href="#fb3_img_img_237af5e6-6cab-508b-8fd2-302cc084c7d1.jpg" alt="images"/>) und bedarf zusätzlich allein der Kraft eines Sokrates. Die Tugend ist eine Sache des Handelns und bedarf weder vieler Worte noch Kenntnisse“ (Diogenes Laertius 6,11). Daraus folgt eine Relativierung herkömmlicher kultureller Werte, so die Abkehr von Reichtum und Besitz67, die Verachtung von Luxus, Gewinnsucht und Habgier68, eine Distanz gegenüber Ehe und Familie69, die Bedeutungslosigkeit der Herkunft (als freier griechischer Mann)70, die Verwerfung traditioneller Machtpolitik (z.B. des Krieges) und die Skepsis gegenüber staatlichen, kulturellen und religiösen Ritualen. Die Kyniker enthalten sich der Erklärungsansprüche von Großtheorien (z.B. Plato) und stellen das persönliche Beispiel, die Praxis des gelingenden Lebens in den Vordergrund, wofür sie sich vor allem auf Sokrates berufen. Positiv fordern und praktizieren sie einen an der Natur und damit zugleich an der Vernunft orientierten Lebensstil, der die falschen Leidenschaften aus der Seele (Lust, Begierden, Zorn) ausrottet und zu einem einfachen, bedürfnislosen Leben führt. So ist der Kyniker wahrhaft frei und unabhängig; er steht ein für die ungeschminkte freie Rede und lässt sich für nichts und von niemandem instrumentalisieren; er zerbricht an keinem Schicksal, als Weiser genügt er sich selbst und ist darin den Göttern gleich. Die Herausbildung eines individuellen Freiheitsverständnisses gehört zu den herausragenden Kulturleistungen des Hellenismus71, insbesondere der kynisch-stoischen Philosophie. Es ist geradezu das Kennzeichen des Philosophen, in Freiheit zu leben (vgl. Epiktet, Dissertationes II 1,23); so wird von Diogenes überliefert, „dieselbe Lebensweise wie Herakles zu verfolgen, der die Freiheit allem vorzog“ (Diogenes Laertius 6,71). Speziell bei den Kynikern lässt sich eine große Zurückhaltung gegenüber postmortalen Theorien beobachten. Von Diogenes wird überliefert: „Es heißt auch, der sterbende Diogenes habe befohlen, ihn unbestattet zur Beute wilder Tiere abzulegen oder in einen Graben zu stoßen und etwas Staub darüber zu tun“ (Diogenes Laertius 6,79; vgl. 6,52; Lukian, Demonax 35.66).
Die Kyniker verstanden sich als Kosmopoliten; Diogenes antwortet auf die Frage, woher er komme: „Ich bin Weltbürger“ (Diogenes Laertius VI 63:
Kynische Wanderphilosophen
Im 1./2.Jh. n.Chr. erlebte der Kynismus eine zweite Blüte, wobei zwischen Kynikern und Stoikern oftmals nicht mehr zu unterscheiden war. Berühmte Kyniker bzw. Propagandisten kynischer Gedanken dieser Zeit waren Demetrios (lebte unter Nero und Vespasian), Dio Chrysostomus (ca. 40–120 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.), Favorinus (ca. 80/90–150 n.Chr.) und Demonax (geb. 80/90 n.Chr.). Die Polemiken eines Dio Chrysostomus, Epiktet oder Lukian von Samosata (ca. 120–180 n.Chr.) gegen ein falsch verstandenes Kynikertum lassen sehr deutlich den Kynismus als ein reichsweites Phänomen erkennen. Die kynischen Wanderphilosophen bildeten keine elitäre Schule, sondern durchzogen die römisch-hellenistische Welt und brachten ihre Botschaft der sittlichen Erneuerung vor allem auf Straßen und Plätzen, vor Theatern und Tempeln zu Gehör74. Um Kundschafter der Götter zu sein, muss der Kyniker „ganz im Dienst der Gottheit stehen, imstande sein unter den Menschen herumzugehen, nicht gefesselt durch bürgerliche Pflichten, nicht gebunden durch persönliche Beziehungen“ (Epiktet, Dissertationes III 22,69)75. Sie erregten durch ihr unkonventionelles Aussehen (Mantel, Ranzen, Stock, lange und ungepflegte Haare), vor allem aber durch das Aufgreifen aktueller Themen und Probleme des alltäglichen Lebens häufig Aufsehen und zogen sich nicht selten die Feindschaft der Herrschenden zu76. Viele Wanderphilosophen hatten keinen festen Wohnsitz, sie reisten barfüßig, bettelten und schliefen auf dem Boden öffentlicher Gebäude. Ein Zentrum der im 1. Jh. n.Chr. neu belebten Kyniker-Bewegung war Korinth; schon Diogenes hielt sich hier gern auf und der berühmte Kyniker Demetrius77 lebte und lehrte ebenfalls in dieser Stadt.
Der Kynismus und die Stoa sind sowohl durch ihre Entstehungsgeschichte als auch durch ihr geistiges Profil vielfältig miteinander verbunden. Als Gründer der Stoa gilt der Krates-Schüler Zenon aus Kition auf Zypern (ca. 334–262 v.Chr.). Er gründete um 300 v.Chr. eine Philosophenschule, die ihren Namen vom Ort des Lehrens erhielt; einer bemalten Säulenhalle an der Agora von Athen (
Die Stoa als komplexes System
Der wichtigste Unterschied zwischen Stoa und Kynismus besteht darin, dass die Kyniker sich ausschließlich mit der Ethik befassten (vgl. Diogenes Laertius 6,103). Demgegenüber entwickelte die Stoa ein über die Ethik hinausgehendes komplexes wissenschaftliches System, das vor allem auch die Logik, die Sprachphilosophie, die Erkenntnistheorie und die Physik miteinschloss. Die Geschichte der Stoa kann in drei Hauptphasen aufgeteilt werden: Die ‚alte‘ Stoa umfasst den Zeitraum von ca. 300–150 v.Chr.; hier wirkten als Schulhäupter nach Zenon bes. Kleanthes (ca. 310–230 v.Chr.) und Chrysipp (ca. 282– 209 v.Chr.). Die ‚mittlere‘ Stoa von ca. 150 v.Chr. bis zur Zeitenwende fand ihre bedeutendsten Vertreter in Panaitios von Rhodos (ca. 180–100 v.Chr.) und Poseidonios (ca. 135–50 v.Chr.). Die kaiserzeitliche Stoa (bis ca. 150 n.Chr.) zeichnete sich nicht so sehr durch eine Theorieerweiterung, sondern vor allem (in Verbindung mit kynischen Elementen) durch eine Profilierung im ethisch-politischen Bereich aus. Hauptvertreter dieser Epoche79 waren Seneca (um 4 v.Chr. − 65 n.Chr.), Musonius Rufus (ca. 25–85 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.) und Marc Aurel (121–180 n.Chr.).
Pantheismus
Die Stoa geht von einer göttlichen Struktur der Wirklichkeit aus80. Sie vertritt einen monistischen Pantheismus, wonach die Gottheit in allen Daseinsformen wirkt. Sie ist weltimmanent und allgegenwärtig, zugleich aber gerade deshalb nicht fassbar. Chrysipp lehrt, „die göttliche Kraft liege in der Vernunft und in der Seele und dem Geist der gesamten Natur, und erklärt weiter, die Welt selbst und die alles durchdringende Weltseele sei Gott.“81 Es existiert nichts über die Stofflichkeit alles Seienden hinaus, es gibt weder einen transzendenten Schöpfergott noch eine metaphysische Weltbegründung. Die Gottheit wohnt als bildende Kraft, als