und ihrem Umfeld, aber auch mit den Behandlern. Auf der anderen Seite scheint sich oft alles nur noch um die Erkrankung und die mit ihr verbundenen Bedrohungen und Folgen zu drehen. Nach dem ersten Schock wird für den Kampf gegen den Krebs mobilisiert.
Der Kampf und Krieg gegen den Krebs ist wohl die wirkmächtigste Metapher im Bereich der Medizin. Indem Richard Nixon 1971 den »Krieg gegen den Krebs« (»war on cancer«) ausrief, erklärte der damalige US-Präsident der Krankheit gewissermaßen den Krieg. Fünfzig Jahre später weiß man sehr viel mehr über die Komplexität seiner Entstehung, sodass die Illusion eines endgültigen Sieges der Medizin über den Krebs unsinnig erscheint. Dem einzelnen Patienten kann der Mythos des Kampfes allerdings ein Gefühl von Würde, von Selbstachtung, Stärke und Kontrolle verleihen. Den Kampf aufzunehmen und aktiv zu gestalten befreit aus der Opferrolle. Auch wenn der Betroffene den Kampf verliert, kann er sich als tapferer und mutiger Kämpfer fühlen, der nie aufgegeben hat. Auf der anderen Seite kann der Kämpfermythos auch dazu führen, dass eine Verschlechterung der Krankheit auf mangelnden Kampfgeist zurückgeführt und somit als eigenes Versagen erlebt wird. Unhinterfragt kann sich der Mythos auch dahingehend auswirken, dass sich Patienten innerlich oder von außen gedrängt fühlen, aussichtslose und zugleich Leid bringende Kämpfe zu führen. Und selbst wenn die Krankheit überwunden wird, bleibt der Tod letztlich unvermeidlich. Kriegsmetaphern rufen Bilder des Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen hervor, zwischen Mächten des Lichtes und der Finsternis, zwischen Leben und Tod. Sie produzieren Sieger und Verlierer, maximal herrscht für eine gewisse Zeit Waffenstillstand.
Vorstellungen von Kampf und Krieg führen nicht selten zur symmetrischen Eskalation: Je größer die dem Feind zugeschriebene Bedrohung wird, desto gewaltvoller und radikaler werden die Waffen. So besteht die Gefahr, im Kampf gegen die Krankheit den Patienten als ganze Person zu vergessen. Körperteile werden in Operationen geopfert, Chemotherapien und energiereiche Strahlen werden in maximal tolerierbarer Dosis verabreicht, wobei oft erhebliche Schädigungen gesunder Zellen in Kauf genommen werden müssen. Viele Therapien sind invasiv und nebenwirkungsreich und beeinträchtigen die Lebensqualität. Manche – wie beispielsweise Knochenmarktransplantationen bei Leukämien – beinhalten sogar das Risiko, an den Folgen der Therapie zu sterben, das Auftreten weiterer Krebserkrankungen zu fördern und die Lebenserwartung insgesamt zu verkürzen. Obwohl der Preis hoch ist, wird er angesichts eines möglichen Gewinns bezahlt. Ob sich die Opfer lohnen, stellt sich im Einzelfall erst im Nachhinein heraus. Jeder Betroffene kann diese Frage nur für sich selbst beantworten.
Neben Kampf und Krieg finden sich rund um Krebs auch noch andere Metaphern. Die Metapher der Reise betont den prozesshaften zeitlichen und oft chronischen Verlauf einer Krebserkrankung. Der Mythos erinnert an die Heldenreisen der Antike, die Suche nach dem heiligen Gral oder an Entwicklungsgeschichten von Helden auf der Suche nach Weisheit. Auch krebskranke Menschen können sich als Helden erleben, die sich im gefährlichen Land von Krankheit und Tod oder in unbekannten Innenwelten wiederfinden und eines Tages gereift heimkehren. Manche Patienten vergleichen die Erfahrung des Überlebens der Erkrankung und der Therapie mit einer Neu- oder Wiedergeburt, der die Chance eines Neubeginns innewohnt.
Mythen und Metaphern wirken integrierend und sinnstiftend, indem sie helfen, Unbekanntes durch Analogien mit Bekanntem zu verstehen und Erfahrungen in ein größeres Ganzes einzuordnen. Sie sind Quellen von Symbolen, Bildern und Geschichten. Hypnotherapeutisch und systemisch (»hypnosystemisch«) geprägte Begleiter achten auf die Bilder und Metaphern des Patienten und auf deren Auswirkungen, also darauf, ob sie ihn befähigen und stärken oder einschränken und schwächen. Sie schlagen dem Patienten auch neue Bilder und Metaphern vor und geben Impulse, die zur positiven und heilungsfördernden Gestaltung seiner individuellen Wirklichkeit beitragen und inneren Frieden und Wohlbefinden möglich machen. In der Achtsamkeitspraxis übt man, immer wieder innezuhalten, um die Auswirkungen der inneren Bilder zu erkennen und im Beobachtermodus beispielsweise zu bemerken, wenn sich eine übermäßige Identifikation mit dem »Kämpfer« auf unheilsame Weise auswirkt.
3.2Der Patient und sein individuelles Erleben
Wenn heutzutage in der Onkologie von einer personalisierten Krebstherapie gesprochen wird, dann sind damit in der Regel Vorgehensweisen gemeint, bei denen die Tumorzellen eines Patienten molekularbiologisch untersucht werden. Dabei wird nach bestimmten Biomarkern gefahndet, um die Krebszellen an den veränderten Stellen zielgerichtet anzugreifen (»targeted therapy«).
Wenn wir in der Psychoonkologie und einer biopsychosoziospirituellen Praxis von einer individualisierten und maßgeschneiderten Therapie sprechen, so ist damit etwas weit Umfassenderes gemeint. Bei der Begleitung von Patienten mit Krebserkrankungen wird nicht nur der Tumor, sondern der ganze Organismus und die ganze Person mit ihren Bedürfnissen und Werten und in ihrer soziokulturellen Einbettung wahrgenommen und berücksichtigt. Die Geschichte der Krankheit und die Erfahrungen des Krankseins werden als Teil der Geschichte eines erkrankten Menschen verstanden. Die Bedeutung, die er seiner Erkrankung gibt, wird auf dem Hintergrund seiner aktuellen Lebensphase und Situation gesehen. Sie ist auch von jenen Geschichten geprägt, die in seiner Familie über Krebs erzählt werden und wurden, wie Verwandte oder Bekannte mit ihrer Krankheit umgegangen sind, wie sie mit ihr gelebt haben oder gestorben sind.
Eine auf den ersten Blick paradox erscheinende Frage ist bei chronischen Erkrankungen von großer Bedeutung: Wie viel Krankheit verträgt Gesundsein (Ebell 2017a)? Wie kann es also gelingen, dass sich Menschen trotz einer Krebserkrankung – selbst wenn sie fortschreitet – als erstaunlich gesund erleben? Auch diese Frage ist nur höchst individuell zu beantworten. Die Vorstellung eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums bietet eine konzeptuelle Basis für ein »Sowohl-als-auch«. So zeigt die Perspektive der Salutogenese, der Erforschung der Frage, wie Gesundheit entsteht, Wege auf, neben aller Krankheit auch Gesundheit und Gesundsein zu fördern (Abschn. 4.4). Das Ausmaß an Krankheit, das sich mit dem Gesundsein eines Menschen verträgt, ist erstaunlich groß, wenn er über Eigenschaften verfügt, die man als Resilienz zusammenfassen kann (S. 49 f.), und es trotz der Krankheit möglich ist, Gesundheitsziele zu verfolgen.
Das subjektive Erleben und das mit der Erkrankung verbundene Leiden des Patienten werden maßgeblich von der aktuellenKrankheitsphase geprägt. Zunächst stehen meist Diagnostik und Therapie mit der Hoffnung auf Heilung im Vordergrund. Es kann auch ein Rezidiv diagnostiziert worden sein oder sich die Aufgabe stellen, sich mit dem bevorstehenden Sterben auseinanderzusetzen.
Therapeutisch wirksame Kommunikation trachtet danach, all dies zu berücksichtigen. Sie betont neben einer arzt- und krankheitszentrierten Sicht die Bedeutung der individuellen Wirklichkeit des Patienten und seines subjektiven Erlebens und Leidens und orientiert sich primär an seinen Bedürfnissen. Sie versteht Kommunikation als eingebettet in eine therapeutische Beziehung und deren gesundheitsfördernde Auswirkungen. Therapeutisch wirksame Kommunikation fördert einen mehrfachen Perspektivenwechsel:
•vom Kampf gegen die Krankheit hin zu dem, was stattdessen wünschenswert ist
•von dem, was nicht (mehr) möglich ist, hin zu dem, was möglich ist
•von der Einengung der Aufmerksamkeit auf die Symptome der Krankheit hin zur Förderung gesunder Anteile
•von der Fokussierung auf Probleme hin zum Suchen, Finden und Fördern von Ressourcen.
Die therapeutisch wirksame Kommunikation bildet den Kern unseres Vorgehens (Abschn. 4).
3.3Die Behandler in der Onkologie und ihre Rollen
Krebs als körperliche Erkrankung erfordert eine angemessene medizinische Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst. In der aktuellen Medizin ergeben sich diese Regeln aus der Praxis einer sogenannten evidenzbasierten Medizin (EbM). Wir beziehen uns dabei auf eine Definition, die unter EbM