kein Fachmann zu sein, um sie als Pekuni zu identifizieren. Merde! Er fluchte leise vor sich hin.
Pierre überlegte, wie er seine Kumpel unterstützen konnte, ohne dass er selbst in Gefahr geriet. Er blickte auf die Gewehre und grinste. Beide waren Waffen für die Jagd und daher gut geeignet, Schüsse aus der Distanz abzugeben. Problematisch war nur, dass er seine Position verriet, sobald er schoss. Außerdem kannte er die erbeutete Waffe nicht. Sie hatte einen kürzeren Lauf als seine Rifle und schien neuwertig zu sein. Wahrscheinlich hatte dieser Sous-Merde, dieser Haufen Scheiße, wie er die Hudson‘s Bay Company im Norden verächtlich nannte, die Stämme mit neuen Waffen ausgestattet und sie gegen die Amerikaner aufgehetzt. Seit die Amerikaner das Louisiana Territorium und somit auch den Oberlauf des Missouri von den Franzosen abgekauft hatten, schien sich die britische Regierung nicht damit abfinden zu können, dass sich hier nun amerikanische Händler niederließen.
Pierre musterte kurz das neue Gewehr. Wahrscheinlich würde es zuverlässig schießen; nur die Treffsicherheit wäre fraglich. Aber mit seiner Pistole käme ein weiteres Überraschungsmoment hinzu. Pierre hatte wenig Lust, ein zweites Mal an diesem Tag einen Kampf durchzustehen, aber er konnte seine Freunde auch nicht im Stich lassen. Wenn die Männer im Fort Unterstützung von außerhalb bekamen, würde das die Angreifer verwirren. Außerdem konnten diese nicht wissen, um wie viele Männer es sich handelte. Wenn er die Position wechselte, dann würden sie glauben, dass mehrere Trapper zurückkamen, um ihren Freunden zu helfen. Methodisch prüfte Pierre die beiden Gewehre, lud die Pistole und schaute sich dann das Gelände an, um zu entscheiden, wo er verschwinden und wieder zuschlagen würde. Die Gegend war zerklüftet und bot ausreichend Möglichkeiten, um unterzutauchen. Leider lag Schnee, sodass man seine Bewegungen nachverfolgen konnte. Das musste er einkalkulieren. Wieder war Gewehrfeuer zu hören, und die Indianer antworteten mit wütendem Gebrüll. Pierre konnte sehen, wie sie sich im Schutz einiger Felsen und größerer Steine der Palisade näherten. Sie griffen nicht blindlings an, sondern nutzten geschickt die Deckung des Geländes.
Auch Pierre näherte sich dem Fort, um eine bessere Schussposition zu haben. Er wählte eine kleine Anhöhe, kroch dort unter die Fichten und suchte sich sein Ziel. Geduldig wartete er auf die beste Möglichkeit: einen Krieger, der hinter einem Stein hockte und sich nicht bewegte. Pierre zielte auf den Körper, weil der das größte Ziel bot. Der Schuss wäre vielleicht nicht tödlich, würde den Mann aber kampfunfähig machen. Der Oberkörper war nackt und dick mit Fett eingeschmiert, um für den Kampf mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Der Knall des Schusses rollte über das Tal, und der Mann sackte zusammen. Pierre wartete nicht ab, ob und wie schwer er den Mann getroffen hatte. Flink rutschte er außer Sichtweite, rannte im Windschatten der Felsen in südöstlicher Richtung – froh darum, dass hier nicht viel Schnee lag – und stürzte sich dann schnaufend unter einige Fichten. Vorsichtig kroch er bis an den Rand der Anhöhe und besah sich den Schaden, den er angerichtet hatte.
Wagh! Drei Indianer bewegten sich auf die Stelle zu, wo der Pulverdampf immer noch in der Luft schwebte. Je näher sie kamen, desto deutlicher waren ihre Gesichter zu erkennen: Männer mit grimmigen Mienen, die unter der schwarzen und roten Kriegsbemalung noch furchterregender wirkten. Auch sie hatten die Kleidung abgelegt und sich mit Fett eingeschmiert; ob noch mehr Indianer in der unmittelbaren Nähe waren, konnte er nicht erkennen. Dazu blieb auch keine Zeit, denn die Krieger hatten den Platz erreicht, erkannten, dass er verlassen war und machten sich auf die Suche nach dem Feind. Im Tal ging der Angriff indessen weiter: Zwei Krieger versuchten die Palisade zu überwinden, doch ein Pistolenschuss verhinderte dies im letzten Moment. Einer der Krieger stürzte innerhalb der Palisade stöhnend zu Boden, während der andere die Flucht ergriff. Von drinnen war triumphierendes Geschrei zu hören – dann krachte ein weiterer Schuss, und alle wussten, was dies zu bedeuten hatte. Die Blackfeet schrien wütend, während die Stimmen hinter den Palisaden nun zuversichtlicher wurden. „Hey, ihr Rothäute! Kommt nur her, wenn ihr euch traut!“
Pierre grinste schief, als er dies hörte. Anscheinend funktionierte sein Ablenkungsmanöver. Vorsichtig schob er sich an den Fichten entlang und wartete auf den nächsten Feind. Er hatte sein Gewehr inzwischen nachgeladen, sodass ihm wieder drei Schüsse zur Verfügung standen. Die Chancen standen nicht schlecht. Aus der sicheren Deckung nahm er den ersten Krieger, der witternd wie ein Wolf seiner Spur folgte, ins Visier. Er zögerte keine Sekunde, sondern schoss, sobald er freie Sicht hatte. Der Krieger griff sich erschrocken an die Brust und stürzte dann nach vorn. Die beiden anderen Krieger gingen sofort zum Angriff über. Wahrscheinlich dachten sie, dass der weiße Mann nun Zeit brauchte, um sein Gewehr zu laden. Weit gefehlt! Pierre riss das andere Gewehr hoch, zielte und schoss.
Die Kugel pfiff an dem Angreifer vorbei, der jedoch völlig verwirrt war und kurz inne hielt. Pierre fackelte nicht lange. Er ließ das Gewehr fallen, riss die Pistole hoch und gab einen zweiten Schuss auf den Mann ab. Dieses Mal traf er ihn in den Kopf. Das Gesicht platzte auf, und der Mann wurde durch den Schuss rückwärts zu Boden geworfen. Der dritte Mann hechtete zur Seite und entschloss sich zur Flucht. Ein Mann, der dreimal schießen konnte, war ihm wohl zu gefährlich. Pierre wechselte sofort seine Position und rannte geduckt zur nächsten Anhöhe. Wachsam sah er sich um, dann kniete er sich hin und lud seine Waffen nach. Der Schweiß lief ihm den Rücken hinunter und tropfte von seiner Stirn. Er nahm die Mütze ab, wischte sich die Stirn trocken und wechselte wieder die Position. Im Dauerlauf umrundete er einen kleinen Hügel und ging dann hinter zwei Birkenstämmen in Deckung. Wieder legte er seine Rifle an und wartete in Ruhe ab. Er war im Vorteil, denn er bestimmte, wo der Kampf ausgetragen wurde. Dann wurde es ruhig. Weder vom Fort noch aus der näheren Umgebung waren irgendwelche Geräusche zu hören. Am Himmel kreisten ein paar Krähen, ließen sich dann auf einigen kahlen Ästen nieder und stießen ihre krächzenden Rufe aus.
Pierre DuMont wartete gute zwanzig Minuten, dann wagte er sein Glück: Im Dauerlauf rannte er einen Pfad entlang in Richtung des Forts, rief schon von weitem, dass er ein Freund sei, und änderte dann seinen Lauf in einen Zickzackkurs. „Ami, Ami!“, rief er mit überschnappender Stimme. „Ouvrez la porte!“
Keuchend erreichte er das Tor, das sich einen Spalt breit öffnete, und quetschte sich hindurch. Sein zweites Gewehr blieb hängen, doch eine Hand griff danach und zerrte es ebenfalls hindurch, während zwei andere Hände ihn packten, nach innen zogen und ihn sofort aus dem Schussfeld in Sicherheit hinter dem Palisadenzaun schubsten.
„Êtes-vous complètement dans l‘erreur? “ – Bist du völlig irre? Pierre blickte in die wütenden Augen von Louis, einem der französischen Trapper im Fort. Dann fing er aus vollem Hals an zu lachen. „Aber nein …!“, keuchte er nach Atem schnappend. „Ich glaube, die Injuns sind weg! Habe bestimmt vier von denen erwischt. Die sind über alle Berge!“
„Vraiment?“ Louis drehte sich zu den anderen Männern um und winkte ihnen zu. „Les Indians sont partis!“
Aus mehreren Ecken des Forts schauten ein paar Gesichter hervor, doch eine scharfe Stimme hielt sie zurück. „Jeder bleibt auf seinem Posten! Kann auch eine Finte sein!“ Es war „Colonel“ Menard, ein erfahrener Trapper und gleichzeitig unangefochtener Anführer, solange der Boss nicht da war. Er sprach die Sprache der Apsalooke und war somit von unschätzbarem Wert. Er war als „Guide“, als Führer, angeheuert worden, da er die Gegend von früheren Expeditionen her kannte. Vom Aussehen unterschieden sich die Männer kaum. Gleichgültig, welchen Rang sie bekleideten, trugen alle indianische Leggins, gefütterte Mokassins oder Stiefel und die warmen Mäntel der Hudson‘s-Bay-Company. Ihre Köpfe waren entweder mit roten Wollmützen oder Biberfellmützen bedeckt, und alle hielten ihre Rifles schussbereit in den Händen. Die Männer waren meist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, doch das Leben in der Wildnis hatte sich bereits in die Gesichtszüge eingebrannt. Einige trugen kurze Bärte, die anderen hatten kurze Stoppeln, was auf ein regelmäßiges Rasieren hindeutete. Das war auch besser so, denn gegen Nissen und Läuse gab es nur ein Mittel: Haare und Bärte abschneiden.
Pierre richtete sich auf und atmete tief durch. „Mann, das war knapp!“ Er sprach „Bungee“, ein Gemisch aus Französisch, Englisch und Spanisch, das hier alle verstanden. Wenn nichts mehr half, dann wechselte man in die Zeichensprache der Indianer. Mit Händen und Füßen konnte man irgendwie alles ausdrücken.
„Bist du sicher, dass die Injuns weg sind?“,