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Wörterbuch der Soziologie


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beziehungsweise in andere Kapitalien im Bourdieuschen Sinne umgewandelt werden kann. Variierende Bildungsbeteiligungen sind dann als unterschiedliche Investitionsstrategien zu verstehen. Alternativ lassen sich diese Unterschiede jedoch auch auf soziale Schließungsmechanismen und als Ergebnis sozialer Konflikte interpretieren. Der Zugang zu Bildungsabschlüssen wird erschwert und beispielsweise von der Verwendung bestimmter Sprachcodes abhängig gemacht. Wenn Bildungszertifikate allein nicht mehr den Zugang zu angestrebten sozialen Positionen eröffnen, werden nichtfunktionale und sogenannte feine Unterschiede im Sinne Bourdieus als Distinktionsmechanismus eingesetzt.

      Die Bildungssoziologie der 1970er und 1980er Jahre hatte einen Schwerpunkt bei der Erforschung der schulinternen Mechanismen, die diese Bildungsungleichheiten in der Schule reproduzieren. Hierbei wurde auf unterschiedliche Sozialisationserfahrungen, Erwartungen und Denk- sowie Verhaltensweisen, aber eben – wie gerade erwähnt – auch auf die schichtspezifische Verwendung bestimmter Sprachcodes (restringierter versus elaborierter Sprachcode) und deren unterschiedliche Einsetzbarkeit in Bildungsinstitutionen verwiesen. Begleitet wurde diese Diskussion durch einen enormen Ausbau des Bildungssystems und eine historisch einzigartige Bildungsexpansion. Als Ergebnis dieser Prozesse lässt sich ein deutlicher Rückgang der regionalen Unterschiede und damit einhergehend der Konfessionsunterschiede feststellen. Während bis in die 1970er Jahre noch deutlich schlechtere Bildungsergebnisse von Mädchen zu beobachten waren, hat in diesem Bereich eine Umkehr der Verhältnisse stattgefunden: der Frauenanteil in weiterführenden Schulen, aber auch an den Universitäten liegt über 50 Prozent, wobei sich jedoch immer noch deutlich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen etwa bei der universitären Ausbildung finden.

      Während die aktuellen Befunde auch für das wiedervereinigte Deutschland Gültigkeit beanspruchen, muss die historische Entwicklung für die DDR gesondert betrachtet werden (vgl. Kopp 2009). Hier wurde nach 1945 ein einheitliches und eben nicht föderal zersplittertes Schulsystem aufgebaut, dessen Kern zuerst eine verbindliche achtjährige Grundschule war, die – und das war nicht selbstverständlich – koedukativ unterrichtete. Anschließend stellte eine vierjährige Oberschule einen, aber nicht den einzigen Weg zur Hochschulreife dar. Unterstützt wurde dieses zentralisierte Schulbildungssystem durch die konsequente und nahezu flächendeckende Einrichtung von Institutionen der Vorschulerziehung wie Kinderkrippen und -gärten, die selbstverständlich als Ganztageseinrichtungen konzipiert waren. Aussagen zur sozialen Selektivität des Schulsystems in der DDR sind aufgrund der stark eingeschränkten Datenlage nur schwer möglich. Versuche der positiven Diskriminierung von Kindern aus der Arbeiterklasse in den frühen Jahren der DDR beinhalteten eine gezielte Benachteiligung von Kindern bürgerlicher Schichten und religiös gebundener Bevölkerungsteile. Zu bedenken ist jedoch auch, dass der Zugang zu höherer Bildung im Rahmen der Planwirtschaft auch quantitativ gesteuert und vor allem stark eingeschränkt wurde und dass später Bildungsprivilegien der sog. sozialistischen Intelligenz zunahmen und man deshalb durchaus von einer sozialen Schließung des Bildungssystems sprechen kann. Mit dieser anfänglichen sozialen Öffnung des Bildungssystems und der daran anschließenden Zunahme sozialer Ungleichheiten spiegelt sich in der DDR ein Muster wider, das auch in anderen sozialistischen Staaten zu beobachten war (Shavit/Blossfeld 1993).

      Bildung und soziale Herkunft

      Während sich hinsichtlich der regionalen, konfessionellen und geschlechtsspezifischen Unterschiede also eine rasche Angleichung der Bildungserfolge beobachten lässt, sind die Befunde hinsichtlich der sozialen Selektivität der Bildung wesentlich unklarer und uneinheitlicher. Zwar hat die Bildungsbeteiligung in den unteren sozialen Schichten zugenommen, es ist jedoch offen, ob sich die Ungleichheitsrelationen auch verändert haben oder ob nicht vielleicht die Bildungsbeteiligung der oberen Schichten noch stärker gestiegen ist. Genau mit diesen Fragen beschäftigen[67] sich verschiedene Studien aus den 1990er Jahren, wobei die Entwicklungen sowohl in der Bundesrepublik wie auch im internationalen Vergleich beobachtet wurden (Shavit/Blossfeld 1993; Müller/Haun 1994). Generell lässt sich als ein Ergebnis dieser Untersuchungen festhalten, dass trotz der nahezu in allen Ländern und auch in allen sozialen Schichten feststellbaren gestiegenen Bildungspartizipation und einigen Egalisierungsentwicklungen immer noch – teilweise sogar dramatische – Ungleichheiten zu konstatieren sind. Darüber hinaus gibt es Befunde, die eine Verschiebung der Trennungslinie vom Übergang Hauptschule versus Realschule und Gymnasium hin zum Übergang Hauptschule beziehungsweise Realschule versus Gymnasium – also einen Fahrstuhleffekt sozialer Ungleichheit – vermuten lassen.

      Die aktuelle bildungssoziologische Diskussion ist durch Spekulationen über den Einfluss der konkreten Organisation des Schulsystems geprägt. Schon in den 1970er Jahren wurde versucht, mit Hilfe der Einführung der Gesamtschulen der sozialen Selektivität von Bildung entgegenzusteuern. Hierzu wurden konkrete Bildungsreformen durchgeführt, die unter anderem die Einführung von integrierten Gesamtschulen als Regelschule umfassten. Der politische Widerstand gegenüber diesen Maßnahmen war allerdings so groß, dass diese Versuche wieder zurückgenommen werden mussten, bevor die begleitenden sozialwissenschaftlichen Evaluationen beendet und ihre relativ klaren und vor allem positiven Ergebnisse veröffentlicht werden konnten. Dabei sind diese Ergebnisse mit neueren Leistungstests nicht vergleichbar, da im heutigen Bildungssystem Gesamtschulen eine Option unter vielen, aber eben keine Regelschule darstellen und somit Prozesse der Selbstselektion zu beobachten sind (Fend 1982).

      Bildungsleistungen im internationalen Vergleich

      Die sicherlich in den letzten Jahren am häufigsten diskutierte bildungssoziologische Untersuchung stellt die sogenannte PISA-Studie dar, deren Ziel es war, vergleichende Daten über die Ressourcenausstattung, individuelle Nutzung sowie Funktionsund Leistungsfähigkeit ihrer Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen. Ausgangspunkt war der Versuch, die Vermittlung bestimmter Basiskompetenzen in einzelnen Wissensbereichen zu überprüfen. Im Einzelnen stehen die Lesekompetenz, eine mathematische und eine naturwissenschaftliche Grundbildung 15-jähriger Jugendlicher im Mittelpunkt von PISA. Die öffentliche Diskussion fokussierte sich eher auf die Rangordnung der einzelnen Länder, Ursachen für die unterschiedlichen Platzierungen lassen sich aus den Daten aber nur schwer ableiten. Bildungssoziologisch relevanter ist aber die dabei zu Tage tretende große Streuung der Leistungen innerhalb der Bundesrepublik. Wenn man die Verteilung der Schüler und Schülerinnen auf fünf Kompetenzstufen betrachtet und davon ausgeht, dass vor allem Schüler, die bereits mit den Aufgaben der ersten Stufe Probleme aufweisen, eine besondere Risikogruppe darstellen, so zeigt sich rasch, dass in der Bundesrepublik besonders Kinder mit einem Migrationshintergrund in diese Risikogruppe fallen. Es zeigt sich zudem, dass diese Schüler sich konzentriert in Hauptschulen wiederfinden – und dort auch verbleiben. Darüber hinaus lassen sich auch mit den Daten von PISA einige bekannte Tatsachen über die soziale Ungleichheit von Bildungschancen replizieren. So interessant diese Befunde auch sind, wirklich überraschen konnten sie aufgrund der zuvor skizzierten Forschungsergebnisse nicht mehr. Die Befunde erneuern bekannte Ergebnisse und Probleme.

      Bildung und ethnische Herkunft

      Gerade auch in den PISA-Untersuchungen wird immer wieder auf die dramatische Ungleichheit hinsichtlich einer ethnischen Dimension hingewiesen. Auch in diesem Bereich kann man auf einige bahnbrechende Studien in den Vereinigten Staaten hinweisen wie beispielsweise die Untersuchung »Equality of Educational Opportunity«, in der unter der Leitung von James S. Coleman die Ursachen für die dramatischen Unterschiede im Bildungsniveau zwischen farbigen und weißen Schülern im Auftrag des amerikanischen Präsidenten geklärt werden sollen (vgl. Kopp 2009 für eine ausführliche Darstellung). Trotz aller im Nachhinein diskutierbaren methodischen Probleme wurde als wichtigste Ursache die fehlende ethnische Heterogenität der Schulen ausgemacht und durch konkrete sozialpolitische Maßnahmen – das sogenannte busing – in Angriff genommen. Auch in der Bundesrepublik finden sich in der Zwischenzeit erste Ergebnisse, die die Zusammensetzung beziehungsweise die hohe Segregation der Schulklassen als wichtigen Faktor des Bildungserfolges [68]diagnostizieren. Weiterhin wird auf die Bedeutung eines frühzeitigen Spracherwerbs hingewiesen. Gerade in diesen Bereichen besitzt die Bildungsforschung evaluativen Charakter für die verschiedensten schulpolitischen Maßnahmen (vgl. als weiteres Beispiel die Studie von Bowen und Bok (1998) über die Folgen der affirmative action bei der Zulassung zu Colleges und Universitäten in den Vereinigten Staaten).