der Sinn einen antreibt. Wenn das klar ist, kann man sich auch einfacher und zufriedener voneinander trennen.
Steven brauchte allerdings viel Mut und die Bereitschaft, sein Ego und sein bisheriges Verständnis von Führung zu reflektieren und zu hinterfragen. Auch das ist ein zentrales Element von Moderner Arbeit, das grundsätzlich für alle Führungskräfte gelten sollte: Einen Schritt zurückzutreten und den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, mehr für sich einzustehen und somit auch mehr Verantwortung zu übernehmen. Es geht zum Beispiel darum, sich zu fragen: Lehne ich eine Idee ab, weil ich sie aus Sicht des Unternehmens tatsächlich für schädlich halte? Oder gefällt es mir nicht, dass jemand anderes eine potenziell interessantere oder sogar bessere Idee hat?
Modern-Work-Prinzip: Sinn ermöglichen
Für die Busfahrerin besteht der Sinn ihrer Arbeit darin, Menschen sicher zu transportieren. Offenkundig schreibt sie der Sicherheit eine wesentliche Bedeutung in ihrer Tätigkeit zu. Wenn der Sinn die Handlungen formt, führt das auch dazu, dass die Busfahrerin rücksichtsvoller fährt, um ihre Fahrgäste und andere VerkehrsteilnehmerInnen nicht zu gefährden. Oder sie denkt – wie in unserem Fall – auch über die Busfahrt hinaus an das Wohlergehen ihrer Passagiere. Dabei ist der Sinn nie ganz vollendet und treibt uns immer wieder an, danach zu handeln und zu arbeiten. Somit kann Sinn nicht nur zur Zielerreichung motivieren, sondern auch eine gedankliche Auseinandersetzung über das eigene Leben anregen.
Für Moderne Arbeitskontexte bedeutet das, regelmäßig in eine Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit zu gehen. Dafür hilft es, Formate für das Erkunden und Entdecken von Sinn wie die „Purpose Talks“ bei No Moss zu entwickeln. Die zentrale Ausgangsfrage, um nach dem Sinn oder der Bedeutung der eigenen Tätigkeit zu fragen, ist das WARUM. Zu wissen, WARUM man etwas tut, hilft dabei, das eigene Verhalten, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche besser zu verstehen. In seinem überaus bekannten und bemerkenswerten Ted-Talk greift Simon Sinek dieses Prinzip in seinem „Golden Circle“ auf. Ihm ist aufgefallen, dass sich erfolgreiche UnternehmerInnen und Führungskräfte von anderen darin unterscheiden, wie sie über ihre Arbeit denken, sich dabei verhalten und ihren Sinn kommunizieren. Das WARUM steht dabei stets im Mittelpunkt und beeinflusst das Mindset.
Unter MINDSET werden die Haltung und Sichtweise eines Menschen verstanden, die die eigene Denkart und Handlungsweisen prägen.
Das Prinzip „Sinn ermöglichen“ ist eng mit dem Bergmann’schen Konzept von New Work verknüpft. Sinn zu ermöglichen bedeutet, nach dem „wirklich, wirklich Wollen“ zu fragen und herauszufinden, wie dieser Wunsch das Leben bereichern kann. Um New Work in eine tatsächlich zeitgemäße und damit Moderne Arbeit zu überführen (schließlich stammt der New-Work-Ansatz aus den 1970ern), erscheint es uns auch wichtig, konkrete Handlungen abzuleiten, wie es uns besonders in Australien immer wieder vor Augen geführt wird. Wir halten es für entscheidend, zwischen dem Kern und der Hülle von New Work zu unterscheiden. Damit New Work nicht zu einem Containerbegriff verkommt, unter dem jede Initiative in der Arbeitswelt gefasst werden kann, braucht es eine inhaltliche Abgrenzung. „Für viele ist New Work etwas, was die Arbeit ein bisschen reizvoller macht. Und das ist absolut nicht genug“, beschwert sich Frithjof Bergmann in einem unserer gemeinsamen Gespräche. Eine Idee dazu haben wir bereits bei unserer Workation auf Bali, bevor wir nach Australien fliegen. Deshalb kommen wir auch auf das Bild der Avocado als fruchtig-beerigen Vorschlag, um über New Work nachzudenken. Fast jeder kennt den Moment, wenn man die Avocado aufschneidet und die beiden Hälften auseinanderklappen. Sichtbar werden das quietschgrüne Fruchtfleisch und der runde, festen Kern – umhüllt von der dünnen Schale der Avocado.
New Work
HÜLLE ODER KERN?
Wenn der Fokus auf unseren Purpose und den Purpose der anderen gesetzt wird, kann die Bedeutsamkeit beim Arbeiten gesteigert werden, was wiederum zu besseren Entscheidungen und Handlungsweisen führt. Sinn ermöglichen bedeutet also im ersten Schritt herauszufinden, was wir wirklich, wirklich wollen, um das im zweiten Schritt dann auch wirklich, wirklich zu tun.
Was wir an Erfahrungen mitnehmen
Wir wissen nicht genau, ob es die Entfernung von daheim ist oder dieser ganz bestimmte Geist, den wir hier in Australien verspüren. Vielleicht ist es aber auch das Wissen darum, dass es ab jetzt Stück für Stück zurück nach Deutschland gehen wird. Wir fragen uns, wie wir unser Leben leben wollen: „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten und worin besteht eigentlich unser Sinn beim Arbeiten?“ Australien, als der am weitesten entfernte Punkt unserer Modern Work Tour, erscheint uns ganz richtig dafür, in die Vogelperspektive zu gehen. Manchmal muss man eben erst weit weg, um mit Abstand den Kern sehen zu können. Also: „Was haben wir und was fehlt uns? Womit wollen wir beginnen und wovon sollten wir uns schnellstmöglich verabschieden? Was wollen wir wirklich?“
Wir haben den Eindruck, dass wir besonders in unserer Welt nicht mehr darum herumkommen, eine persönliche Definition von einem guten und sinnvollen Leben zu entwickeln. Das kann uns helfen, eine Art „Leitplanke“ zu haben, um sich einen Weg durch eine Welt zu bahnen, in der so viele verschiedene Lebensformen möglich und vorstellbar sind. In dieser beweglichen Unüberschaubarkeit fangen wir gerade erst an, neue Lebensentwürfe kennenzulernen und auszuprobieren. Flexibilität scheint uns dabei nicht nur für das Berufsleben, sondern auch für das Leben im Allgemeinen eine erstrebenswerte Fähigkeit zu sein. Natürlich hilft es, bei dieser Auseinandersetzung auf Reisen zu sein und ständig neue Ideen oder Einfälle zu entdecken. Es gibt so viele Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten und auszuleben. Wir sollten uns einfach nur mehr Zeit nehmen, auch darüber nachzudenken. Für uns ist die Moderne Walz ein solcher Neuentwurf, um uns selbst einen Freiraum für unseren Sinn zu geben.
Dass es für eine Führungskraft nicht einfach ist, Mitarbeitenden solche Freiräume zu lassen, lag für Steven von No Moss auf der Hand. Deshalb hat er ein anderes Arbeits-Lebens-Modell für sich und seine Umgebung kreiert: „Working, struggling, finding a purpose – it is hard!“, bringt er es auf den Punkt. Aber für sich hat er einen persönlichen Purpose gefunden: seinen ganz eigenen Sinn beim Arbeiten – das, was es für ihn lohnenswert macht, täglich aufzustehen und gern zur Arbeit zu gehen. Dieser Sinn lautet: „Make work more human!“ – Arbeit menschlicher zu machen.
REFLEXION
FRAGEN ZUM PRINZIP: SINN ERMÖGLICHEN
•Welchen Sinn siehst du in deiner eigenen Arbeit?
•Welche Sinnermöglichung wünschst du dir für deine Zukunft und was ist dein wichtigster Schritt auf dem Weg dahin?
•Siehst du Möglichkeiten, andere Menschen in deinem Umfeld auf ihrem Weg des wirklich, wirklich Wollens zu begleiten?
•Vom wirklich, wirklich Wollen zum wirklich, wirklich Tun: Schreibe dir mindestens drei Punkte auf, die du angehen möchtest. Wie willst du diese Punkte umzusetzen?
•Was kannst du aus den aufgezeigten Beispielen in diesem Kapitel für deine eigene Arbeit ableiten?
MODERN-WORK-PRINZIP 2
Mensch im Mittelpunkt
Sarajevo
Bosnien-Herzegowina