Der Muskogee-Creek Medizinmann und Bürgerrechtler Philip Deere beschreibt die Auswirkungen und neuen Konflikte, die durch den „General Allotement Act“ für sein Volk bis in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden sind, sehr deutlich in dem von Daniel C. Rohr herausgegebenen Buch „Das entzündete Feuer - Botschaften und Reden“(1986, S. 73 f).
Diese Fraktionalisierung des Landes führte dazu, dass in Wisconsin sich 2.300 Natives das Eigentum an 0,3 Quadratkilometern Land teilen oder in der Pine Ridge Reservation 6.000 Parzellen im Besitz von ca. 200.000 Eigentümern sind, die über jede Nutzung dann mehrheitlich entscheiden müssen.
Derzeit verwaltet das Innenministerium (DOI) treuhänderisch ca. 226.000 Quadratkilometer indianischen Landes, davon ca. 43.370 Quadratkilometer für einzelne Indianer, aufgeteilt in 493.909 Parzellen bei nahezu 3 Mio. Anteilseignern. Die restliche Fläche ist Stammesland. Für die Eigentümer bringt diese treuhänderische Verwaltung kaum Ertrag: fast 50 % des Landes erzielt keinen Gewinn, und 2013 erhielten 60 % der indianischen Eigentümer lediglich 25 Dollar oder weniger für die Fremdnutzung ihres Landes.23
Drei weitere Gesetze sollen an dieser Stelle noch kurz erwähnt werden. Bereits drei Jahre vor Erlassen des „General Allotment Act“ wurde 1884 ein Verbot der Ausübung indianischer Religion erlassen. 1924 erhielten alle Indianer der USA den Status US-amerikanischer Staatsbürger. In manchen Reservationen wurden erst vier Jahre zuvor die letzten bewaffneten Reservationswachen der Armee abgezogen. Das Gesetz räumte der indianischen Bevölkerung zwar mehr Rechte ein, doch eine mögliche weitere Bedeutung dieses Gesetzes sollte erst drei Jahrzehnte später im Rahmen der Umsiedlungs- (relocation) und Termination-Politik der US-Regierung deutlich werden. 1934 wurde unter Präsident Franklin D. Roosevelt der „Indian Reorganisation Act“ verabschiedet. Dieses Gesetz sollte dazu beitragen, „die kulturelle und kommunale Identität der Stämme wieder aufzubauen. Die Indianer konnten Stammesräte wählen und erhielten nicht verteiltes Land zurück sowie deutlich mehr finanzielle Unterstützung für Landwirtschaft, Bildung, Kunsthandwerk und Gesundheit.“24
Traditionelle Indianer sahen hierin allerdings einen weiteren Versuch der Zerstörung ihrer Kultur und Selbstbestimmung. Für die Traditionellen war immer noch das Häuptlingssystem Leitbild der Stammesorganisation. Manche Stämme wie die Diné kannten nicht einmal ein hierarchisches Häuptlingssystem. Konkreter Anlass für die Schaffung der Stammesräte war tatsächlich das Bestreben, die reichen Kohlevorräte auf dem Land der Diné und Hopi abzubauen, doch für Verträge bedurfte es eines Vertragspartners. Also wurden mit den Stammesräten eben solche neu geschaffen. An dem Modell der sogenannten Stammesregierungen (Tribal Council) kritisierten und kritisieren auch heute noch viele Natives, dass mit der Übernahme des Regierungsmodells der westlichen Demokratien Machtmissbrauch, Korruption, Interessenspolitik und die Spaltung der Community Einzug gehalten haben. (In diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle auf die Junta de Buen Gobierno, den Rat der guten Regierung, in den zapatistischen Gemeinden in Süd-Mexiko verwiesen. Dieses Modell versucht in den indigenen Gemeinden der Zapatisten mit einem Modell horizontaler, rotierender und kollektiver Instanzen die Entstehung personen- oder gruppenbezogener Macht aufgrund von Regierungsverantwortung zu verhindern.25
Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts markierten eine erneute Wende. Der zunehmende Energie-, Wasser- und sonstige Ressourcenbedarf des Nachkriegsamerikas führte dazu, zur Deckung dieses Bedarfs neue Talsperren zu bauen, Grundwasservorkommen für die Versorgung fern gelegener Städte zu nutzen und zwecks Uran-, Kohle-und Kupferabbau ganze Landschaften zu verwüsten. Die Regierung bezeichnete diese Gegenden als „nationale Opfergebiete“ (national sacrifice areas), die den Interessen des „amerikanischen Gemeinwohls“ zu opfern seien. Und wieder wurden Indianer umgesiedelt, deren heilige Orte entweder geflutet oder zu Abbaugebieten erklärt. Längst war den Regierenden und Herrschenden klar geworden, dass über 60 % aller relevanten Bodenschätze auf indianischem Gebiet lagen. Was lag also näher als einen erneuten Versuch der Vertreibung zu unternehmen? Schließlich waren die Indianer doch nun Bürger der USA. Für was also Sonderrechte und Staatsausgaben für Bildungs- und Gesundheitswesen, Sozialprogramme und Lebensmittelhilfen in indianischen Reservationen? Wäre es nicht endlich Zeit für die Reservationsbewohner, diese Orte der Armut und Ausgrenzung zu verlassen und in die Großstädte zu ziehen und endlich die Reservationen aufzulösen? So könnten auch alle Garantien aus den Verträgen zwischen den indianischen Völkern und den USA hinfällig werden, die bislang regelten, dass Grund und Boden in Reservationen einen besonderen Gemeinschaftsstatus haben und daher nicht einfach individuell genutzt bzw. weiterverkauft werden können.
Die unter Präsident Eisenhower gestartete Terminations- und Umsiedlungs-Politik wurde bereits um 1943 entwickelt und zwischen 1953 und 1958 zwangsweise umgesetzt. Der „Indian Relocation Act“ trug dazu bei, dass tausende indianischer Familien in die Großstädte zogen und dort in kürzester Zeit in den ethnischen Ghettos der Stadtindianer in den klassischen Deklassierungskreislauf von Arbeitslosigkeit, Armut, Verelendung, Alkohol und Sucht, Gewalt und Apathie gerieten. Zwar verpflichtete sich die Regierung, die in die Städte wechselnden Indianer finanziell zu unterstützen, „jedoch nur, bis sie ihre ersten Arbeitsverhältnisse gefunden hatten. Nach Auflösung dieses ersten Arbeitsverhältnisses, aus welchem Grund auch immer, gab es für sie keine Hilfen mehr, und auch der Weg zurück in die Reservation blieb ihnen nun versperrt.“26
Zwischen 1953 und 1967 wurden ca. 61.600 Natives durch dieses Umsiedlungsprogramm in die Städte vertrieben, bis 1972 ca. 78.000, von denen ca. ein Drittel arbeitslos blieb. Um diese Umsiedlung zu erreichen, stoppte die US-Regierung sämtliche Unterstützungsleistungen des Bundes an die Reservationen. „Es wurde eine Liste mit sämtlichen Stämmen erstellt, die genügend fortgeschritten waren, um sofort terminiert, also aufgelöst, zu werden. Bis 1962 wurden 120 meist kleinere Stämme, jedoch auch einige größere wie die Menominee in Wisconsin oder die Klamath in Oregon, kurzerhand aufgelöst. Davon betroffen waren rund drei Prozent aller Indianer, die meisten an der Westküste wohnhaft. Die Indianer verloren ihren autonomen Sonderstatus. Sie mussten Steuern zahlen, was sie meist nicht konnten, und erhielten keine staatliche Unterstützung mehr. Die in der Vergangenheit vertraglich zugesicherten regelmäßigen Entschädigungszahlungen, als Gegenleistung für die Besiedelung indianischen Landes durch die Weißen, liefen aus. So waren die Indianer bald von Sozialhilfe abhängig. Sie verloren die Kontrolle über ihr Reservat und über ihr Land. Alleine zwischen 1953 und 1957, also in den ersten vier Jahren der Terminationspolitik verloren die Indianer 1,8 Millionen acres (7.300 km2). Bis zum Ende der Terminationspolitik sollten es über 2,4 Millionen acres (9.700 km2) sein.“27
Diese Politik wurde von Dillon Myer beaufsichtigt und vorangetrieben, jenem Mann, der während des Zweiten Weltkrieges für die Internierung japanisch-stämmiger US-Bürger verantwortlich war. Für diejenigen, die sich weigerten, ihre Reservationen zu verlassen, brachen harte Zeiten an. Viele Menschen, vor allem Alte, Kranke und Kleinkinder, starben an den Folgen von Hunger, Unterernährung, Kälte oder mangelnder medizinischer Versorgung. Leonard Peltier, indianischer politischer Gefangener und AIM-Aktivist, beschrieb diese Zeit wie folgt:
Hunger war das Einzige, von dem wir genügend hatten: Oh ja, davon hatten wir ausreichend, genug für jeden. Wenn verzweifelte Mütter ihre Kinder mit aufgequollenen Bäuchen ins Krankenhaus brachten, lächelten die Schwestern und sagten ihnen, die Kinder hätten nur „Blähungen“. Ein kleines Mädchen, das ganz in der Nähe von uns im Reservat wohnte, starb an Unterernährung. Für mich wurde sie „aufgelöst“.28
Ein weiteres Instrument, die indianische Bevölkerung in das System des weißen Amerika zu assimilieren, war die groß angelegte Umerziehung indianischer Kinder. Das Motto lautete „Kill the Indian – save the man“, zu Deutsch „Töte den Indianer, rette den Menschen“. Diese Zurichtung und Umerziehung erfolgte zum einen in den nordamerikanischen Internatsschulen (USA: Boardingschools, Kanada: Residential Schools), die entweder durch christliche Kirchen oder das Bureau of Indian Affairs (USA) bzw. das Department of Indian Affairs and Northern Development (Ministerium für indianische Angelegenheiten und Entwicklung des Nordens, Kanada) betrieben wurden, zum anderen durch die Freigabe indianischer Kinder zur Adoption und Pflege.
Der kanadische Spielfilm „Wo ich zuhause bin“ (Where The Spirit Lives) von Bruce Pittman