Harald Jacobsen

Tatort Ostsee


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hier! Ich geh runter und schlichte«, schlug Sophie vor und stürzte die Treppe hinunter. Tina dachte über ihre Freundin nach. War Sophie wirklich beeindruckt? Sophie, die alles hatte und alles konnte? Oder wollte sie nur nett sein? Felix kam ihr in den Sinn. Sophie hatte noch kein Wort über ihn verloren. Irgendwas stimmte zwischen den beiden ganz und gar nicht. Als ihr Jüngster satt war, wickelte sie ihn in eine Decke und nahm ihn mit hinunter. Sophie saß in dem Strandkorb auf der Terrasse und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Ihre Augen waren geschlossen. »Hey, nicht einschlafen«, rief Tina. Sophie blinzelte sie an. »Was war denn mit Paul und Antonia?«

      »Ach, gar nichts«, antwortete Sophie. »Paul wollte nur auch mal das Stöckchen für Pelle werfen und sein reizendes Schwesterlein hat es ihm nicht gegeben. Ich habe Paul Pelles Lieblingsball gegeben und nun spielt Pelle mit ihm und Antonia schmollt.«

      »Na, dann ist ja alles wie immer«, stellte Tina fest. »So, und nun will ich dir meinen kleinen Engel vorstellen.«

      Tina legte ihrer Freundin ihren jüngsten Sohn in den Arm. Sophies Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie sah fast ängstlich aus.

      »Gott, du bist aber süß!« Sophies Stimme brach und sie räusperte sich leise. »Weiß deine Mama eigentlich, wie viel Glück sie hat?«

      Zu Tinas Erstaunen füllten sich die Augen der Karrierefrau mit Tränen.

      Felix zerrte den Stecker aus der Telefonbuchse und schaltete die Handys aus. Den ganzen Tag hatte er unangenehme Fragen beantworten müssen. Es mussten Presseerklärungen verfasst und Sponsoren beruhigt werden. Eddy, sein Manager, war um ihn herumgeschlichen und hatte leise vor sich hingeflucht. Dabei hatte er mindestens fünf Hemden durchgeschwitzt. Felix wünschte sich, gleich aus einem Albtraum aufzuwachen. Langsam wurde ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Vor einer halben Stunde hatte er Eddy aufgefordert abzuhauen und ihn in Ruhe zu lassen. Nun war er endlich allein und konnte nachdenken. Was hatte Sophie sich nur dabei gedacht? Anscheinend wollte sie ihn fertigmachen. Natürlich war diese Nummer von ihr inszeniert. Sie musste ihn für einen Idioten halten, wenn sie dachte, er könne nicht eins und eins zusammenzählen. Felix lockerte seine Krawatte und ging zur Bar. Was wollte die Schlampe? Ihn erpressen? Seine Frau wusste sowieso Bescheid. Über alles. Sie wusste von der Tochter und sie wusste von seiner Affäre mit Sophie. Juliette ging es nur darum, im Luxus zu leben, den Kindern eine Mutter zu sein, die sie bewundern konnten, und zwischendurch seine Kreditkarte bluten zu lassen. Felix schenkte sich einen großen Whisky ein und setzte sich auf die Designercouch. Im Grunde hatte er ein prima Leben mit Juliette. Ihre Loyalität und Toleranz waren zwar nicht billig, aber er war ein freier Mann. Sein Job machte ihn für die ordinären Zuschauer zu einem Halbgott. Seine Laune besserte sich für einen Augenblick. Es machte nun mal Spaß berühmt zu sein. Es war leicht, sich jederzeit gut gelaunt und lässig zu zeigen, wenn man sowieso von jedermann geliebt wurde. Dass er zudem reicher und reicher wurde, war eine angenehme Nebensache. Mittlerweile hatte er Werbeverträge in Millionenhöhe. Seine noch immer ansehnliche Visage lächelte von Getränkekartons und Schokoriegeln. Und bis vor Kurzem hatte er noch eine aufregende Geliebte. Felix leerte das Glas in einem Zug. Er war allein in der riesigen Villa. Juliette war bei einer Freundin und die Kinder verbrachten die Nacht bei seiner Mutter. Übermorgen würden sie nach Mallorca fliegen. Er ging wieder zur Bar und holte die Flasche. Gut, dass Juliette nicht da war. Wenn sie ihm jetzt auch noch die Ohren vollheulen würde, würde er durchdrehen. Verdammter Artikel! Wie konnte Sophie nur so weit gehen? Was würde aus den Werbeverträgen? Sophie schien eine so vernünftige Frau zu sein. Das hätte er ihr nie im Leben zugetraut. Und alles nur, weil er sie gebeten hatte das Kind abzutreiben. Er konnte sich eben keinen Skandal erlauben. Nun hatte er einen am Hals. Verdammt! Er würde in seiner knappen Freizeit noch mehr Wohltätigkeitsveranstaltungen besuchen und sicher noch ein Patenkind aus Afrika oder Indien annehmen müssen, um sein Image wieder aufzupolieren. Felix nahm das Foto von Sophie aus der Brieftasche. Das Bild zeigte sie im Bikini am Strand. Was für ein sensationeller Körper. Ganz langsam riss er das Foto in kleine Schnipsel und warf diese ins Aquarium mit den Kois. »Von dir lass ich mich nicht kaputtmachen, Süße! Von dir nicht.« Die Fetzen sanken zu Boden und die teuren Karpfen wühlten gierig danach.

      Sophie atmete tief durch. Jetzt bloß nicht weinen! Dieser neue Mensch hatte mit ihrem Schicksal rein gar nichts zu tun. Der kleine Finn war ein Wunder und als solches sollte sie ihn auch betrachten. Sie musste endlich aufhören, sich selber leidzutun. In Bezug auf Felix hatte sie doch auch die Flucht nach vorn angetreten.

      »Alles in Ordnung?«, fragte Tina besorgt.

      Sophie schluckte kurz und lächelte sie an. »Aber sicher! Es ist nur so überwältigend. Er ist so winzig und trotzdem ist alles dran.«

      »So winzig?«, Tina lachte. »Finn war noch nie winzig. 4300 Gramm und 55 Zentimeter! Bei seiner Geburt dachte ich, ich krieg ein Elefantenkalb.«

      Tina sah auf die Uhr und sprang auf. »Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Sag mal, ist es okay für dich, wenn ich Finn bei dir lasse und schnell die Nudeln warm mache?«

      »Na klar! Wir werden uns schon vertragen.«

      Finn hatte die Augen geschlossen und schmatzte leise. Seine winzige Hand hielt ihren Zeigefinger fest umschlossen. Aus der Küche hörte sie Tina mit den Töpfen herumklappern. Sie hatte Tina immer für verrückt gehalten Knall auf Fall aus der Modelbranche auszusteigen, obwohl es für sie fantastisch lief. Und alles, um einem Polizisten nach Lübeck zu folgen. Nun musste sie zugeben, dass Tina es richtig gemacht hatte. Sie war glücklich und zufrieden. Ihre Ehe mit Stefan schien noch immer zu funktionieren. Den jüngsten Beweis ihrer Liebe hielt sie schließlich gerade im Arm.

      10 Minuten später kam Tina zurück und stellte zwei Teller Spaghetti auf den Tisch. »Wie ich sehe, seid ihr bestens klargekommen. Na, dann gib ihn mal wieder her.« Tina legte den Kleinen in die Babyschale und rief die Kinder. Mit Pelle im Schlepptau stürmten sie auf die Terrasse. Mit großem Appetit und ohne sich zu streiten, aßen sie ihre Teller leer.

      »Ihr Mäuse, es wird langsam Zeit. Sagt Sophie gute Nacht und dann gehen wir Zähne putzen.«

      Obwohl die Kinder todmüde sein mussten, begannen sie zu protestieren.

      »Kann Pelle nicht mit nach oben kommen?« Antonia sah sie mit großen Augen an.

      »Er kann mit in meinem Bett schlafen.« Paul nickte aufgeregt.

      »Nein, ihr Süßen. Ihr schlaft jetzt ganz schnell ein und morgen könnt ihr ihn dann wecken.«

      Antonia seufzte enttäuscht, folgte dann aber ihrer Mama und ihren Brüdern. Sophie verschwand in der Küche. Als sie das Butterhähnchen sah, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Schon während ihrer gemeinsamen WG-Zeit war dieses Gericht immer ein Highlight gewesen. Sophie dachte gerne daran zurück.

      »So, die Bande ist im Bett! So sehr ich meine Kinder liebe, nach einem langen Tag bin ich froh, wenn sie alle in der Falle sind und ich mal ein paar Stunden für mich habe.« Tina warf einen Blick in den Backofen. »Ich glaube, es ist bald fertig. Inzwischen könntest du mir von der Geschichte mit Felix erzählen.«

      »Ach Tina, er ist ein verdammtes Arschloch! Ich bin noch nie so enttäuscht und verletzt worden.«

      »Du wusstest auch nichts von der unehelichen Tochter? Er hat nicht mal dir was gesagt?«

      »Natürlich wusste ich davon. Ich war die Quelle für den Artikel.«

      »Du warst was? Mein Gott, Sophie! Dass die Story Gift für seine Karriere ist, das weiß ich. Was ist denn passiert? Ihr seid mit eurem, tja, ich sag mal Arrangement doch beide ganz zufrieden gewesen?«

      »Er war es!«, entgegnete Sophie fast trotzig. »Ich aber ab einem bestimmten Punkt nicht mehr. Vielleicht wollte ich mehr sein als die ständige Geliebte? Vielleicht wollte ich auch eine Familie?« Sie schloss kurz die Augen, um sich zu beruhigen. »Tja, und er wollte das nicht. Das habe ich jetzt auch kapiert. Er hat mich hingehalten und mir das Blaue vom Himmel versprochen. Lass uns heute nicht mehr davon reden. Ich brauch erst mal ein paar Tage Abstand.«

      »Ich weiß nicht, was ich sagen soll,