Einerseits nein, denn manche Christinnen und Christen leben von Jugend an bruchlos ihren Weg engagiert mit Gott. Andererseits ja, denn in einer glaubensarmen Welt muss die Fremdheit des Glaubens irgendwann schmerzhaft durchlitten werden, und ein Bruch hilft zu dieser Erfahrung. Niemand wünscht sich – mit sehr guten Gründen – den harten Bruch; wer aber, getroffen wie Iñigo, an ihm nicht verzweifelt, sondern ihn als Chance für neue innere und äußere Wege ergreift, wird von Gott geführt werden.
1Für die frühe Biographie des Ignatius von Loyola ist der später von ihm diktierte Bericht des Pilgers die wichtigste Quelle; hier nach einer Ausgabe von P. Knauer (Leipzig 1990) zitiert (im Folgenden abgekürzt mit BP und den in allen Ausgaben identischen Randnummern).
2Die berühmten Legenda aurea des Dominikaners Jacobus de Voragine und die Vita Christi des Kartäusers Ludolph von Sachsen.
3Ausführlicher dazu: S. Kiechle, Ignatius von Loyola. Leben – Werk – Spiritualität. Würzburg 32020.
4Der Jesuitenorden hat dazu ein „Ignatianisches Jahr“ ausgerufen: Ignatian Year | The Society of Jesus; URL: https://www.jesuits.global/tag/ignatian-year/ (Stand: 01.06.2021).
5Geistliche Übungen, Nr.
N
Markus Kneer | Schwerte
geb. 1972, Dr. theol., Priester, Lehrbeauftragter für Islamwissenschaft an der PTH Münster
Emmanuel Mounier und die Spiritualität der Begegnung
Emmanuel Mounier (1905–1950) ist als einer der Vordenker des christlich inspirierten Personalismus in Frankreich bekannt geworden und hat die bis heute existierende Revue Esprit mitbegründet, deren Chefredakteur er bis zu seinem Tod war. Sein Denken ist immer noch in romanisch-sprachigen Ländern – anders als in Deutschland und Österreich – präsent. Sein letztes und bekanntestes Werk, Le personnalisme, erlebte 19 Auflagen (eine Übersetzung ins Deutsche steht immer noch aus).
Dieser Beitrag ist jedoch nicht dem theoretischen Werk Mouniers gewidmet, sondern seiner Praxis. Unter Praxis wird hier die Art und Weise verstanden, mit der Mounier Menschen in den Gesprächen, die er mit ihnen führte, oder in den Kontexten, die sie zusammenführten, begegnete. Dass wir dies nachvollziehen können, ist der Veröffentlichung der jeweils mit Entretiens überschriebenen 14 Hefte zu verdanken, in denen Mounier Notizen über ebenjene Begegnungen festhielt.1 Um zu erfassen, worin die Besonderheit dieser Entretiens liegt, die uns berechtigen, hier von einer „Spiritualität der Begegnung“ zu sprechen, soll hier zunächst die Person desjenigen vorgestellt werden, der die Entretiens verfasst hat. In einem zweiten Schritt werden Mouniers Reflexionen über seine Praxis dargelegt, um dann zuletzt exemplarisch drei der von ihm dokumentierten Begegnungen in den Blick zu nehmen.
Emmanuel Mounier – eine biographische Skizze
Emmanuel Mounier wird am 01.04.1905 als Kind eines Apothekenangestellten und dessen Frau in Grenoble geboren.2 Die Familienverhältnisse sind bescheiden, aber harmonisch. Seine ältere Schwester Madeleine wird ihm Zeit seines Lebens immer eine Vertraute bleiben. Die Mouniers sind praktizierende Katholiken. Nach dem Baccalauréat beginnt er 1921 auf Wunsch seiner Eltern zunächst ein Medizinstudium, wechselt aber nach einem Jahr zur Philosophie. Schnell wird der Pascal- und Bergson-Spezialist Jacques Chevalier (1882–1962) auf ihn aufmerksam und nimmt ihn in eine philosophische Arbeitsgruppe auf, der u.a. der Philosoph Jean Guitton angehört. Die Protokolle, die er von den Sitzungen der Gruppe anfertigt, bilden dann auch das erste Heft (Cahier) der Entretiens. Parallel dazu besucht er am Grenobler Priesterseminar Christologie-Vorlesungen des Abbé Émile Guerry, die ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem Modernismus und der historisch-kritischen Exegese stehen. Durch Abbé Guerry, der sich stark für die Katholische Aktion einsetzt, animiert, engagiert sich Mounier in dessen Gemeinde auch karitativ. Nach erfolgreichem Studienabschluss in Grenoble (mit einer Arbeit über Descartes) geht Mounier 1927 nach Paris, um sich auf die Agrégation, die nationale Prüfung zur Anstellung als Gymnasiallehrer, vorzubereiten. Die Anonymität der Stadt macht ihm zu schaffen. Im Januar 1928 stirbt sein bester Freund Georges Barthélémy nach kurzer, schwerer Krankheit. Seine theologischen Studien verfolgt er in einer Art Privatunterricht bei dem von einem Lehrverbot wegen Modernismus betroffenen Lazaristenpater Guillaume Pouget (1847–1933). Er wird in der Folgezeit Lehrer an verschiedenen Gymnasien und arbeitet zugleich an einer Dissertation über den spanischen Mystiker Johannes ab Angelis. In den Weihnachtsferien entdeckt er die Schriften des Dichters Charles Péguy für sich. Später wird er mit einem Freund und dem Sohn Péguys sein erstes Buch über das Denken Péguys verfassen. Mounier frequentiert Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre auch den Kreis, der sich um den zur katholischen Kirche konvertierten Philosophen Jacques Maritain (1882–1973) gebildet hat. Zugleich besucht er die katholischorthodoxen Treffen, die von Maritain und Nicolas Berdiaeff (1874–1948), dem aus der Sowjetunion emigrierten Existenzphilosophen, in Meudon und Clamart abgehalten werden (auch für diese Treffen legt er Cahiers an).
Esprit
Mit anderen jüngeren Leuten reift schließlich der Gedanke, eine eigene Bewegung mit einem dazugehörigen Organ zu begründen. Daraus entsteht die Revue Esprit, deren erste Nummer im Oktober 1932 erscheint. In ganz Frankreich entstehen Esprit-Gruppen, in denen die Losung der Bewegung, „Refaire la Renaissance“, und weitere Impulse diskutiert werden. Mounier ist Chefredakteur, arbeitet aber gleichzeitig als Lehrer an der französischen Schule in Brüssel. Dort lernt er seine spätere Frau, die Belgierin Elsa „Paulette“ Leclercq (1905–1991), kennen. Sie werden 1935 heiraten.
Der Neubeginn, den Esprit anstoßen will, ist durch die Krise von 1929 ausgelöst. Jedoch führen die Personalisten die Krise nicht allein auf wirtschaftliche und soziale Gründe zurück, sondern in erster Linie auf ein reduktionistisches Menschenbild, welches das isolierte „Individuum“ in den Mittelpunkt stellt, das der Welt und den anderen Menschen aus Distanz begegnet. Dagegen entdecken sie in der „Person“ einen Gegenbegriff, der gar nicht ohne andere Personen zu denken ist.
Entdeckung der Person
Die Personalität des Menschen zeigt sich in grundlegenden Erfahrungen. Diese führen zu der Einsicht, dass Personen immer schon in der Welt engagiert und mit anderen Personen verbunden sind. Eine dieser Erfahrungen ist die Kommunikation, die jedem Für-sich-sein vorausgeht.3 Daher kommt neben dem grundsätzlichen Nachdenken über den Menschen als Person auch der Einsatz in konkreten Kontexten zur Sprache: Esprit nimmt Stellung zu den zeitgenössischen politischen Fragen (z.B. Spanischer Bürgerkrieg, Appeasement-Politik, Nationalsozialismus). Vor kirchlichen Autoritäten muss sich die Revue hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit Nichtkatholiken rechtfertigen. In der Familie stehen Emmanuel und Paulette vor der Herausforderung, dass eine ihrer Töchter, Françoise, an einer Gehirnkrankheit leidet. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Mounier eingezogen und gerät in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung versucht er, Esprit weiterzuführen und das totalitär ausgerichtete Vichy-Regime subversiv zu kritisieren. Das Vorhaben fliegt auf und er wird inhaftiert (in Lyon, Clermont-Ferrand, Grenoble, wo er Gefängnistagebücher führt, die Teil der Entretiens sind), tritt in Hungerstreik, wird schließlich entlassen und zieht sich mit seiner Familie in den kleinen Ort Dieulefit südwestlich von Grenoble zurück.