hörte auch, dass die Hunde von Zeit zu Zeit aufstanden und durch das Dorf liefen. Sie schnupperten. Irgendwann begann einer der Hunde zu knurren, dann begannen zwei oder drei der Hunde aufgeregt zu bellen. Dennis hörte, dass einige der Fremden aufstanden und zu den Hunden gingen. Dann herrschte wieder Ruhe.
Dennis begriff, dass die Hunde und das Feuer ein Schutz gegen wilde Tiere waren. Die musste es hier im Dschungel geben. Dennis begriff auch, dass es für ihn gefährlich war, alleine loszuziehen, ohne den Schutz der Fremden, die sich „die Péruan“ nannten. Wohin hätte er auch gehen sollen. Um ihn herum war nichts als dichter Dschungel.
Also blieb Dennis liegen.
Dennis dachte über seine Freunde nach, die sich jetzt bestimmt Sorgen machten. Hoffentlich hatte José aus dem Hochhaus unbeschadet entwischen können. Hoffentlich war alles andere glatt gegangen, und die Freunde waren alle wieder in Sicherheit. Er dachte an seine Mutter, die jetzt bestimmt wieder Todesangst um ihn hatte und ganz alleine zurückblieb. Er dachte an Laura, die ihm ans Herz gewachsen war, und er dachte über Trifter nach, der ihm geraten hatte, auch mal eine Auszeit zu nehmen.
Dennis seufzte und begann an etwas Freundlicheres zu denken. Warum sollte er das Ganze nicht als Abenteuer nehmen? Die Menschen im Dorf brachten ihm Hochachtung entgegen. Sie sorgten für sein Essen und sie bewachten ihn in der Nacht. Was besseres konnte es nicht geben, als ein paar Wochen bei den Fremden zu sein, Erfahrungen zu sammeln und Freundschaften zu schließen, um dann einen Weg zu finden, zurück nach Berlin zu fliegen.
Dennis beschloss, mit den Fremden eine Weile zu leben und sich dann in die Stadt bringen zu lassen. Dort würde sich sicher eine Fahrgelegenheit ergeben, oder ein Flug zurück in die Heimat. Wenn das eine so große Stadt war, wie die Fremden angedeutet hatten, dann würde es dort auch eine deutsche Vertretung, eine Mission oder gar eine Botschaft geben und sicher auch Fernbusse oder einen Flughafen.
Wenn er hier eine Weile lebte, dann konnte sich Dennis den Gebräuchen der Fremden widmen. Er konnte sie um eines dieser groben Stoffhemden und einen Lendenschurz bitten und seine eigene Kleidung für den Rückflug pflegen. Er hatte schon auf den Weg bemerkt, dass seine Kleidung hier im Dschungel nicht lange überleben würde. Es gab Gestrüpp, Dornengewächse und spitze Äste, die herunter hingen. All das würde seine Kleidung bald zerrissen haben. Außerdem waren die Jacke, das Sweatshirt und die lange Hose viel zu warm.
Er konnte mit den Fremden jagen gehen, vielleicht gab es ein Boot. Das Essen war zwar gewöhnungsbedürftig, aber es war ok. Dennis genoss die Lagerfeuerromantik. Er kannte das von zu Hause, aber hier war das doch ganz anders.
Dass Dennis über 2000 Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt worden war, konnte er nicht ahnen. Das Berlin, das er kannte, existierte nicht. Noch nicht.
Irgendwann schlief Dennis wieder ein.
2.
Dennis erwachte, weil alles um Dennis herum erwachte. Es war Halbdunkel, aber es hatte gestern den ganzen Tag ein Halbdunkel geherrscht. Die Bäume waren hoch und das Blattwerk war sehr dicht. Das hatte also nichts zu bedeuten.
Dennis sah auf seine Uhr - aber die gab ihm eine völlig falsche Zeit an. Wenn er hier 20.000 Km von zu Hause weg war, dann musste es hier ganz eine andere Weltzeit geben. Dennis hatte davon wenig Ahnung. Berechnen konnte er das nicht, und die Uhr konnte ihm jetzt wenig nutzen. Er musste versuchen, die Uhr auf 12 zu stellen, wenn die Sonne am höchsten stand. So konnte er die richtige Zeit wenigstens einigermaßen bestimmen.
Die Batterie war gerade gewechselt. Die Polstar-Uhr war wasserdicht. Die Uhr würde noch eine Weile laufen.
Dennis hörte ein Geräusch. Der Anführer mit den Perlen im Haar beugte sich zu Dennis, um zu prüfen ob alles in Ordnung sei. Dennis lächelte ihn an, und wünschte ihm einen guten Morgen. Der Anführer verstand das nicht. Solche Ausdrücke waren hier nicht üblich.
Das Dorf war hellwach. Jeder ging irgendeiner Tätigkeit nach.
Ein paar Kinder balgten sich mit den Hunden, bis einer der Erwachsenen sie zu sich rief. Vier der Männer hatten lange Speere in der Hand. Die Kinder bekamen Umhängetaschen, und die Gruppe entfernte sich auf einem Trampelpfad, der parallel zum Wasser vom Dorf wegführte.
Dennis fragte den Anführer, und er erfuhr, dass die Gruppe zum Fischen geht.
Dennis hatte noch keinen Hunger, aber er bat um etwas Wasser.
Der Anführer rief zwei der Frauen zu sich, sprach kurz mit ihnen, dann verbeugte er sich und ging.
Die beiden Frauen riefen ein paar der Kinder, dann machten sie sich mit Dennis auf zum Fluss. Das Gewässer war etwa 30 Meter breit und schien recht tief zu sein. Dort wo sie hingingen, gab es eine weite Ausbuchtung und einen Sandstrand. Die Frauen und die Kinder gingen in das Wasser, das an dieser Stelle nicht sehr tief war, und bedeuteten auch Dennis, er solle sich ausziehen und mitkommen.
Sie waren völlig ohne Scham. Eine der Frauen hatte ein kleines Kind auf dem Arm. Alle waren völlig nackt.
Für Dennis war die Situation neu, aber er dachte nicht lange nach, zog sich aus und ging zu den Frauen ins Wasser. Die Gruppe planschte und bespritze sich, die Kinder lachten vor Vergnügen und auch die Frauen lachten und warfen sich spielerisch Worte zu. Als Dennis ins Wasser kam, bespritzten ihn die Kinder. Dennis nahm ein Bad, das ihn erfrischte, und er trank auch von dem Wasser, das so klar war, dass er bis auf den Grund sehen konnte.
Als er aus dem Fluss kam, war er im Nu trocken. Obwohl es noch so früh am Morgen war, war die Luft warm und sie roch aromatisch.
Er sah, dass in einiger Entfernung zwei Männer mit Speeren standen und das Wasser aufmerksam beobachteten. Sie hatten Wache gestanden, solange die Gruppe beim baden war.
Dennis konnte genauso gut jetzt um neue Kleidung bitten und er fragte einen der Männer nach einem Hemd.
Es gab ein kurzes erstauntes Palaver, dann lief eine der Frauen ins Dorf, und kam mit einem bunt gewebten Hemd zurück, das sie Dennis reichte. Es war auffallend bunt. Ganz anders als die Hemden der Männer gestern.
Als sie zum Dorf zurückgingen, fragte er die Männer danach.
Er erfuhr, das sei das Hemd eines Häuptlings. Die Hemden der Männer gestern waren ein Ritual, um eine gute Jagd herbeizurufen, sonst blieben sie nackt.
Im Dorf zurück, verstaute Dennis seine Sachen in der Hütte, dann ging er zum Anführer der Gruppe und bat ihn um zwei Begleiter. Der Anführer nickte. Er rief eine runzlige Frau und ein vielleicht 12 jähriges Mädchen herbei. Sie würden ab jetzt für Dennis sorgen.
Wenn Dennis schon hier blieb, dann konnte er auch versuchen, die Sprache der Péruan lernen. Das Kauderwelsch war gut, aber es war nur ein Hilfsmittel.
Im Laufe des Vormittags lernte Dennis eine ganze Reihe von Worten. Er wusste jetzt, was Hemd heißt, er bat um einen Lendenschurz, die Alte sagte dazu Piri Piri. Sie kicherte und rief einen der Männer herbei, dem sie etwas ins Ohr flüsterte.
Er kicherte ebenfalls und ging weg. Dennis erfuhr, dass die Alte „Kkhiso“ hieß und das Mädchen ihre Enkelin war, die sie „Polia“ nannte.
Dennis sagte ihr auch seinen Namen „Dennis“. Die Alte nahm das mit großer Verwunderung auf. Allerdings sprach sie seinen Namen anders aus, „Thénnis“, sagte sie.
Später sollte Dennis erfahren, das er einen heiligen Namen trug, denn das „Thén“ bedeutete soviel wie Sonnengott. Thénnis lautete etwa „der von der Großen Sonne Geschickte“.
Für die Peruan war das alles ein Glücksfall. Der „Thénnis“ war zu ihnen in Menschengestalt herabgestiegen und er lebte jetzt wie einer von ihnen. Ein Gott war für sie heilig und sie würden nie fragen, warum der Gott zu ihnen gekommen war, aber sie wussten: die „Heilige Sonne“ hatte ihr Dorf auserwählt.