Grundfreiheiten als Rechtspositionen des Einzelnen ist die Entwicklung eines „Allgemeinen Teils“ für alle Grundfreiheiten und damit verbunden auch eine starke Annäherung an die allgemeine Grundrechtsdogmatik in der Tradition „europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit“[66]. Dies erklärt, warum der EuGH trotz des unterschiedlichen Wortlauts der primärrechtlichen Bestimmungen seiner Prüfung ein einheitliches Konzept und Prüfprogramm zugrunde legt[67]. Diese dogmatische Parallele spiegelt sich im dreistufigen Prüfungsaufbau wider. Wie in der Grundrechtsprüfung lassen sich Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung unterscheiden (s. Rn 57 ff). Allerdings greifen die Marktfreiheiten nur dann ein, wenn es sich um eine „Teilnahme am Wirtschaftsleben“ handelt und der erforderliche grenzüberschreitende Bezug gegeben ist. Außerdem muss das angegriffene Verhalten dem Mitgliedstaat zuzurechnen sein. Diese Anforderungen werden – soweit der Sachverhalt dafür Anlass bietet – vorab geprüft (vgl Rn 52 ff). Entwickelt wurden viele allgemeine Grundfreiheitenlehren anhand der Warenverkehrsfreiheit, die allerdings für das öffentliche Wirtschaftsrecht in ihrer Bedeutung hinter den anderen Grundfreiheiten zurückbleibt.
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Wie die Grundrechte sind auch die Grundfreiheiten in erster Linie (staatsgerichtete) Eingriffsabwehrrechte (zu den Adressaten näher Rn 56) und fungieren als Beschränkungs- und nicht allein als Diskriminierungsverbote[68]. Außerdem können auch aus den Grundfreiheiten staatliche Schutzpflichten abgeleitet werden.
Die europäische Konzeption hat der EuGH in zwei Grundlagenentscheidungen entwickelt. Im Urteil vom 9.12.1997[69] entschied der EuGH, dass die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 34 iVm Art. 4 Abs. 3 AEUV (ex Art. 28 iVm Art. 10 EGV) verstoßen hat, indem sie „nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr […] nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird“. Offen blieb die Frage nach den Grenzen der staatlichen Handlungspflicht. Angesichts der Weite der Dassonville-Formel und damit des Grundfreiheitentatbestands kann jedenfalls nicht für jedes private Handeln mit Eingriffsqualität eine Handlungs-(und ggf dadurch eine Haftungs-)pflicht des Staates begründet werden[70]. Mit dieser Frage einer Rechtfertigung der Beeinträchtigung beschäftigte sich der EuGH in der zweiten Entscheidung v. 12.6.2003 zur Brenner-Blockade[71]. Grundrechte und Grundfreiheiten sind gleichermaßen vom Unionsrecht geschützte und damit von den Mitgliedstaaten zu beachtende Rechte, zwischen denen – ähnlich wie in der deutschen Grundrechtsdogmatik bei der Kollision zweier Grundrechte – „ein angemessener Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz gesucht werden muss“[72]. Mittlerweile hat sich die Problematik der Verkehrsblockaden ins sekundäre Unionsrecht verlagert[73]. Außerdem setzt sich auf europäischer Ebene immer mehr die unmittelbare Grundrechtsbindung Privater durch (s. dazu Rn 56).
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Die zunehmende Rechtsvereinheitlichung im Binnenmarkt wirft aber auch die Frage einer Bindung der Union an die Grundfreiheiten auf. Schon das Primärrecht zeigt, dass auch der Unionsgesetzgeber nicht im Widerspruch zu den primärrechtlichen Vorschriften über den freien Warenverkehr handeln darf (vgl Art. 5 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2 S. 2 EUV und Art. 2 Abs. 6 AEUV). Konsequenterweise überprüft der EuGH daher auch Sekundärrecht auf seine Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten[74]. Bisher räumte er dabei dem EU-Gesetzgeber einen weiten Ermessenspielraum ein[75].
Demgegenüber findet sich vor allem in der deutschen Literatur die These, es liege schon kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vor, da einheitlich wirkende Maßnahmen des Unionsgesetzgebers keine marktzugangsrelevanten Wirkungen entfalten könnten. Deshalb seien derartige unionale Akte primär an den Unionsgrundrechten, insbesondere der Berufs- und Unternehmerfreiheit (Art. 15 f GRCh), zu messen[76].
b) Teilnahme am Wirtschaftsleben
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Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen sämtliche wirtschaftlichen, dh entgeltlichen Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Allerdings wird dieses Merkmal weit verstanden, so dass es den Anwendungsbereich kaum beschränkt. Ganz im Gegenteil hat der EuGH den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten erheblich über das Wirtschaftsrecht im engeren Sinne hinaus ausgedehnt[77].
Die Teilnahme am Wirtschaftsleben geht über den Anwendungsbereich des deutschen Gewerberechts (s. dazu Rn 213 ff) hinaus. Nach Art. 57 Abs. 1 lit. d AEUV fallen zB auch freiberufliche Tätigkeiten, zB von Apothekern, Ärzten und Rechtsanwälten unter die Dienstleistungsfreiheit. Die Qualifikation als Teilnahme am Wirtschaftsleben gilt unabhängig davon, wie ein Mitgliedstaat diese Bereiche regelt. Grundsätzlich sind auch Spielbanken, Sportwetten, Lotterien und ähnliche Veranstaltungen Bestandteil des Wirtschaftslebens, selbst wenn eine solche Veranstaltung von vornherein nur der öffentlichen Hand erlaubt ist (Staatsmonopol) oder dem Staat jedenfalls ein (beträchtlicher) Teil des Erlöses zufließt[78]. Entsprechendes gilt für die Prostitution, sofern sie in einem Mitgliedstaat zumindest partiell legal ausgeübt werden kann bzw staatlich reglementiert wird[79] (s. aber zur Berücksichtigung der nationalen Ordnungsinteressen unten Rn 67).
c) Grenzüberschreitender Bezug
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Da die Beseitigung der Hindernisse für den freien Verkehr von Waren, Personen und Kapital der Verwirklichung des Binnenmarktes dient, greifen die Grundfreiheiten nur dann, wenn der Sachverhalt einen Bezug zum Binnenmarkt hat, also grenzüberschreitende Sachverhalte erfasst[80]. Daran fehlt es, wenn ein Staat nur das Verhalten seiner eigenen Bürger regelt (zu den Konsequenzen einer damit uU verbundenen Inländerdiskriminierung s. Rn 151). In neueren Entscheidungen wurde der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten allerdings dadurch erheblich ausgedehnt, dass der EuGH uU einen hypothetischen grenzüberschreitenden Bezug genügen lässt[81]. Durch die damit verbundene Anwendung der Grundfreiheiten auf Sachverhalte ohne konkrete Beteiligung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten wird die Zahl der verbleibenden ausschließlich innerstaatlichen Sachverhalte erheblich eingeschränkt. Dies folgt vor allem aus dem Umstand, dass sekundärrechtliche Konkretisierungen der Grundfreiheiten auf rein innerstaatliche Fälle erstreckt werden. So verlangt insbesondere die DienstleistungsRL (RL 2006/123/EG) keinen grenzüberschreitenden Bezug[82].
d) Bereichsausnahmen für die öffentliche Gewalt
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Nach Art. 51 AEUV sind die Niederlassungsfreiheit und über den Verweis in Art. 62 AEUV auch die Dienstleistungsfreiheit nicht anwendbar, wenn es sich bei der fraglichen Tätigkeit um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt; auch im Sekundärrecht – etwa für den Anwendungsbereich des Vergaberechts – wird die Bereichsausnahme relevant. Es handelt sich um einen unionsrechtlichen Begriff, der als Ausnahme von den Grundfreiheiten eng auszulegen ist[83]. Allerdings hat der EuGH bisher keine wirkliche Definition geliefert, so dass sich um die Anwendung regelmäßig Kontroversen entzünden. Eindeutige Fälle der Ausübung von öffentlicher Gewalt in diesem Sinne sind Justiz, Polizei und Militär. Zur öffentlichen Gewalt gehört aber auch die staatliche Wirtschaftsaufsicht.
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Problematisch wird die Bereichsausnahme immer dann, wenn Private in die Aufgabenerfüllung einbezogen werden. Nach dem EuGH werden allein solche Tätigkeiten erfasst, „die, in sich selbst betrachtet,