Eva-Maria Bast

Tatort Bodensee


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      Mittlerweile waren sie auf der Hochfläche des Heubergs angekommen. Dort, auf gut und gerne 800 Metern über Meereshöhe, in dieser kargen-rauen Landschaft, die Horst bei so manchem Besuch in den vergangenen Jahren richtig ins Herz geschlossen hatte, wehte immer ein frisches Lüftchen. »Schade, dass hier kein Wein wächst«, seufzte er, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte. Den ersten Teil der Fahrt hatte er selig geschlafen – kein Wunder nach den Strapazen der vergangenen Tage.

      Apropos Wein. »Sag mal, Sputnik, was hat der Jürgen denn für einen Wein in seiner Burgschenke? Immer noch den lieblichen Trollinger oder hat er mittlerweile dazugelernt?« Mit Schaudern erinnerte sich Horst an so manchen elenden Morgen nach einem Abend auf dem Wildenstein. Wie oft hatte er sich damals schon geschworen, nie wieder einen Tropfen Alkohol in der dortigen Burgschenke zu sich zu nehmen, und wie viele endlose Diskussionen über dieses Thema hatte er schon mit dem Jugendherbergsvater, der nebenher auch die Schenke betrieb, hinter sich gebracht. Allesamt bisher vergeblich, kein Wunder, nachdem ihn der Herbergsvater regelmäßig darüber in Kenntnis setzte, dass er noch nie ein begeisterter Weintrinker gewesen sei und einige Tassen frisch gebrühter Tee am Abend sowieso viel gesünder seien.

      Protnik guckte ratlos. »Weiß ich nicht! Ich hab da die letzten beiden Abende immer auswärts gegessen und bis ich zurück war, hatte die Burgschenke bereits geschlossen. Da hab ich mir halt noch eine Flasche Mineralwasser aus dem Automaten gezogen und bin dann ins Bett gegangen.«

      »Na komm«, Horst stupfte seinen Kollegen aufmunternd an. »Dann mach noch einen kleinen Schlenker über Meßkirch. Da kenne ich einen Laden, der hat einen guten trockenen Lemberger. Zwar zu einem horrenden Preis, aber immerhin! Und außerdem, Meßkirch ist ein interessantes Städtchen! Warst du jemals in Meßkirch?«

      Protnik schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. Im selben Moment vernahm Horst einen derben Fluch und unmittelbar danach wurde sein Oberkörper mit einem gewaltigen Ruck nach vorne in Richtung Windschutzscheibe geschleudert. Gleichzeitig drang ein hässliches Quietschen der Autoreifen an sein Ohr. Nur der Si­cher­heits­gurt hatte verhindert, dass Horst (und Protnik genauso) durch die Windschutzscheibe geflogen waren!

      Wütend hieb Protnik auf das Lenkrad. »Da – guck dir den Deppen da vorne an. Was macht der auch eine Vollbremsung, wo er doch ganz klar Vorfahrt hat. Der fährt, als wäre er stockbesoffen!« Damit deutete er auf einen weiß lackierten Kastenwagen, der dicht vor ihnen auf der Bundesstraße eine Vollbremsung vollzogen hatte.

      »Na, mach schon, sonst steige ich aus und polier dir die Fresse, du Vollidiot!« Protnik war noch immer außer sich. »Ich hab keine Lust zu warten, bis mir von hinten einer reindonnert!«

      Der Auspuff des Vordermanns spuckte stotternd eine Wolke dicken schwarzen Qualms aus. »Jetzt hat der auch noch seinen Motor abgewürgt! Unglaublich! Ich frag mich nur«, und damit wies er mit dem ausgestreckten Arm auf die Wand aus dunklem Nebel, durch die der weiße Transporter fast nicht mehr zu erkennen war, »wer ist hier eigentlich für den TÜV zuständig? Wieso gibt es überhaupt Abgasuntersuchungen, wenn solche Stinker die Straßen verpesten dürfen?«

      Horst nickte und massierte sich die rechte Schulter in der Höhe, in der er vom Sicherheitsgurt, der sich wie ein Stahlband vor seinen Körper gespannt hatte, zurückgehalten worden war. »Aber sag mal, der hat uns doch vorher schon zweimal überholt, oder täusche ich mich?«

      »Richtig, sag ich ja: Der muss besoffen sein!« Böse starrte Protnik auf den weißen Transit, der sich nun wieder in Bewegung setzte. »Da – schau mal, wie der jetzt davonprescht! Einfach unglaublich! Aber diese Typen mit ihren Lieferwagen und den viel zu starken Motoren, die hab ich eh gefressen! Die fahren immer wie die Gehirnamputierten! Da geht’s um Sekunden!« Kopfschüttelnd gab auch Protnik Gas. »Der ist wirklich die ganze Strecke über wie eine Klette an uns gehangen, dann hat er überholt, an den unmöglichsten Stellen, plötzlich war er wieder hinter uns, jetzt vor uns – und dann diese Vollbremsung! Hoffentlich war das die letzte Begegnung, sonst setzt’s aber was!«

      »Eigentlich sollte man den anzeigen, so wie der den Straßen-Rambo spielt«, warf Horst ein. »Hast du dir eigentlich die Nummer gemerkt?«

      Protnik verneinte. »Hab ich ehrlich gesagt nicht daran gedacht. Blöd von mir! Du hast recht. Aber ich weiß nur, dass das ein KN-Kennzeichen war, also von irgendwo aus dem Kreis Konstanz!«

      Horst seufzte: »Also, das wär’s dann wohl! Was glaubst du, wie viele von diesen weißen Möbelschränken im Kreis Konstanz gemeldet sind!! Na ja, dann hat der Kerl eben noch mal Glück gehabt! Aber jetzt«, damit wandte er sich dem Fahrer zu, »machen wir jetzt einen kleinen Abstecher nach Meßkirch, was meinst du – wie wär’s?«

      Protnik nickte zustimmend, worauf sich Horst mit einem zufriedenen Lächeln zurücklehnte: »Na, wunderbar! Da musst du nämlich einfach mal gewesen sein. Weißt du was? Ich zeige dir am besten erst mal das Schloss dort, das ist immerhin als bedeutendes Kulturgut in die Nationale Denkmalliste eingetragen. Und die Kirche erst, mit diesen tollen Grabdenkmalen von den Grafen von Zimmern! Das wird selbst dir als Kunstbanausen gefallen!«

      Horst war nun ganz in seinem Element und ließ sich auch von dem schicksalergebenen Augenaufschlag seines Kollegen nicht mehr in seiner Begeisterung bremsen.

      Gleichwohl erwartete ihn ein hartes Stück Arbeit, denn bisher war an Protnik jede Bemühung Horsts völlig folgenlos abgeprallt, in diesem irgendwelches noch so winzige Interesse an Kunst- und Kulturdenkmalen, welchen Jahrhunderts auch immer, wachzukitzeln. Der Kerl war halt einfach nicht kitzlig!

      Einige Stunden später saßen sie alleine mit ihrer Flasche Rotwein (14,80 Mark hatte die im Laden in Meßkirch gekostet – unglaublich! Aber immerhin, es war wenigstens eine trockene Heilbronner Spätlese) in der Burgschenke. Der Herbergsvater, der sich herzlich gefreut hatte, seinen alten Bekannten Horst so unvermutet schnell einmal wiederzusehen, hatte extra für die beiden die eigentlich um diese Uhrzeit längst geschlossene Burgschenke aufgemacht und versichert, später noch mit ihnen bei einer Tasse Tee (!) zusammenzusitzen.

      Horst war regelrecht aufgeblüht und hatte sich trotz der Ereignisse der letzten Tage gefühlt, als durchströme ihn ein warmer Energieschub. Schon als sie die letzten Kilometer vor dem Wildenstein erst durch Kreen­hein­stetten und dann Leibertingen gefahren waren. Wie oft hatten er und Claudia schon einen Spaziergang von der Burg ins Dorf herein unternommen und waren dort in einer der beiden Wirtschaften bei einem gemütlichen Abendessen regelrecht »verhockt«? Leibertingen, das Lavendeldorf auf dem Heuberg, zu dem es der frankreichbegeisterte Bürgermeister in den letzten Jahren mit Beharrlichkeit gemacht hatte: ein Stückchen Provence auf der rauen Alb – allein beim Lesen des Namens auf dem Ortsschild hatte er sich schon wieder wie zu Hause gefühlt! Und als er aus dem Auto ausgestiegen war und endlich wieder unmittelbar vor seiner Lieblingsburg gestanden hatte, da schossen ihm tatsächlich die Tränen in die Augen – ein sicheres Anzeichen dafür, wie erledigt er nach all den Ereignissen der letzten Tage doch war. Aber der Wildenstein würde ihn schnell wieder an Leib und Seele genesen lassen, dessen war er sich ganz sicher. Die mächtigen, fast 500 Jahre alten Bastionen der imposanten Burg, die beiden Zugbrücken, die schon ganze Generationen von Malern und Fotografen in ihren Bann gezogen hatten, und die einmalige Lage auf den steilen schroffen Kalkfelsen sage und schreibe 200 Meter über dem Tal der jungen Donau: Es war – jedes Mal aufs Neue – ein atemberaubend schönes Gefühl, wieder hier zu sein!

      Nach der herzlichen Begrüßung durch den Herbergsvater hatte Horst, wie immer, seinen Rundgang durch die alte Burg aufgenommen, der ihn vom Speisesaal mit den herrlichen Wandmalereien aus der Renaissance durch den engen Gang über die Treppe aus ausgetretenen Kalkstufen in den riesigen Rittersaal führte. Den obligatorischen Ab­schluss bildete danach der Besuch der winzigen Burgkapelle mit dem sehenswerten Altar des Meisters von Meßkirch und – natürlich – der Klappe unter dem Teppich des Altarbodens, bei der er bisher jedes Mal Verblüffung bei seinen Begleitern hervorgerufen hatte, denen er die Burg und ihre Geschichte erläutert hatte. Auch bei Protnik war das nicht anders, nachdem bis dahin jeder Erklärungsversuch, jede noch so heitere Geschichte aus der Chronik der Grafen von Zimmern, die ja gerade auch hier, auf dem