Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


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angeheuerter Arbeiter, eingesetzt.

      „Ich glaube schon. Ich habe zwei in den Hügeln erwischt und zwei weitere hinten am Yellowstone. Sie waren wohl auch auf dem Weg hierher.“ Pierre zuckte gelassen mit den Schultern. „Was ist denn in die gefahren? Wollen die Pekuni keinen Handel?“

      Menard näherte sich und stemmte die Hände in die Hüften. „So ein Scheiß! Mit jedem Toten wird es schwieriger, die Factory zu halten!“

      Pierre schnaufte empört. „Was soll ich denn machen, wenn ich angegriffen werde?“

      Menard hob begütigend die Hände. „War kein Vorwurf! Hier haben diese miesen Blackfeet ja auch angegriffen! Einfach so …! Zum Glück hatten wir Wachen aufgestellt, sonst wären sie im Fort gewesen, ohne dass wir etwas gemerkt hätten. Augen auf und Kehle durch …!“

      Pierre nickte betreten. Sie hatten Glück gehabt! Immer wieder hatten die Männer gemurrt, wenn Menard auf den Wachdienst bestanden hatte.

      „Hier ist doch alles friedlich!“, hatte es geheißen. Doch Menard traute dem Frieden nicht. Er hatte schon öfter erlebt, dass Verbündete plötzlich die Seiten wechselten oder Freunde über Nacht zu Feinden wurden. „Injuns kann man nicht trauen!“

      Menard grinste freundlich und schlug Pierre auf die Schulter. „Komm erst einmal ins Warme! Du musst ja halb erfroren sein!“

      Pierre nickte ergeben. „Eher verschwitzt. Puh, das war knapp. Mon dieu!“

      Er ließ sich zum großen Handelsraum führen, der wie immer beheizt war. Ein Mann stand am Feuer und bereitete das Essen zu. Er war der Einzige, der nicht an der Palisade gekämpft hatte – wohl auch, um ein mögliches Feuer zu melden, falls die Indianer Brandpfeile schossen.

      Menard deutete auf die Haare von Pierre, die über dem Ohr etwas versengt waren. „Was ist denn hier passiert?“

      Pierre fasste sich an die Schläfe und riss erstaunt die Augen auf. „Wagh, das war aber knapp! Da hätte mich die Rothaut fast erwischt!“ Dann schaute er an seinen blutbefleckten Mantel hinunter. „Merde, den muss ich wohl waschen!“

      Der Koch schüttelte den Kopf. „Die Flecken kriegst du nicht mehr raus. Brauchst wohl einen neuen!“

      „Mist!“ Pierre blickte enttäuscht an sich herunter. Er hätte doch die Mäntel der Pekuni mitnehmen sollen. Aber da waren ja auch Blutflecken dran. „Ich versuch’s trotzdem!“, meinte er entschlossen.

      „Nimm kaltes Wasser“, schlug der Koch vor und grinste breit. Das braune Gesicht seiner wohl spanischen Herkunft wirkte wie ein lederner Ball, der zu lange in Wind und Wetter gelegen hatte. „Ist ohnehin egal … dein Mantel steht vor Dreck, und du sorgst dich um ein paar Blutflecken!“

      Pierre lächelte freundlich. „Hast du jetzt endlich was zu essen für mich?“

      „Klar!“ Der Koch schöpfte eine große Schüssel Eintopf aus dem Kessel und stellte sie Pierre vor die Nase. „Bon Appetit!“

      „Merci!“, knurrte Pierre dankbar. Dann schlürfte er die heiße Suppe von einem Löffel, der auch gut als Schöpflöffel hätte durchgehen können. Mit etwas Warmem im Bauch sah die Welt schon wieder besser aus.

      Nach dem Essen verließ Pierre das Fort und half den anderen beim Aufräumen. Sie suchten nach toten Indianern, doch die Indianer hatten ihre Toten geborgen und mitgenommen. Pierre fand seine Biberfellmütze und setzte sie mit einem Seufzen auf. Die Stelle, wo seine Haare versengt worden waren, juckte leicht, und er kratzte sich. Dann kehrte er ins Fort zurück und versuchte die Flecken zu entfernen. Er war da ein bisschen heikel … es war nicht sein eigenes Blut, und er ekelte sich davor. Bei Tieren machte es ihm nichts aus … aber bei Menschen. Geduldig weichte er die blutbefleckten Stellen seines Mantels in Wasser ein und rubbelte das Blut heraus. Es ging ganz gut. Bis auf ein paar leicht bräunliche Flecken war nichts mehr zu sehen. Pierre hängte den Mantel in der Nähe des Feuers auf und ging dann in den hinteren Raum, wo mehrere Betten standen. Auch hier stand ein kleiner Ofen, der den Raum notdürftig wärmte. Aber es war besser als nichts. An den Wänden glitzerten die Tautropfen, die zeigten, dass der Frost sogar die Innenwand erreicht hatte. Der Raum war dunkel und rauchig, und es roch nach feuchtem Leder und den Ausdünstungen der Männer. Wer hier lebte, hatte keine Ansprüche. Die anderen Hütten standen im Moment leer, weil es einfacher war, nur das Haupthaus zu beheizen. Manche Trapper blieben ohnehin in der Wildnis bei ihren kleinen Hütten oder Zelten, weil sie ihre Fallen nicht alleine lassen wollten. Manche waren so weit weg, dass es zu viel Zeit kostete, jeden Abend ins Fort zurückzukehren. Pierre warf sich auf eine Pritsche und dachte an die armen Teufel, die jetzt vielleicht allein in der Wildnis saßen und keine Ahnung hatten, dass kriegerische Pekuni unterwegs waren.

      Neben ihm lag Arnel, der sich auf den Ellbogen stützte. „So ein Mist! Was machen wir, wenn noch mehr solche kriegerische Injuns hier auftauchen?“ Seine braunen Augen richteten sich sorgenvoll auf seinen Freund. Er hatte immer noch die schlaksige Figur eines Jugendlichen und wirkte naiv und unerfahren. Er strich sich eine Strähne seines schwarzen Haars, das bis auf seine Schultern fiel, nach hinten.

      Pierre runzelte die Stirn. „Keine Ahnung! Als Lewis und Clark hier unterwegs waren, dachten sie eigentlich, dass man hier friedlich Handel treiben kann. Ich weiß auch nicht, warum diese Pekuni so aufgebracht sind. Jedenfalls möchte ich ihnen nicht lebend in die Hände fallen.“

      „Oje!“ Arnel schluckte schwer. Er war ein Abenteurer, ein Tausendsassa, der schon mit vierzehn Jahren von seinem Zuhause ausgebüxt war. Hier bei den Trappern hatte er gefunden, was er schon immer gesucht hatte: eine freie Gemeinschaft, die keine Fragen stellte, welche Herkunft jemand hatte. Arnel war ein Halbblut, und in zivilisierteren Gegenden war das ein Makel. Seine Mutter war eine Dakota-Frau der Yankton gewesen. Sie war früh gestorben, und so war Arnel mit seinem Vater, einem trunksüchtigen Händler, unterwegs gewesen, der den Jungen hart arbeiten ließ. Irgendwann hatte Arnel die Beschimpfungen und Misshandlungen nicht mehr ausgehalten und war bei Nacht und Nebel verschwunden. Trotz seiner Jugend war er bereits ein geschickter Jäger, und so war er von den Pelzhändlern aufgenommen worden. Pierre hatte ihn unter seine Fittiche genommen, wobei die Beziehung auch für ihn Vorteile hatte: Durch Arnel sprach er inzwischen ein ganz passables Englisch.

       Mato-wea

       Dorf der Mandan am Knife-Fluss

      Mato-wea, was Bärenfrau bedeutete, stand außerhalb der Palisaden ihres Dorfes und besuchte den heiligen Schädelkreis ihrer Vorfahren. Irgendwo hier lagen auch die Schädel ihrer Mutter und ihres Vaters, aber die waren schon vor einiger Zeit gestorben, sodass die Erinnerung an sie verblasste. Ihr Vater war vor zwei Wintern gestorben und so, wie es Sitte war, von den männlichen Angehörigen der Sippe aufgebahrt worden. Inzwischen war das Gerüst verfallen, der Körper verwest, und man hatte den Schädel in den Kreis der Ahnen gelegt. Der Schädelkreis war heilig, und sie wagte sich dort nicht hin. Aber es war schön, in der Nähe zu stehen und seine Gedanken an die „Große Alte“ zu schicken. Sie wickelte das Bisonfell fester um ihren schmalen Leib und trotzte dem eisigen Wind, der um die Palisaden pfiff. „Große Alte!“, murmelte sie liebevoll. „Ich muss dir etwas erzählen.“

      So begann sie stets das Gespräch mit den Geistern. Hier konnte sie all ihre Sorgen und geheimen Gedanken hintragen. „Ich bin zur Frau gereift, und Onkel wird nun einen guten Mann für mich suchen.“ Sie seufzte tief, und nur der Wind konnte ahnen, ob aus Sorge oder Vorfreude. Mato-wea knabberte an ihren Lippen. War sie schon bereit für einen Mann? Zu gerne erinnerte sie sich an das Gelächter, wenn sie von den anderen Mädchen mit dem Bisonfell hochgeworfen wurde. Sie war gut darin! Zehnmal war es ihr gelungen, das Gleichgewicht zu halten. Sie kicherte bei dieser Erinnerung. Es hatte so viel Spaß gemacht, mit ihren Freundinnen das alte Spiel zu spielen: Die Mädchen nahmen ein großes Bisonfell, schoben stabile Äste durch die Löcher, die entstanden, wenn man das Fell zum Gerben spannte, und erhielten so einfache Griffe. Die Mädchen hielten das Fell an den Griffen, ein Mädchen kletterte hinauf und wurde von den anderen Mädchen hochgeworfen. Wenn sie mit den Füßen aufkam, wurde sie wieder hochgefedert. Wenn sie