welche Bedeutung der Inhalt von Filmen oder Fernsehsendungen hat, sondern in welcher Weise sich Inhalt, Narration und formale Gestaltung von medialen Produkten mit dem Wissen der Zuschauer und den sozialen und kulturellen Diskursen verbinden, um so audiovisuelle Produkte auch wirklich als Material symbolischer Kommunikation im Rahmen des Alltags und der Lebenswelt der als Zuschauer handelnden Subjekte sinnhaft verstehen zu können (vgl. Mikos 2015).

      Patentrezepte und einfache Lösungen gibt es sicher nicht: Die qualitative Medien- und Kommunikationsforschung muss anhand ihrer Gegenstände ihr innovatives und kreatives Potenzial entfalten, um neue methodische Wege einzuschlagen. Dann kann sie ihre Ergebnisse verfeinern, weil sie noch näher am Alltag ist, ihre Untersuchungsobjekte noch ernster nimmt und mit ihnen in einen intensiven kommunikativen Prozess tritt. Qualitative Medienforschung richtet den genauen Blick auf die alltäglichen