Andreas Kagermeier

Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt


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nach MASLOW,

      2 das Konzept der Lebensstile und

      3 die Ansätze zur Erlebnisorientierung.

      Die Bedürfnispyramide nach Maslow

      Bedürfnispyramide nach MaslowAusgangspunkt des sozialpsychologischen Konzepts der Bedürfnispyramide von MASLOW (1943) ist, dass Bedürfnisse der Ausgangspunkt menschlichen Handelns sind. Dabei gibt es eine klare hierarchische Abfolge von (physiologischen) Grundbedürfnissen, Sicherheitsbedürfnissen, sozialen Bedürfnissen, Wertschätzungsbedürfnissen und Selbstverwirklichungsbedürfnisse (vgl. Abb. 9). Priorität haben die grundlegenden Bedürfnisse. Erst wenn die Subsistenz gesichert ist, wird versucht, höhere Bedürfnisse zu befriedigen.

      Abb. 9:

      Bedürfnispyramide nach MASLOW und Entsprechungen im Tourismus (Quelle: eigene Darstellung nach MASLOW 1943 & FREYER 2011a, S. 72)

      Bei der Übertragung des Konzepts der Bedürfnispyramide auf den Tourismus ist es zwar prinzipiell möglich, auch Reisen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen (z. B. Handelsreisen) oder zur Sicherstellung der Sicherheitsbedürfnisse (z. B. Kuraufenthalte zur Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Arbeitskraft) anzusprechen. Größere Bedeutung erhält das Konzept aber bei den drei oberen Bedürfnisebenen. Grundprinzip von freizeittouristischen Aktivitäten ist, dass diese erst dann – sei es mit Blick auf die (ökonomische) Entwicklung der Gesellschaft oder der Situation eines Individuums – als Bedürfnisse realisiert werden, wenn die Grund- und Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sind. Dabei können die drei oberen Stufen einerseits als Entwicklungspfad von gesellschaftlich verankerten Werten aber auch als individuelle Stufen verstanden werden. Das Reisen zum Pflegen von sozialen Kontakten (sei es zusammen mit anderen oder zum Besuch von Bezugspersonen) ist offensichtlich ein relevantes Reisemotiv. Da Reisen lange Zeit als Privileg von kleineren Gruppen galt und nur für einen – wenn auch im Zeitverlauf zunehmenden – Teil der Bevölkerung erschwinglich war, spielte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das über Reisen vermittelte Renommee oftmals eine Rolle bei der Auswahl von Reisezielen. Reisen in Destinationen mit einem hochwertigen Image als eine Form des demonstrativen Konsums, der dann in der Folge – sei es über den Versand von Postkarten oder das Zeigen von Urlaubsdias im Bekanntenkreis – auch entsprechend kommuniziert wurde, kann als Handeln zum Erlangen von Prestige oder Anerkennung interpretiert werden. Solche Verhaltensmuster spielen wohl auch heute noch eine Rolle beim Posten von Fotos auf Social-Media-Plattformen oder entsprechenden digitalen Reiseberichten.

      Ende des 20. Jahrhunderts rückt dann das (aktuell) höchste Bedürfnis stärker auch in den Fokus von (freizeit-)touristischen Aktivitäten. Reisen, das nicht mehr primär außenorientierte Motive und Zwecke aufweist, sondern stark auf die Selbstverwirklichung des Individuums orientiert ist, gewinnt in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung. Die Angebote von inszenierten Freizeitwelten in den 1990er Jahren können als Antwort auf die Bedürfnisse der als „Spaßgesellschaft“ apostrophierten Phase von touristischen Trends angesehen werden (vgl. ROMEISS-STRACKE 2003). Seit der Jahrtausendwende ist zu beobachten, dass mehr und mehr auf die Persönlichkeit des Reisenden ausgerichtete Angebote an Bedeutung gewinnen (vgl. LEDER 2007). Dieser Trend bedeutet gleichzeitig, dass nicht nur andere Tourismusformen, in denen das persönliche Erlebnis eine neue Bedeutung bekommt (von Wellness- und Wandertourismus bis hin zum Klosterurlaub) an Bedeutung gewinnen. Mit dem Slogan „Destination Ich“ wird ausgedrückt, dass sich auch der Stellenwert der Destinationen verändert. Das früher wichtigere Renommee und Image eines Urlaubsortes oder einer Urlaubsregion zur Vermittlung von Prestige tritt gegenüber den auf die Persönlichkeit des Touristen ausgerichteten Urlaubserlebnissen in den Hintergrund. Damit ergeben sich unter dem Blickwinkel des Destinationsmanagements (vgl. Kap. 4) auch neue Perspektiven für Regionen, die bislang eher als nachrangig eingestuft wurden, wenn es ihnen gelingt, die auf die persönliche Selbstverwirklichung ausgerichteten Bedürfnisse anzusprechen.

      Lebensstilansatz zur Zielgruppensegmentierung

      LebensstilansatzIm Zuge der Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der (touristischen) Bedürfnisse kommt auch der ZielgruppensegmentierungZielgruppensegmentierung zur adäquaten zielgruppenspezifischen Adressierung eine zunehmende Bedeutung zu. So lange touristische Orientierungen Teil eines relativ fest gefügten sozialen Kontext waren, bzw. das durch die Reisen vermittelte Prestige eine große Rolle spielte, konnten die Orientierungen relativ leicht aus der sozialen Stellung der potentiellen Reisenden abgeleitet werden. Der Besuch von bestimmten Destinationen hat sich stark danach ausgerichtet, ob sich jemand „etwas leisten konnte“ bzw. welche Destinationen innerhalb der Peer-Group als „In“ und „Chic“ galten. Mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft und dem Zunehmen von auf die Selbstverwirklichung ausgerichteten Reisemotiven hat die Unterscheidungskraft des bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts in den Sozialwissenschaften verwendeten sog. Schichtenmodells (mit der Haupteinteilung in Grund-, Mittel- und Oberschicht) abgenommen.

      Während der fordistischen Moderne galt die Zugehörigkeit zu sozialen Klassen oder Schichten als prägendes Moment für die Orientierung von Verhaltensweisen. Mit der zunehmenden Inhomogenität und Auflösung traditioneller Klassen im Übergang zur Postmoderne verlieren diese Konstrukte ihre prägende Funktion für das (Freizeit- und Tourismus-)Verhalten. Analytisch wird versucht, die Heterogenisierung und Individualisierung der Lebens- und Konsummuster mittels sog. Lebensstilgruppen abzubilden.

      Der Soziologe HRADIL definiert: „Ein Lebensstil ist […] der regelmäßig wiederkehrende Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbestände und bewertenden Einstellungen eines Menschen“ (HRADIL 2005, S. 46). Nach BOURDIEU sind Lebensstile Ausdruck einer strukturellen Vielfalt (BOURDIEU 1987), wobei sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Aspekte teilweise entkoppelt sind. Dabei wird zwischen ökonomischem, kulturellem (z. B. Bildung, Wissenskompetenz) und sozialem (z. B. Kommunikationsfähigkeit, Zugehörigkeit) Kapital (BOURDIEU 1983) unterschieden. Allerdings sind Lebensstile nicht ganz unabhängig von der materiellen Basis, sondern mit dieser in der Weise rückgekoppelt, dass sie bestimmte Verhaltensdispositionen begünstigt.

      Lebensstile können als Grundhaltungen aufgefasst werden, die sich in bestimmten Präferenzen (z.B. konsum- oder freizeitbezogen) niederschlagen. Lebensstile können von anderen abgrenzen oder mit diesen verbinden. Dabei kann ein Lebensstil Ausdruck einer politisch-weltanschaulichen Einstellung sein oder starke Bezüge zu bestimmten Konsummustern aufweisen. Der starke symbolische Gehalt von Lebensstilen hat Rückwirkungen auf die Art der Konsumentenansprache im Rahmen des Marketings, das zielgruppenspezifisch Elemente der Lebensstile aufgreift.

      Auch im Urlaub wird nicht mehr quasi automatisch das nachgefragt und konsumiert, was man sich leisten kann. Vielmehr treten individuelle Grundhaltungen als Hintergrundmotive für Konsumpraktiken in den Vordergrund. Dementsprechend gewinnt die Identifizierung von sog. Lebensstilen für die Konsumforschung und auch die Tourismuswissenschaften an Relevanz, um entsprechend konditionierte Angebote entwickeln zu können.

      Eine der im deutschsprachigen Raum bekanntesten Einteilungen in Lebensstilgruppen ist die vom Markt- und Sozialforschungsinstitut Sinus entwickelte Einteilung in die sog. „Sinus-MilieusSinus-Milieus“. Auch wenn die traditionelle Schichtendifferenzierung (und damit auch die Kaufkraftunterschiede) in das Lebensstilmodel mit einfließen werden drei Grundorientierungen zur Ausdifferenzierung von sog. „Milieus“ unterschieden:

      1 Tradition (mit den Milieus der „Traditionellen“ und der „Konservativ-Etablierten“)

      2 Modernisierung/Individualisierung (mit den Milieus der „Prekären“, der „Bürgerlichen Mitte“, dem „Sozial-ökologischen“ und dem „Liberal-Intellektuellen“ Milieu sowie

      3 Neuorientierung (mit den „Hedonisten“, den „Adaptiv-Pragmatischen“, den „Expeditiven“ und den „Performern“; Reihenfolge der Milieus jeweils in der Reihenfolge zunehmender Kaufkraft; vgl. Sinus 2014, siehe auch Abb. 131 in Kap. 7.3.1).

      Grundprinzip der von Sinus nicht genau offen gelegten Vorgehensweise ist bei allen