Michael E. Harrer

Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie


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Fäden und Juwelen des Netzes immer umfassender zu einem für Sie persönlich sinnvollen Ganzen zu integrieren und mit Ihren eigenen Erfahrungen zu verknüpfen.

       Für wen ist unser bunter Teppich gedacht?

      Dieser Teppich passt auf den Boden eines Therapieraums, in dem Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Menschen mit einer onkologischen Erkrankung begleiten. Er vermittelt Einblicke in die Psychoonkologie und deren Konzepte, aber auch in die Themen und Bedürfnisse der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung, und er soll inspirieren. Unser Teppich soll einen guten Boden für alle Berufsgruppen bilden, die in der psychosozialen Onkologie tätig sind, sei es in der klinischenPsychologie, der Sozialarbeit, der Seelsorge, der Beratung oder in anderen Bereichen. Um Personen aus allen Herkunftsberufen den Zugang zu unseren Konzepten zu erleichtern, werden viele der Fachbegriffe in einem Glossar erklärt.

      Wir wünschen uns sehr, dass sich Ärztinnen und Ärzte aus der Onkologie von unserem Beitrag angesprochen fühlen. Ihnen obliegt es ja, ihre Patientinnen und Patienten angemessen zu informieren, einen Behandlungsplan zu erstellen, die medizinischen Therapien durchzuführen und immer wieder an die individuellen Gegebenheiten anzupassen. Patienten sind auf eine gelingende Kommunikation mit ihren Behandlern angewiesen, die wiederum die Grundlage jeder psychoonkologischen Begleitung bildet.

      Wir sprechen auch Hausärzte an, die krebskranke Menschen oft über viele Jahre begleiten; ebenso Pflegepersonen, die in ihrem unmittelbaren und kontinuierlichen Kontakt mit Patienten im stationären Bereich oder in der ambulanten Krankenversorgung an einer therapeutisch wirksamen Kommunikation interessiert sind. Vieles von dem, was wir vermitteln wollen, gilt nicht nur in der Onkologie, sondern auch bei anderen chronischen Krankheiten. Letztendlich sollen unsere Anregungen den kranken Menschen zugutekommen, und vielleicht finden auch diese in unserem Buch etwas Hilfreiches, und sei es, dass sie durch die Lektüre genauer herausfinden und klarer formulieren können, was sie sich von ihren professionellen Begleitern wünschen.

      Unabhängig von ihrem beruflichen Hintergrund will das Buch all jene Personen erreichen, die sich sowohl konzeptuell als auch im konkreten Vorgehen einen Überblick über eine patientenzentrierte Onkologie verschaffen wollen. Es richtet sich an alle, die sich dafür interessieren, welche Möglichkeiten Hypnose und Achtsamkeit für die professionelle Zusammenarbeit mit lebensbedrohlich und chronisch kranken Menschen allgemein bieten.

       Einladung zur Resonanz

      Wir hoffen, Sie für die Komplexität begeistern zu können, die unserer multiperspektivischen und vernetzten Sichtweise innewohnt. Wer einfache, störungsspezifische Rezepte erwartet, wird enttäuscht werden. Wer sich von der Vielfalt der in diesem Buch anklingenden Sichtweisen und Möglichkeiten inspirieren lässt, kann im Vertrauen auf eigene kluge bewusste und unbewusste innere Anteile neugierig sein, was vom Angebotenen Resonanz auslöst und Ihnen in der Begegnung mit Ihren Patientinnen und Patienten im passenden Augenblick wieder einfällt.

      Und damit sind wir bei der letzten Metapher, die unser Buch durchzieht und unser Denken prägt. Sie stammt aus dem Bereich der Musik: Resonanz. Resonanz bedeutet ein Schwingen auf derselben Wellenlänge, das Verbindung schafft. Resonanzerfahrungen in menschlichen Beziehungen und mit der Natur können verwandeln und Verstummtes wieder zum Klingen bringen. Sie sind heilsam und können beglücken – wie das Singen der Vögel. Für einen Patienten auf mitfühlende Weise präsent zu sein, sich auf ihn einzustimmen und mit ihm in Resonanz zu gehen, ist die Basis jeder Therapie und für sich allein schon heilsam. Menschen einzuladen, mit sich selbst in Resonanz zu sein, mit dem, was sie im Kern ausmacht und sie lebendig werden lässt, ist der Weg, den wir vorschlagen.

      In diesem Sinne wünschen wir uns, dass unser Buch zu vielen gelingenden Resonanzerfahrungen beitragen kann.

       Salzburg und München im Frühling 2021 Michael E. Harrer und Hansjörg Ebell

      Anmerkung: Uns ist wichtig, zumindest in der Einführung ausdrücklich Leserinnen und Leser anzusprechen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Ärztinnen und Ärzte, Frauen und Männer aus allen Berufsgruppen, aber auch Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten. Wenn wir in der Folge das generische Maskulinum verwenden, dann tun wir das auf Wunsch des Verlags im Sinne einer leichteren Lesbarkeit.

      Als Ärzte sprechen wir in diesem Buch von Patienten (und nicht von Klienten), auch um das mit der Krankheit verbundene Leiden zu würdigen (lat. patiens, dt. »erduldend, leidend«). Wenn wir handelnde und behandelnde Personen als Behandler bezeichnen, meinen wir Vertreter und Vertreterinnen aller in einer zeitgemäßen interdisziplinären onkologischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen, deren Aufgaben und Themen sich überschneiden.

       2Begleitung ein Stück des Weges: Die Geschichte von Frau S.

      Frau S. wird unmittelbar nach der Geburt ihres ersten, gesunden Kindes mitgeteilt, dass sowohl die chirurgische Entfernung eines Eierstocks als auch eine anschließende Chemotherapie notwendig seien. Die letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft muss die 35-jährige Patientin wegen vorzeitiger Wehen in der Universitätsklinik stationär behandelt werden. Sie muss strikte Bettruhe einhalten, weil die wehenhemmenden Medikamente die Leber so schwer belasten, dass sie abgesetzt werden müssen. Eine Zyste im linken Eierstock wird immer wieder mittels Ultraschall untersucht. Die häufigen Kontrollen, die von Frau S. als ausweichend erlebten Erklärungen und der besorgte Gesichtsausdruck des untersuchenden Arztes steigern ihre Ängste, es könnte sich um eine bösartige Gewebeveränderung handeln. In der bei der Entbindung mittels Kaiserschnitt entnommenen Gewebeprobe werden dann tatsächlich Krebszellen gefunden. Aus dem Verdacht wird Gewissheit. In einer Folgeoperation wird der betroffene Eierstock entfernt. Bei diesem Eingriff entleert sich Zysteninhalt in den Bauchraum. Darum wird eine anschließende Chemotherapie aus medizinischer Sicht für unbedingt erforderlich gehalten. Der erste Therapiezyklus erfolgt unmittelbar nach der zweiten Operation und löst bei Frau S. extreme Übelkeit mit Erbrechen aus.

      Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ist Frau S. so erschöpft, dass es für sie unvorstellbar ist, den vorgesehenen zweiten und dritten Zyklus der Chemotherapie als ambulante Nachbehandlung zu überstehen. Ihre Befürchtungen werden dadurch genährt, dass sie im Aufklärungsgespräch daraufhingewiesen wurde, dass die Nebenwirkungen von Chemotherapien in der Regel mit jedem Zyklus stärker würden. Der psychoonkologische Konsiliardienst der Klinik empfiehlt ihr in dieser Situation dringend, psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

      Bei unserem ersten Gespräch in meiner Praxis (Hansjörg Ebell, HE) bekommen die Tragik und Dramatik ihrer Erfahrungen viel Raum: Anstatt nach der Geburt ihr Baby stillen und umsorgen zu können, findet der von der Patientin als »Horrortrip« erlebte stationäre Krankenhausaufenthalt nicht nur kein Ende, sondern setzt sich fort und steigert sich noch weiter. Insbesondere die Aussage des behandelnden Arztes, der ihr die Notwendigkeit einer Chemotherapie eindringlich klar machen wollte, hat Frau S. sehr verängstigt, aber auch wütend gemacht. Bei ihr ist sinngemäß angekommen, sie müsse zustimmen, denn sie wolle ja nicht, dass ihr Kind in vier Jahren nur noch ein Foto von ihr als Erinnerung hat.

      Unabhängig davon, wie der genaue Wortlaut gewesen ist oder ob sie den Arzt »nur« falsch verstanden hat, überprüfen wir diese und ähnliche Aussagen in späteren Therapiesitzungen gründlich darauf, welche positiven und/oder negativen Botschaften darin enthalten sind. Nachdem Frau S. Ruhe und Stabilität wiedergewonnen hat, können viele negative Suggestionen bearbeitet und wie alte Munition entschärft werden. Aus hypnotherapeutischer Sicht ist entscheidend, wie die als starke Suggestionen zu betrachtenden Sätze bei der Patientin angekommen sind, und nicht, was genau gesagt wurde.

      Frau S. fühlt sich in ihrer Überforderung und Verzweiflung verstanden und angenommen. Allein das führt zu einer spürbaren Beruhigung. Von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Chemotherapie ist sie überzeugt. So konzentrieren wir uns auf eine gemeinsame Suche danach, was ihr helfen könnte, die im zweiten Zyklus verabreichten Medikamente